Die Krise wird zum Dauermodus in Politik und Gesellschaft. Hat angesichts dieser gewaltigen Herausforderungen eine sozial-ökologische Transformation überhaupt noch eine Chance? Dieser Frage ging die BMBF-Nachwuchsgruppe „Mentalitäten im Fluss“ (flumen) an der Universität Jena nach. Befragt wurden 4.000 Menschen, um ihre Sichtweisen, Einstellungen und Gefühlslagen bezüglich des gesellschaftlich-ökologischen Wandels zu erfahren. Die Ergebnisse zeigen, dass die Meinungen teils eklatant auseinandergehen. Sie hängen stark mit der sozialen Lage der Befragten und den damit verbundenen Interessen zusammen. Die Gruppe „flumen“ wertet ihre Ergebnisse als neuen sozial-ökologischen Klassenkonflikt.
„Bei der Befragung kristallisierten sich entlang mehrerer Konfliktdimensionen zehn Mentalitäten heraus, die sich in drei Mentalitätsspektren bündeln lassen“, sagt Dr. Martin Fritz, der die „flumen“-Nachwuchsgruppe seit April dieses Jahres leitet. Jedes Spektrum lasse sich mit spezifischen Positionen im sozialen Raum in Verbindung bringen, so Dr. Fritz weiter. Im Einzelnen konstatieren die Forscherinnen und Forscher ein ökosoziales Spektrum, das zügige und entschlossene Transformation fordert und vorwiegend in bildungsbasierten mittleren und höheren Sozialpositionen zu finden ist, während das eher in eigentumsbasierten Sozialpositionen zu findende konservativ-steigerungsorientierte Spektrum die gewohnte, auf Wachstum fixierte Lebens- und Wirtschaftsweise verteidigt. Das dritte Spektrum herrscht in benachteiligten Sozialpositionen vor und wird als defensiv-reaktiv beschrieben; es ist geprägt von Resignation und Rückzug bis hin zu wütender Abwehr gegen „grüne“ und transformative Initiativen.
Das Zusammenspiel von Mentalitätsspektren und Sozialpositionen lässt sich an verschiedenen Konfliktdimensionen verorten. Da gebe es etwa den Konflikt zwischen „Oben“ und „Unten“, wobei sich die Menschen im unteren Sozialraum von gesellschaftlichen Steigerungserwartungen und beschleunigten Veränderungsprozessen überfordert sehen. „Das befördert in dieser Gruppe Ressentiments und regressive Abwehrbewegungen gegen ʼdie da obenʼ“, sagt Martin Fritz. Es entstehe das Gefühl, von der Gesellschaft „entfremdet“ zu sein. Ein weiterer Konflikt bezieht sich auf den Gegensatz zwischen privaten Eigentumsinteressen und dem Bedarf an öffentlich geteilter Infrastruktur. Außerdem konstatieren die Jenaer Forscherinnen und Forscher einen Veränderungskonflikt, der sich an der Frage entzündet, ob Transformation überhaupt notwendig ist, wie weit sie gehen soll und wer die Kosten dafür trägt. Schließlich wird ein Externalisierungskonflikt diagnostiziert, der sich um die Kostenauslagerung der bisherigen fossilen Lebensweise dreht.
Repräsentative Studie mit insgesamt 4.000 befragten Personen
In der Studie wurden Ende 2021/Anfang 2022 insgesamt 4.000 per Zufall ausgewählte Personen befragt. Die Daten sind hinsichtlich Alter, Geschlecht, Wohnort und Schulabschluss repräsentativ für die Gesamtbevölkerung Deutschlands. Im Vergleich zu ähnlichen Untersuchungen ist ein interessanter Unterschied bei dieser Studie, dass für den Streit um Transformation weder eine Polarisierung noch ein breiter Konsens in der Gesellschaft konstatiert wird, sondern eine Dreiecksbeziehung zwischen den genannten drei Spektren, welche sowohl das Potenzial für verschiedene Allianzen als auch Gefahren der politischen Radikalisierung enthält. Die Ergebnisse der Studie liegen als kompakter Forschungsbericht vor und werden im Sommer als ausgearbeitetes Buch veröffentlicht.
Judith Kiss
Nachwuchsgruppe „Mentalitäten im Fluss“ (flumen),
Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Leutragraben 1, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944037
E-Mail: judith.kiss@uni-jena.de
Eversberg, Dennis et. al.: Der neue sozial-ökologische Klassenkonflikt: Mentalitäts- und Interessengegensätze im Streit um Transformation. https://doi.org/10.22032/dbt.59592
https://www.fsv.uni-jena.de/flumen - BMBF-Nachwuchsgruppe „Mentalitäten im Fluss“ (flumen) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Landwirte protestieren gegen die Politik der Regierung. Beispiel für einen sozial-ökologischen Klass ...
(Foto: Jens Meyer/Uni Jena)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Landwirte protestieren gegen die Politik der Regierung. Beispiel für einen sozial-ökologischen Klass ...
(Foto: Jens Meyer/Uni Jena)
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