Einige unserer Gene werden exprimiert oder inaktiviert, je nachdem, ob wir sie von unserer Mutter oder unserem Vater geerbt haben. Der Mechanismus hinter dieser sogenannten genomischen Prägung, wird bestimmt durch DNA-Veränderungen während der Produktion von Ei- und Samenzellen. Alejandro Burga und sein Labor am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) entdeckten einen bisher unbekannten Prozess der Genregulierung, der mit dem Ausschalten egoistischer Gene verbunden ist und den ersten Schritt in der Evolution der genomischen Prägung darstellen könnte. Ihre Studie, die am 6. März in Nature erscheint, könnte klären, wie und warum sich genomische Prägung entwickelte.
Alejandro Burga und sein Labor am IMBA zeigen, in Zusammenarbeit mit dem Labor von Eyal Ben-David an der Hebräischen Universität Jerusalem, in einer in Nature veröffentlichten Studie die Entdeckung des ersten elternspezifischen Effekts der Genexprimierung bei Nematoden (Fadenwürmern).
Bei diploiden Organismen vererbt jedes Elternteil einen Chromosomensatz. Allerdings werden nicht alle darin enthaltenen Gene im gleichen Ausmaß exprimiert; einige Gene können inaktiviert werden, je nachdem, ob sie von der Mutter oder vom Vater geerbt wurden. Dieses Phänomen, das als genomische Prägung (“genomic imprinting”) bekannt ist, beruht auf der DNA-Methylierung, einem epigenetischen Signal, das in jeder Generation gelöscht und neu geschrieben wird. Die genomische Prägung entstand unabhängig voneinander bei Säugetieren und Pflanzen vor über 100 Millionen Jahren. Wie sich dieser Mechanismus entwickelt hat, ist jedoch bisher weitgehend ein Rätsel geblieben. Der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels liegt darin, zu verstehen, wie sich elternspezifischen Effekte, die das Grundelement für die Evolution der genomischen Prägung sind, überhaupt entwickelt haben.
Vor dreißig Jahren stellte Denise Barlow, eine Pionierin in der Erforschung genetischer Prägung am ebenfalls am Vienna BioCenter angesiedelten IMP, eine neue Hypothese auf: Die genetische Prägung stehe evolutionär im Zusammenhang mit Abwehrmechanismen des Genoms zur Stilllegung parasitärer DNA-Elemente, den sogenannten “egoistischen genetischen Elementen”. Egoistische Elemente und die Abwehrmechanismen dagegen stehen ständig miteinander im Wettbewerb: Beide entwickeln sich weiter, um den jeweils anderen auszustechen. Obwohl in den dreißig Jahren, seit Denise Barlow ihre Theorie postulierte, viel über das Inaktivieren egoistischer Elemente herausgefunden wurde, fehlte eine direkte Verbindung zwischen den Abwehrmechanismen der Keimbahn und dem Entstehen der elternspezifischen Effekte.
Die Ergebnisse des Burga-Labors liefern das erste eindeutige Ergebnis darüber, wie elternspezifische Effekte aus dem genomischen Abwehrmechanismus des Wirts, basierend auf small RNA, entstehen können. Ihre Ergebnisse weisen auf den möglichen evolutionären Ursprung der genetischen Prägung hin.
Neugierde als Schlüssel zu einer neuen Entdeckung
Manchmal können in der Wissenschaft Neugierde und die Beobachtung überraschender Details zu unerwarteten Entdeckungen führen. Dies war der Fall, als die Erstautorin Pinelopi Pliota egoistische genetische Elemente in einem neuen Nematoden-Modellorganismus namens C. tropicalis untersuchte, einem nahen Verwandten des bekannteren C. elegans. Pliota untersuchte Toxin-Antidot-Elemente (TAs), eine Art egoistischer Elemente, die einen faszinierenden Mechanismus zur Sicherstellung ihrer Vererbung entwickelt haben: "Wenn ein Muttertier TA in sich trägt, ‘vergiftet’ es seine Eizellen mit einem Toxin, das nur durch ein Gegenmittel neutralisierbar ist, das ebenfalls im TA enthalten ist", erklärt sie. "Auf diese Weise sterben alle Nachkommen, die das TA nicht geerbt haben, oder sind in ihrer Entwicklung stark verzögert."
Um die Muttertiere für ihr Experiment zu erhalten, kreuzte die Gruppe immer eine C. tropicalis-Mutter, die das TA trug, mit einem Vater, der es nicht trug. "Pinelopi fragte mich einmal, ob wir diese Kreuzungen jemals andersherum durchgeführt hätten", erklärt Alejandro Burga, korrespondierender Autor der Studie. Ihre Neugierde führte zu einer interessanten Entdeckung: "Zu unserer Überraschung brachte diese umgekehrte Kreuzung Mütter hervor, die nicht in der Lage waren, ihre Eizellen zu vergiften. Plötzlich gab es überhaupt keinen Effekt mehr", erklärt Pliota.
Fasziniert von diesem unerwarteten Ergebnis beschloss das Team zu untersuchen, wie die Vererbung des TA von der Mutter oder vom Vater zu unterschiedlichen Auswirkungen führen könnte. "Wir wollten verstehen, was da geschieht, was die molekularen Grundlagen dieses elternspezifischen Effekts ist", sagt Burga.
