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15.12.1998 14:54

Prof. Dr. Martin Lindauer wird 80

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Der Zoologe und Verhaltensforscher Prof. Dr. Martin Lindauer vollendet am Samstag, 19. Dezember, sein 80. Lebensjahr. Er hatte von 1973 bis 1987 den Lehrstuhl für Tierphysiologie an der Universität Würzburg inne.

    An diesem Festtag kann der Jubilar auf ein reich erfülltes Lebenswerk zurückblicken. Er war einer der nur drei Soldaten seiner Kompanie, die Stalingrad überlebten. In Erinnerung an diese Zeit schrieb er einmal: "Verwundet aus Rußland zurück, gab es mitten im Trümmerhaufen materieller und ideeller Werte einen unerwarteten Hoffnungsschimmer, als ich von einem Münchner Lazarett aus in die Vorlesung 'Allgemeine Zoologie' von Karl von Frisch hineinstolperte. Die objektive und ehrliche Arbeit an der Wissenschaft und an den Bienen hat mich seitdem nicht mehr losgelassen."

    Bereits seine Doktorarbeit über die Einwirkung von Duft- und Geschmacksstoffen auf die Tänze der Bienen beeindruckte seinen großen Lehrer Karl von Frisch so sehr, daß er ihn 1948 auf zwei Jahre nach Graz als Assistent holte. Nach der Rückkehr Karl von Frisch's nach München folgten äußerst ergiebige gemeinsame Jahre.

    Aufsehenerregende Entdeckungen zu den Verständigungsmethoden der Bienen beim Nahrungserwerb und bei der "Wohnungssuche", zur Arbeitsteilung unter den Individuen im Bienenstaat oder zur Temperaturregulierung im Bienenstock hat er in dieser Zeit gemacht. Vor allem die Erforschung der Bienentänze auf der Schwarmtraube, die zur Entdeckung eines quasi-demokratischen Entscheidungsprozesses bei sozialen Insekten führte, und seine äußerst detaillierten Untersuchungen zur Arbeitsteilung haben die moderne experimentelle Soziobiologie bis heute geprägt.

    Seine Arbeiten zur Temperaturregulierung und zum Wasserhaushalt im Bienenstaat haben erstmals soziale Regelvorgänge in Insektenstaaten aufgedeckt und damit ein bis in unsere Tage hochaktuelles Forschungsgebiet initiiert. Außerdem hat er in dieser Münchner Zeit, zum Teil gemeinsam mit Karl von Frisch, bahnbrechende Arbeiten zur Sonnenkompaßorientierung der Bienen veröffentlicht, wobei vor allem seine Untersuchungen über angeborene und erlernte Komponenten in der Sonnenorientierung der Bienen viel Aufsehen erregt haben. Vergleichende Untersuchungen anderer Arten sozialer Bienen lieferten erstmals solide Hinweise zur Evolution der Bienensprache.

    Im Jahr 1955 folgte seine Habilitation und 1961 wurde er zum außerordentlichen Professor an der Universität München ernannt. Um diese Zeit war Martin Lindauer längst ein international bekannter Wissenschaftler, denn er wurde bereits 1959 eingeladen, an der Harvard Universität die hochangesehene Prather-Lectures zu halten. Aus diesen Vorlesungen, in denen er seine vielfältigen Entdeckungen zur Verständigung der Bienen vorstellte, entstand das Buch "Communication Among Social Bees", das ein wahrer Bestseller wurde und den Phi Beta Kappa-Buchpreis erhielt.

    Es folgten Rufe an die University of Ottawa (1960), University of Syracuse, USA (1961), Harvard University (1961) und an die Universität Frankfurt/Main. Prof. Lindauer entschloß sich, im Lande zu bleiben und nahm den Ruf als ordentlicher Professor und Direktor des Zoologischen Instituts an der Universität Frankfurt an. Keiner der vielen Karl von Frisch-Schüler hat so konsequent, originell und produktiv die Schule des Lehrers fortgeführt wie er, so daß man heute voll zu Recht von der Karl von Frisch-Lindauer-Schule spricht.

