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01.07.2004 13:06

Prof. Dr. phil. Hans-Ulrich Wehler erhält die Helmholtz-Medaille der BBAW

Renate Nickel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

    Im Rahmen des Festaktes zum diesjährigen Leibniz-Tag am 3. Juli 2004 verleiht die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Ulrich Wehler die Helmholtz-Medaille in Anerkennung seiner überragenden wissenschaftlichen Leistungen.

    Professor Dr. phil. Hans-Ulrich Wehler hat die Disziplin der Neuzeit-Geschichte in Deutschland in einem stärkeren Maße verändert, als jeder andere lebende Historiker: Als ein Historiker von höchstem Rang und herausragender Originalität, ist er zugleich ein streitbarer Intellektueller mit der Fähigkeit zu geschliffener Polemik und spitzem Urteil, dessen Äußerungen von den Medien gesucht werden. Seine weitgespannten Interessen, der Horizont seiner Eingriffe und das Spektrum seiner Reputation reichen weit über die eigentliche Geschichtswissenschaft hinaus und in andere Disziplinen sowie nicht zuletzt in die öffentliche Diskussion hinein. Er verbindet die Exzellenz des Wissenschaftlers mit dem kritischen Schwung und dem aufklärerischen Engagement des öffentlichen Intellektuellen und Bürgers - ohne Wehler sähe die deutsche Geschichtswissenschaft anders aus.