Den Hemmfaktor hemmen: mütterliche mRNA "lizenziert” die Toxinexpression
Um den Mechanismus des beobachteten elternspezifischen Effekts herauszufinden, beschloss die Burga-Gruppe, den wichtigsten Keimbahn-Abwehrmechanismus gegen egoistische genetische Elemente, den so genannten piRNA-Weg, zu untersuchen. Im piRNA-Weg wird durch eine koordinierte Zusammenarbeit verschiedener kleiner RNA-Moleküle und Proteine die Expression egoistischer Elemente während der Keimbahnentwicklung stillgelegt, um damit die Genomstabilität bei der Reproduktion zu gewährleisten.
Die ForscherInnen, die mit dem Labor von Julius Brennecke, ebenfalls am IMBA, zusammenarbeiteten, konnten die piRNA-Moleküle und -Proteine identifizieren, die an der Unterdrückung des Toxin-Antidot-Elements beteiligt sind. All diese Faktoren allein erklärten jedoch nicht die herkunftsspezifischen Ergebnisse, die sie beobachteten: Den ForscherInnen fehlte immer noch ein Teil des Puzzles.
Zum Glück hatte die Gruppe um Burga noch einen letzten Trick in petto: "Wir wussten aus früheren Studien, dass Nematoden verschiedene raffinierte Methoden entwickelt haben, um ihre eigenen Gene von fremden Elementen wie einem Virus oder einem egoistischen Element zu unterscheiden”, sagt Burga. "Wir erkannten, dass in diesem Fall das fehlende Schlüsselelement die mütterliche RNA war, die in die Eizellen eingebracht wird".
Die ForscherInnen wiesen nach, dass die TA-Elemente bei der mütterlichen Vererbung von Toxin-mRNA begleitet wird, die in der Keimbahn der Mutter exprimiert wird und mit dem das Ei ‘beladen’ wird. Die Burga-Gruppe zeigte, dass diese mRNA das TA als "eigenes" markiert, so dass es nicht durch den piRNA-Weg stillgelegt werden kann. "Dieser Prozess wird als epigenetische Lizenzierung bezeichnet, und sein Gleichgewicht mit dem piRNA-Weg entscheidet, ob ein Gen exprimiert wird oder nicht".
Wird das TA hingegen väterlicherseits vererbt, findet aufgrund des Fehlens mütterlicher mRNA keine Lizenzierung statt, was zu einer starken Unterdrückung des Toxin-Gens und einer sehr geringen Expression des Toxins führt. "Standardmäßig bringt der piRNA-Weg das Toxin-Gen zum Schweigen", erklärt Burga. "Es sei denn, es gibt eine mütterliche mRNA, die es lizenziert, indem sie den piRNA-Signalweg unterdrückt. Diese Hemmung des Inhibitors bewirkt, dass das Toxin-Gen aktiv ist und die Eizellen vergiftet werden".
Interessanterweise beobachteten die ForscherInnen, dass dieses Silencing-Muster über mehrere Generationen hinweg anhält, was bedeutet, dass eine fehlende Lizenzierung in einer Generation sogar die Urenkel beeinflussen kann. Dies ist bei der genomischen Prägung nicht der Fall, die in jeder Generation zurückgesetzt wird.
Evolution der genetischen Prägung
Die Ergebnisse der Burga-Gruppe untermauern die evolutionäre Verbindung zwischen elternspezifischer Genexpression und Wirtsabwehrmechanismen, indem sie die Ursprünge zu Organismen zurückverfolgen, denen DNA-Methylierung und herkömmliche Prägung fehlen. Trotz der Unterschiede zwischen diesen Prozessen bei Nematoden und Säugetieren ist die Burga-Gruppe der Ansicht, dass der von ihr beschriebene Mechanismus einen ersten evolutionären Schritt für fortgeschrittenere Formen des vererbten Silencing darstellen könnte. Diese fortgeschritteneren Formen des Silencing regulierten schließlich die Expression von endogenen Genen der Zelle, was zur Evolution der genomischen Prägung führte.
Selfish conflict underlies RNA-mediated parent-of-origin effects
Pinelopi Pliota, Hana Marvanova, Alevtina Koreshova, Yotam Kaufman, Polina Tikanova, Daniel Krogull, Andreas Hagmüller, Sonya A. Widen, Dominik Handler, Joseph Gokcezade, Peter Duchek, Julius Brennecke, Eyal Ben-David, Alejandro Burga.
DOI: 10.1038/s41586-024-07155-z
Mikroskopische Fluoreszenzaufnahme eines C.tropicalis-Wurms.
Pinelopi Pliota/IMBA
Pinelopi Pliota/IMBA
Originalpublikation:
Selfish conflict underlies RNA-mediated parent-of-origin effects
Pinelopi Pliota, Hana Marvanova, Alevtina Koreshova, Yotam Kaufman, Polina Tikanova, Daniel Krogull, Andreas Hagmüller, Sonya A. Widen, Dominik Handler, Joseph Gokcezade, Peter Duchek, Julius Brennecke, Eyal Ben-David, Alejandro Burga. Nature.
DOI: 10.1038/s41586-024-07155-z
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Biologie
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Deutsch
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