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15.12.1998 14:01

Wie fettbevorzugt ist die Frau?

Peter Pietschmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Ulm

    Wie fettbevorzugt ist die Frau?
    Wichtige Resultate zum kleinen (Stoffwechsel-)Unterschied

    Wieso werden Mädchen eher dick als Jungen? Diese Frage beschäftigt nicht nur Betroffene, sondern auch die Kinderheilkundler. Die genauen Ursachen entziehen sich bislang unserer Kenntnis. Zur Aufklärung der Zusammenhänge zwischen Geschlecht und Gewebs-Fettstoffwechsel hat Dr. Martin Wabitsch in den vergangenen Jahren erheblich beigetragen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Ulmer Universitäts-Kinderklinik (Ärztlicher Direktor Prof. Dr. Klaus-Michael Debatin) interessiert er sich vor allem für die körperliche Entwicklung übergewichtiger Kinder und Jugendlicher. Dabei war er zuletzt auf aktuelle Studien aufmerksam geworden, in denen das Thema »Übergewicht und Leptin« zur Sprache kam.

    Leptin ist ein Fettzellen-spezifisches Protein, das in den Blutkreislauf ausgeschüttet wird und wahrscheinlich ein wichtiges Signalprotein für die Körpergewichtsregulation darstellt. Bei Mäusen führt Leptinmangel zur Fettsucht, während sich umgekehrt durch Leptingabe das Körpergewicht bei diesen Tieren reduzieren läßt; es bewirkt eine Verringerung der Nahrungsaufnahme und eine Steigerung des Energieumsatzes. Beim Menschen scheint der Leptin-Effekt gerade konträr zu wirken: Dicke haben nicht weniger, sondern im Gegenteil mehr davon im Blut als Normalgewichtige - sowohl in Form seines genetischen Bauplans in der mRNA als auch des fertigen Proteins. Es gilt mittlerweile als erwiesen, daß die Leptinproduktion der Größe der Fettdepots proportional ist. Sie wird aber auch durch hormonelle Faktoren und möglicherweise über die Ernährung reguliert. Mädchen produzieren mehreren Studien zufolge offenbar mehr Leptin als Jungen. Auch unter übergewichtigen Kindern, die insgesamt gegenüber normalgewichtigen Altersgenossen gesteigerte Leptinspiegel aufweisen, wurden bei Mädchen höhere Werte als bei Jungen gemessen, unabhängig vom Ausprägungsgrad der Fettsucht. Dies legt die Vermutung nahe, daß die Sexualhormone auf die Leptinproduktion in menschlichen Fettzellen Einfluß nehmen.

    Androgenes Hormonprofil

    Ob diese Annahme wissenschaftlich haltbar ist, hat Wabitsch nun systematisch nachgeprüft. Er untersuchte insgesamt 480 übergewichtige Kinder und Jugendliche (208 Jungen, 272 Mädchen) zwischen fünfeinhalb und neunzehneinhalb Jahren, die zur Durchführung eines kombinierten Diät- und Bewegungsprogramms für sechs Wochen in die mit der Ulmer Kinderklinik kooperierende Kinderfachklinik in Murnau gekommen waren. Sämtliche anthropometrischen Daten, Körperbefunde und Blutwerte wurden vor Beginn des Programms erhoben. In Altersgruppen eingeteilt, zeigten die Mädchen erwartungsgemäß jeweils signifikant höhere Leptinspiegel als die Jungen, wobei die Differenz mit fortschreitender Geschlechtsreife größer wurde. Setzte man nun Serum-Insulin, Cortisol-, Testosteron-/Dihydrotestosteron- und Östradiolspiegel der Probanden zu deren jeweiligen Leptinwerten in Beziehung, ergab sich bei den Jungen eine eindeutig negative Korrelation zwischen Testosteron und Leptin, das heißt: je mehr männliches Sexualhormon gebildet wurde, desto niedriger lag der Leptinspiegel. Bei den Mädchen dagegen war eine signifikante Beziehung zwischen Testosteron und Leptin nicht festzustellen. Demnach, folgert Wabitsch, scheint Testosteron zwar tatsächlich den Leptinspiegel zu senken, allerdings erst ab einer kritischen Mindestkonzentration von etwa einem Nanogramm pro Milliliter Blut, einem androgenen Hormonprofil.

    Auch bei anschließenden In-vitro-Studien an isolierten menschlichen Fettzellen bemerkte Wabitsch einen hemmenden Einfluß von Testosteron und Dihydrotestosteron auf die Leptinproduktion, was vermuten läßt, daß das männliche Sexualhormon direkt auf die Fettzellen einwirkt. Daß das Fettgewebe über Androgenrezeptoren (Empfängerstellen für männliche Steroide) verfügt, gilt als gesichert. Wie im einzelnen das Hormon in den Leptinhaushalt eingreift, muß allerdings noch geklärt werden. Abgesehen von einer unmittelbaren Wirkung auf der Gen-Ebene ist auch die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß die Leptinsuppression indirekt vermittelt wird. Man weiß zum Beispiel, daß Testosteron die Lipolyse, die Auflösung von Fettzellen, in Gang bringt. Die dabei freigesetzten Fettsäuren könnten Erkenntissen früherer Exprimente zufolge hemmend auf die Leptinproduktion wirken.

    Die klinische Bedeutung seiner Resultate bewertet Wabitsch noch zurückhaltend. Da Fettsucht unter Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männern in etwa gleichhäufig auftritt, sagt er, gebe es keine Anhaltspunkte dafür, daß der geschlechtsspezifische Unterschied hinsichtlich der Leptinproduktion das Risiko, in späteren Lebensjahren übergewichtig zu werden, beeinflusse. Gleichwohl befand ein Auswahlkomittee der European Society for Paediatric Endocrinology (ESPE) die Leistung des Ulmer Forschers für so außergewöhnlich und wichtig, daß ihm dafür - sowie für weitere wissenschaftliche Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe auf dem Gebiet der Adipositas im Kindesalter - der 1998er »Young Investigator Award« der ESPE verliehen wurde.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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