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20.03.2024 10:04

Bioinformatiker entschlüsseln essenzielle biochemische Signalwege bei der Reizübertragung im Gehirn

Gerhild Sieber Pressestelle der Universität des Saarlandes
Universität des Saarlandes

    Die reibungslose Weiterleitung neuronaler Impulse im Gehirn ist auf eine spezielle Kaskade eingespielter molekularer Prozesse angewiesen, die mit zunehmendem Alter aus dem Gleichgewicht gerät. Diese hat nun ein Team um den Saarbrücker Bioinformatiker Fabian Kern vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) genauer erforscht. In Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der Stanford University fanden sie heraus, welche Gene die Aktivierung zentraler Gehirnzellen, der Oligodendrozyten, steuern. Die Studie wurde im Fachjournal PNAS veröffentlicht.

    Was geschieht, wenn das Gehirn altert, Gedächtnisprozesse nicht mehr richtig funktionieren oder gar degenerative Gehirnerkrankungen auftreten? – „Von entscheidender Bedeutung für ein gut funktionierendes Gehirn ist Myelin, eine isolierende Schicht um die Fortsätze unserer Nervenzellen“, weiß Dr. Fabian Kern. Der Bioinformatiker leitet eine Nachwuchsgruppe in der Abteilung für Klinische Bioinformatik am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) – ein Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Zusammenarbeit mit der Universität des Saarlandes. Fabian Kern hat mit seinem Team herausgefunden, welche altersabhängigen zellbiologischen Mechanismen bei der sogenannten Myelinisierung ablaufen. Ein schwerwiegender Verlust von Myelin ist zum Beispiel eine der Hauptursachen der Multiplen Sklerose. Eine Schlüsselrolle hierbei spielen spezifische Gehirnzellen, die Oligodendrozyten; wie genau sie aktiv und im Alter funktionsfähig bleiben, war bisher nicht bekannt.

    Die aktuelle Forschungsarbeit entstand in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen der Stanford University in Kalifornien. Sie baut auf einer inzwischen mehr als hundertmal zitierten Veröffentlichung in „Nature“ aus dem Jahr 2022 auf, an der Fabian Kern damals im Team von Bioinformatik-Professor Andreas Keller beteiligt war. In der Studie wurde die Wirkweise des Signalproteins Fgf17 beschrieben, das normalerweise in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit, dem sogenannten Liquor oder Nervenwasser, vorhanden ist, dort jedoch mit zunehmendem Alter in immer geringerer Konzentration vorkommt. Eine Folge sind Alterungsprozesse im Gehirn wie etwa abnehmende Gedächtnisleistung, aber auch mögliche neurologische Erkrankungen. „Damals haben wir herausgefunden, dass Fgf17 normalerweise eine Kaskade biochemischer Reaktionen auslöst, in deren Verlauf die zur Gruppe der Gliazellen gehörenden Oligodendrozyten im Gehirn aktiv werden“, sagt Fabian Kern. Deren zentrale Aufgabe ist der Aufbau von Myelin. „Dies geschieht, indem sich die Oligodendrozyten zu den Neuronen bewegen, mit ihren ‚Armen‘ den Nervenfortsatz (Axon) umfassen und eine Myelinschicht produzieren.“ Diese Schicht aus Fett und Proteinen wirkt wie die Isolierung bei einem Stromkabel und sorgt für eine ungestörte elektrische Reizweiterleitung. Das Saarbrücker Team konnte 2022 erstmals zeigen, dass für die Aktivierung der Oligodendrozyten das Gen SRF (Serum Response Factor) entscheidend ist: „Als Transkriptionsfaktor aktiviert SRF, angestoßen durch das extrazelluläre Fgf17, eine Palette von weiteren Genen und löst dadurch innerhalb der Zellen die Signalwege aus, die letztendlich zur erneuten Myelinisierung der Neuronen führen“, erläutert der Wissenschaftler.

