Rostock, Schwerin und Greifswald gehören zu den Städten, in denen Armut sich besonders ungleich verteilt. Besonders viele sozial benachteiligte Menschen leben dort in Großwohnsiedlungen. Diese ehemals sozial durchmischten Wohnviertel haben sich zu Quartieren mit hohen Armutsquoten und einem hohen Anteil von Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund gewandelt. Eine aktuelle Untersuchung zeigt, dass die soziale Zusammensetzung dieser Gebiete auch mit einer etwas niedrigeren Wohnzufriedenheit sowie einer Stigmatisierung durch Bewohner:innen anderer Stadtteile zusammenhängt. Kommunale Stadtumbauprogramme können den schlechten Ruf der „Platte“ und die gefühlte Wohnqualität verbessern.
Aktuelle Studien und die Auswertung amtlicher Daten zeigen, dass sich soziale Gruppen in den ostdeutschen Städten besonders ungleich über die einzelnen Stadtteile verteilen. Diese soziale Spaltung ist maßgeblich durch die Unterschiede zwischen den Großwohnsiedlungen und den restlichen Wohngebieten geprägt. In den Großwohnsiedlungen sind die Armutsquoten höher, der Anteil von Personen mit akademischem Abschluss oder von einkommenshohen Haushalten ist dagegen niedrig. Zudem kam es in den letzten Jahren zu einem vermehrten Zuzug von Neuzugewanderten. Die Auswertung amtlicher Daten zeigt das auch für Rostock, Schwerin und Greifswald: Armut ist in diesen Städten besonders ungleich verteilt und ballt sich in den Großwohnsiedlungen.
Ist Wohnen in der „Platte“ wirklich unbeliebt?
Ob die – den Daten nach – zum Teil prekäre soziale Lage in diesen Stadtteilen auch mit der Wohnzufriedenheit, der Wertschätzung für das eigene Viertel und dem nachbarschaftlichen Zusammenleben zusammenhängt, sollte eine Befragung der Einwohner:innen im Jahr 2022/23 zeigen. Die Befragung wurde von Professor Marcel Helbig und Sebastian Steinmetz im Rahmen des Projekts „Wissenschaftliche Begleitung der Wohnungsbaupolitik in Mecklenburg-Vorpommern“ in Kooperation mit den Stadtverwaltungen von Greifswald, Rostock und Schwerin durchgeführt. Insgesamt haben mehr als 8.200 Personen daran teilgenommen.
Überraschend ist, dass zwar die Zufriedenheit mit der eigenen Wohnqualität oft nur geringfügig von den gesamtstädtischen Zufriedenheitswerten abweicht, aber die Frage „Würden Sie einer befreundeten Person Ihr Viertel zum Wohnen empfehlen?“ überdurchschnittlich oft verneint wurde. Eigen- und Fremdwahrnehmung der Stadtteile sind also nicht deckungsgleich. In den Großwohnsiedlungen zeigt sich außerdem, dass Probleme wie Vandalismus, Verschmutzung, Kriminalität und Lärm stärker wahrgenommen werden als in anderen Stadtvierteln. Auch das nachbarschaftliche Zusammenleben wird in den meisten Großwohnsiedlungen schlechter bewertet als in anderen Quartieren, aber auch dort, wo viele jüngere Bewohner:innen leben. Insgesamt zeigt sich, dass die Großwohnsiedlungen in den verschiedenen Städten sehr unterschiedlich wahrgenommen werden.
Kommunen können Einfluss nehmen
Helbig und Steinmetz sind auch der Frage nachgegangen, ob es die bauliche Struktur der Plattenbauten ist, die zu einer größeren Unzufriedenheit mit der Wohnsituation führt oder ob andere Faktoren als Erklärung dienen können. Die Analysen zeigen, dass es tatsächlich die ungünstige soziale Zusammensetzung der Großwohnsiedlungen ist, die zu höherer Unzufriedenheit führt. Positive Entwicklungen und eine deutlich bessere Beurteilung des eigenen Viertels zeigen sich entsprechend dort, wo Kommunen aktiv städtebauliche Programme durchgeführt haben und infolgedessen die soziale Zusammensetzung der Siedlungen gemischter ist. Beispiele sind das Ostseeviertel in Greifswald, Lankow in Schwerin und Lichtenhagen in Rostock, wo neben den Plattenbauten neue Ein- und Zweifamilienhäuser entstanden und die Wohnungen weitgehend im kommunalen Bestand sind. In Vierteln, in denen Wohnungen privatwirtschaftlich vermarktet werden, haben die Kommunen dagegen nur sehr geringen Einfluss auf die städtebauliche Entwicklung.
Insgesamt stehen die Kommunen vor einem großen Handlungsdruck. Die Forscher verweisen hier auf das Landesprogramm „Zukunft Wohnen“, das Startchancen-Programm der Bundesregierung und auf zivilgesellschaftliche Initiativen wie „Ein Quadratkilometer Bildung“, die diese Herausforderungen adressieren.
Hintergrund
Die Ergebnisse der Einwohnerbefragungen „Wohnen und Nachbarschaft“ und der Auswertungen von amtlichen Daten in den Städten Schwerin, Rostock und Greifswald wurden am 12. März 2024 der Öffentlichkeit vorgestellt. Zu der Online-Veranstaltung waren Repräsentant:innen und Einwohner:innen der drei Städte eingeladen. Die Befragung ist Teil des Projekts „Wissenschaftliche Begleitung der Wohnungsbaupolitik in Mecklenburg-Vorpommern“ am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe (LIfBi).
https://www.lifbi.de/de-de/Start/Institut/Personen/Person/account/201 Prof. Dr. Marcel Helbig
https://www.lifbi.de/de-de/Start/Institut/Personen/Person/account/4370 Sebastian Steinmetz
Helbig, M., & Steinmetz, S. (2024). Ist die Wohnbevölkerung in sozial benachteiligten Quartieren mit ihrem Wohnumfeld (un)zufrieden? Sozialstruktur und Wohnzufriedenheit in den Stadtteilen von Greifswald, Rostock und Schwerin. LIfBi Working Paper 112. Leibniz Institut für Bildungsverläufe. https://doi.org/10.5157/LIfBi:WP112:1.0
https://www.lifbi.de/Portals/2/LIfBi%20Working%20Papers/Helbig-Steinmetz_Pr%C3%A... Präsentation der Ergebnisse vom 12.03.2024 (PDF)
http://www.lifbi.de/Wohnungsbaupolitik-MV Webseite Projekt "Wohnungsbaupolitik Mecklenburg-Vorpommern"
https://www.lifbi.de/Portals/2/Publikationen/Newsletter/Interview_Marcel Helbig_Neue Studie soziale Segregation in 153 deutschen St%C3%A4dten.pdf Interiew mit Marcel Helbig (PDF)
Prof. Dr. Marcel Helbig
Julia Wirnitzer
LIfBi
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Bauwesen / Architektur, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Politik
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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