    Bald wurde Frankfurt zum Mekka der experimentellen Verhaltensforschung und Sinnesphysiologie. Martin Lindauer zog junge Wissenschaftler an, die er für verhaltensphysiologische Forschung begeisterte und mit einem erstaunlichen Gespür für Talent und Integrität förderte. Es gibt in der Tat nur wenige akademische Lehrer, die so viele erfolgreiche Schüler hervorgebracht haben wie dies ihm gelungen ist.

    In die Frankfurter Zeit fielen die aufregenden Arbeiten, die er zum Teil zusammen mit Schülern durchgeführt hat, zum Formensehen der Bienen, zur Orientierung der Insekten im Duftfeld, zum Lernen und Gedächtnis der Bienen, zur Fähigkeit der Bienen, das magnetische Feld wahrzunehmen, um nur einige der wichtigsten Forschungen zu nennen. Es waren überaus produktive zehn Jahre an der Frankfurter Universität, wovon allerdings die letzten drei bis vier Jahre von den politischen Umwälzungen an der Universität überschattet waren. Vielleicht hat er damals einige Male bedauert, nicht den Ruf an die neu gegründete Universität Konstanz, der ihm 1967 erteilt wurde, angenommen zu haben.

    Anfang der 70er Jahre gab es eigentlich nichts mehr, was ihn in Frankfurt halten konnte. Als ihn 1973 der Ruf an die Universität Würzburg erreichte, zögerte er nicht, in die bayerische Heimat zurückzukehren. Bald übernahm er hier Ämter und Aufgaben in der akademischen Selbstverwaltung. Seine warme, integrierende Persönlichkeit hat viel dazu beigetragen, daß es in Würzburg nie zu den akademischen Anfeindungen und Neidereien zwischen Vertretern verschiedener biologischer Disziplinen kam. Dieser Geist, der seine Amtsperioden als Dekan und Vizepräsident der Universität Würzburg auszeichnete, lebt bis heute fort.

    Martin Lindauer sind zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen nationaler und internationaler Gremien zuteil geworden. Er wurde Mitglied mehrerer Akademien, unter anderem der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, wo er auch über viele Jahre als Senator tätig war, und der hochangesehenen National Academy of Sciences (USA). Die Universitäten Zürich, Umeå und Saarbrücken haben ihn mit der Ehrendoktorwürde geehrt. Unter den vielen weiteren Auszeichnungen hat ihn eine besonders gefreut: 1984 machte ihn der Deutsche Imkerbund zum Ehrenimkermeister, was unterstreicht, daß er bei all seinen großen wissenschaftlichen Erfolgen und internationalen Ehrungen stets bodenständig mit der Praxis verbunden geblieben ist.

    Prof. Lindauer kann heute auf ein erfülltes Leben zurückblicken, aber er ruht sich offensichtlich nicht aus. Sobald die Frühjahrssonne die ersten Bienen aus dem Stock lockt, ist auch er in der Würzburger Bienenstation anzutreffen, wo er mit seiner riesigen Erfahrung und seinem erstaunlichen Gespür für das Verhalten der Bienen jüngeren Bienenforschern mit Rat und Tat zur Seite steht. Mögen ihm noch viele Jahre mit den Bienen im Kreise der jüngeren Kollegen vergönnt sein.

    Autor dieses Beitrags: Prof. Dr. Bert Hölldobler, Universität Würzburg, Lehrstuhl für Zoologie II (Verhaltensphysiologie und Soziobiologie), T (0931) 888-4308, Fax (0931) 888-4309, E-Mail:
    bert.hoelldobler@biozentrum.uni-wuerzburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Informationstechnik, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Personalia
    Deutsch


     

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