    Hans-Ulrich Wehler wurde 1931 in Freudenberg im Siegerland geboren. Nach dem Abitur im Jahre 1952 studierte er bis 1959 an den Universitäten in Bonn und Köln Geschichte, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft. 1952/53 widmete er sich als Fulbright-Student an der Ohio University (Athens, Ohio/USA) dem Studium der amerikanischen Geschichte. 1960 wurde er an der Universität zu Köln bei Theodor Schieder promoviert. Anschließend war er von 1961 bis zur Habilitation 1968 Assistent am dortigen Historischen Seminar, wo er bis 1970 als Privatdozent tätig war. 1970/71 wurde H.-U. Wehler zum Professor für amerikanische Geschichte am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin ernannt. Im gleichen Jahr folgte er einem Ruf als Professor für Allgemeine Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an die Universität Bielefeld, an der er bis zu seiner Emeritierung 1996 lehrte.
    Als Angehöriger der sogenannten Flakhelfer-Generation tiefgeprägt durch die lebensgeschichtliche Nähe zur 'deutschen Katastrophe' der Jahre 1933 bis 1945, steht die Deutung des Nationalsozialismus und seines Ortes in der deutschen Geschichte im Zentrum des historischen Denkens, Forschens und Schreibens von Hans-Ulrich Wehler: Von daher erschließt und begründet sich auch sein kritisches Verständnis der deutschen Nationalgeschichte, die er gern mit der Geschichte westlicher Länder vergleicht, sowie sein entschieden liberales, aufklärungsgeprägtes Engagement in den politischen und wissenschaftlichen Kontroversen der Gegenwart. Seit den 60er Jahren hat H.-U. Wehler, der sich mit zahlreichen Essays, Interviews und scharfsinnigen Polemiken aktiv an den intellektuell-politischen Diskursen der Bundesrepublik beteiligt hat, einer jüngeren Generation traditionskritischer Historiker als Beispiel gedient. Rasch wurde er zum Kopf einer Schule, dessen Wirkungs- und Bekanntheitsgrad weit über die eigentlichen Fachgrenzen hinaus reicht und ihn unter den wenigen deutschen Historikern in den Rang eines öffentlichen Intellektuellen erhob. Seine internationale Bekanntheit ist groß, insbesondere in der anglo-amerikanischen Welt: Gastprofessuren führten ihn in der Vergangenheit immer wieder in die USA - so lehrte er an der Harvard University (1972, 1989), der Princeton University (1976), an der Stanford University (1983/84) sowie an der Yale University (1997).
    Durch Rückgriff auf die Theorien Max Webers, beeinflußt durch amerikanische Wissenschaftsentwicklungen und inspiriert durch die Ansätze der Frankfurter Schule hat Hans-Ulrich Wehler die Tradition der deutschen Geschichtswissenschaft nicht nur gründlich bearbeitet, sondern auch mehr als jeder andere Historiker kritisch reformiert: Dies dokumentierte sich vor allem in Absetzung vom verengten Historismus der Geschichtswissenschaft, durch die Erweiterung ihrer analytischen Möglichkeiten und Betonung ihrer Theoriebedürftigkeit sowie durch das Insistieren auf ihrer Pflicht zum aufklärerischen Engagement. Er begann mit bahnbrechenden Monographien, so beispielsweise "Sozialdemokratie und Nationalstaat. Nationalitätenfrage in Deutschland 1840-1914" (1962, 1971²), "Bismarck und der Imperialismus" (erstmals 1969) sowie "Der Aufstieg des amerikanischen Imperialismus. Studien zur Entwicklung des Imperium Americanum 1865-1900 (erstmals 1974). Immer wieder nahm er mit geschliffenen Essays, u. a. harten Polemiken und öffentlichen Einlassungen sowohl zu den großen Fragen der Zeit und der Geschichtswissenschaft als auch zu Problemen von allgemeinem Interesse öffentlich Stellung: So zum Beispiel zur Preußen-Renaissance wie zum Historikerstreit, zum Nationalsozialismus und zur DDR, zum Ort der Bundesrepublik in der deutschen Geschichte, zum Verhältnis zwischen Deutschland und den USA, aber auch zur Auseinandersetzung und zum Verhältnis zwischen der Sozialgeschichte und Politikgeschichte respektive Alltagsgeschichte sowie zur Beziehung zwischen der Sozialgeschichte und den kulturalistischen Ansätzen der Gegenwart. Beginnend mit dem Band "Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära 1700-1815" erscheint seit 1987 H.-U. Wehlers inzwischen bereits in mehreren Auflagen vorliegende monumentale "Deutsche Gesellschaftsgeschichte", deren vierter und bisher letzter Band "Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949" im Herbst 2003 veröffentlicht wurde. Bei diesem opus magnum dürfte es sich um die gleichermaßen gewichtigste, informierteste, umfangreichste und analytisch anspruchsvollste Synthese der neueren Geschichte eines Landes aus der Hand eines einzelnen Historikers handeln, die - beispiellos und ohne Parallele - zweifellos große Geschichtsschreibung und ein Lebenswerk darstellt.
    Es ist H.-U. Wehlers besonderes und bleibendes Verdienst, die deutsche Geschichtswissenschaft gegenüber den benachbarten Sozialwissenschaften geöffnet zu haben: Exemplarisch genannt für sein umfangreiches AEuvre, das zudem zahlreiche Herausgeberschaften umfaßt, seien seine bahnbrechenden, immer wieder neu aufgelegten, ungemein erfolgreichen Monographien wie "Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918" (erstmals 1973), und sein in vielen Schriften entwickeltes Programm der Geschichtswissenschaft als einer "Historischen Sozialwissenschaft" (erstmals 1973: "Geschichte als Historische Sozialwissenschaft"). Er ist Gründer der seit 1975 erscheinenden Zeitschrift "Geschichte und Gesellschaft. Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft", als deren Hauptherausgeber er bis heute wirkt. Zahlreiche seiner Publikationen wurden auch in andere Sprachen übersetzt, so jüngst seine Veröffentlichung "Nationalismus. Geschichte, Formen, Folgen" (erstmals 2001). Hans-Ulrich Wehler hat der Sozialgeschichte hierzulande zum Durchbruch verholfen - einer Sozialgeschichte, die Politik- und Wirtschaftsgeschichte gründlich einbezieht.
    Von der hohen Anerkennung, die diesem Wissenschaftler und Intellektuellen im In- und Ausland zuteil wird, zeugt u. a. auch seine Ernennung zum auswärtigen Ehrenmitglied der American Historical Association (2000), die Zuerkennung des CICERO Rednerpreises (2003) sowie die Verleihung des Staatspreises des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2003.

    Indem die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Hans-Ulrich Wehler mit der höchsten ihr zur Verfügung stehenden Auszeichnung ehrt, würdigt sie dessen überragende wissenschaftliche Leistungen und verleiht zugleich ihrer hohen Wertschätzung für den streitbaren Historiker und engagierten öffentlichen Intellektuellen Hans-Ulrich Wehler Ausdruck.

    Die Helmholtz-Medaille wurde in den vergangenen Jahren verliehen an Professor Dr. rer. nat. Dr. h. c. mult. Manfred Eigen (Göttingen), 1994, Professor Dr. Avram Noam Chomsky (Cambridge, MA/USA), 1996, Sir Roger Penrose, Ph. D. (Oxford/U.K.), 1998, Professor Dr. Dr. h. c. mult. Jürgen Habermas (Starnberg), 2000, Professor Dr. Dr. h. c. mult. Friedrich Hirzebruch (Bonn), 2002.


    Weitere Informationen:

    http://www.bbaw.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    fachunabhängig
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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