    „Wir haben zuvor ‚von außen‘ beobachtet, dass durch die Wiederherstellung von Fgf17 auf den Level eines jungen Organismus die messbare Gedächtnisleistung im alten Organismus deutlich verbessert werden kann, wofür die Oligodendrozyten wohl hauptverantwortlich sind. Jedoch blieb als eine der offenen Fragen, wie genau der hierdurch ausgelöste Mechanismus funktioniert. In unserer aktuellen Arbeit haben wir deshalb die zellbiologischen Signalwege der Oligodendrozyten im Kontext von SRF detailliert aufgeschlüsselt“, erläutert Fabian Kern. Sein Team kollaborierte dabei eng mit der Forschungsgruppe des Zellbiologen J. Bradley Zuchero von der Stanford University. Mit Hochdurchsatz-Sequenziermethoden konnten die US-Wissenschaftler diejenigen Gene der Oligodendrozyten charakterisieren, an die SRF spezifisch bindet und damit aktiviert. Die bioinformatische Analyse der Daten anhand von modernsten Computerverfahren führte das Team von Fabian Kern in Saarbrücken durch.

    „Wir fanden heraus, dass SRF tatsächlich diejenigen Gene hochfährt, die das Zellskelett der Oligodendrozyten konstituieren. Dieses Netzwerk fadenförmiger Proteine sorgt dafür, dass die Oligodendrozyten beweglich werden, ihre Form stark verändern und letztlich die Myelinisierung überhaupt erst durchführen können“, fasst Fabian Kern die Forschungsergebnisse zusammen. Laborversuche bestätigten: Wurde das Protein SRF in Oligodendrozyten ausgeschaltet, so verschwand die Dynamik des Zellskeletts, und die Myelinisierung stoppte, weil die dafür entscheidenden Gene nicht mehr aktiv waren.

    SRF ist also ein entscheidender Regulator für die Aktivierung von Zellskelett-Genen, die in Oligodendrozyten für die Myelinisierung, und damit auch für die gesunde Funktion unseres zentralen Nervensystems, erforderlich sind. Darüber hinaus lässt er sich von außerhalb der Zellen steuern – denn wie 2022 bereits gezeigt wurde, ist Fgf17 ein essenzielles Signalmolekül im Liquor des Gehirns und gleichzeitig ein SRF-Aktivator, dessen Verfügbarkeit jedoch mit zunehmendem Alter immer mehr abnimmt.

    Die Ergebnisse könnten daher ein Ansatz für ein neues Medikament sein, das in die Biologie der Oligodendrozyten eingreift und sich damit therapeutisch auf Alterungsvorgänge im menschlichen Gehirn auswirkt. Für solch ein komplexes Unterfangen ist in der Regel ein interdisziplinäres Team aus Biotechnologen, Pharmazeuten, Medizinern, Naturwissenschaftlern und Bioinformatikern notwendig. Fabian Kern bewertet deshalb die neuen Erkenntnisse zur Wiederherstellung der Myelinisierung als idealen Einstieg für eine neue Medikamentenentwicklungsstudie im Rahmen des Clustervorhabens nextAID³, mit dem sich die Universität des Saarlandes bei der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder bewirbt (https://www.uni-saarland.de/forschen/nextaid3.html), und in dem genau diese Kombination aus fachlicher und international erfolgreicher Expertise bereits zusammengefunden hat.

    Link zur Originalpublikation: https://doi.org/10.1073/pnas.2307250121
    PNAS-Cover mit Bildunterschrift: https://www.pnas.org/toc/pnas/121/12

    Fragen beantwortet:
    Dr. Fabian Kern
    E-Mail: fabianmichael.kern@helmholtz-hips.de
    Tel.: 0681 98806 6400
    http://www.helmholtz-hips.de/de/forschung/teams/team/raeumlich-zeitlich-aufgeloeste-einzelzell-bioinformatik/


    Originalpublikation:

    https://doi.org/10.1073/pnas.2307250121


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
    Biologie, Informationstechnik, Medizin
    überregional
    Kooperationen, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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