idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
05.04.2024 13:19

Lieber schnell schauen statt lang planen

Dr. Oliver Schmidt Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Osnabrück

    Studie der Uni Osnabrück untersucht die Rolle des Blicks bei Bewältigung neuer und komplexer Aufgaben

    Ein Regal einzuräumen ist etwas, das wir tun, ohne viel darüber nachzudenken – oder? Tatsächlich müssen verschiedene Fähigkeiten koordiniert werden, um selbst einfache Aufgaben zu bewältigen: Hand-Augen-Koordination, Gedächtnis, Problemlösung und Aufmerksamkeit sind nur einige davon. Damit alles reibungslos und schnell klappt, muss außerdem das Zusammenspiel dieser kognitiven Anforderungen geplant werden.

    Bereits im Jahr 2001 fand eine Studie heraus, dass Menschen bei leichten und bekannten Aufgaben bevorzugt einfache Handlungsmuster nutzen und „faule“ Planer sind. Ein Team aus Forscherinnen und Forschern des Instituts für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück hat nun herausgefunden, dass wir auch bei neuen und schwierigen Aufgaben die so genannte "just in time"-Strategie verfolgen. So das Ergebnis einer Studie der Kognitionswissenschaftlerin Ashima Keshava und des Leiters des Fachgebiets Neurobiopsychologie, Prof. Dr. Peter König. Die Erkenntnisse können helfen, Lernprozesse besser zu verstehen und zu optimieren.

    „Wenn wir Aufgaben lösen, bei denen wir Gegenstände benutzen – zum Beispiel beim Autofahren oder beim Kochen – , können wir viele nützliche Informationen gewinnen, indem wir uns die Gegenstände ansehen und unsere Bewegungen entsprechend anpassen: Beispielsweise müssen wir ein Messer anders handhaben als einen Ball und einen heißen Gegenstand anders als einen kalten“, erklärt Ashima Keshava, Doktorandin der Kognitionswissenschaften. „Die just in time Strategie beschreibt, dass wir den Blick erst kurz vor dem Gebrauch auf den Gegenstand richten. Erst in den letzten 600 Millisekunden vor der Handlung nehmen wir so alle wichtigen Informationen über ihn auf. Statt Objekte lange zu betrachten, sich ihre Eigenschaften einzuprägen und dann einen Handlungsablauf zu planen, unterstützt der Blick nur kurzfristige Handlungen. Das spart bei komplexen Aufgaben geistige Anstrengung und ermöglicht schnelles Handeln, führt aber häufig zu wenig optimalen Abläufen.“

    In der Studie sollten 55 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einer virtuellen Umgebung Gegenstände in die Fächer eines Schranks einsortieren. Die Gegenstände unterschieden sich in Form und Farbe und mussten nach bestimmten Vorgaben sortiert werden: Im einfachen Schwierigkeitsgrad sollte beispielsweise nur nach Farbe sortiert werden. Im komplexeren Schwierigkeitsgrad dagegen so, dass je eine Farbe und eine Form nur einmal pro Reihe vorkommen.

    Bei der komplexeren Aufgabe hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwar länger geplant, die Handlungen aber genauso schnell und nach der "just in time"-Methode ausgeführt. Deshalb seien die Handlungsabläufe trotz längerer Planung weit vom Optimum entfernt gewesen.

    „Unsere Studie zeigt einen engen Zusammenhang zwischen Blick und Handlung. Genauer gesagt dient der Blick immer nur der kurzfristigen Planung: Wir schauen, wo der nächste Gegenstand liegt, führen die Hände in diese Richtung und Überwachen die Handlung.“, so Prof. Dr. König. „Ein solch simpler Ansatz sorgt dafür, dass Menschen bei erhöhten kognitiven Anforderungen suboptimale Abläufe der Planung vorziehen.“

    „Unsere Studie deutet darauf hin, dass Aufgaben mit Objekten wenig mit dem Gedächtnis zu tun haben und dass Menschen darauf verzichten Handlungen langfristig zu planen. Wir springen mit dem Blick immer zu dem Objekt, das wir als nächstes benötigen“, sagt Keshava. „Dieses Wissen könnte genutzt werden, um Handlungen zu lenken und Lernprozesse zu verbessern. Unsere Industriepartner bei Halocline.io entwickeln beispielsweise Virtual-Reality-Lösungen für die Schulung im richtigen Umgang mit Maschinen und Werkzeugen. Training mit einem KI-Assistenten könnten das Lernen erleichtern, indem Teile der Maschinen hervorgehoben werden, die für den nächsten Handgriff relevant sind. Das menschliche Blickverhalten wiederum kann dem KI-System Rückmeldung über den kognitiven Zustand des Menschen geben. Wenn er den Faden verloren hat und etwas sucht, kann der Assistent ihn zum aufgabenrelevanten Objekt zurückführen.“

    Die Ergebnisse der Studie lassen sich in die Theorie des schnellen und langsamen Denkens einordnen. Das von dem kürzlich verstorbenen Nobelpreisträger Daniel Kahneman entwickelte System unterscheidet unser Denken in zwei Arten: Langsames Denken geschieht bewusst, wird nur in anspruchsvollen Situationen aktiviert und wirkt logisch. Schnelles Denken hingegen geschieht automatisch, ist immer aktiv und ist tendenziell emotionaler. Da langsames Denken anstrengend und mühsam ist, sind unsere Kapazitäten dafür rasch erschöpft. Deshalb greifen wir oft auf das einfache, schnelle Denken zurück. Keshava und König konnten in ihrer Studie zeigen, dass Augenbewegungen – die am häufigsten ausgeführte Bewegung des Menschen im Alltag – eng mit schnellem Denken verbunden sind: Menschen sind nur dann „faule“ Planer, wenn es schnell gehen muss und das gilt auch für unseren Blick.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Ashima Keshava
    Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Uni Osnabrück
    E-Mail: akeshava@uni-osnabrueck.de


    Originalpublikation:

    http://dx.doi.org/10.1101/2021.01.29.428782


    Bilder

    Versuchsaufbau in der virtuellen Realität
    Versuchsaufbau in der virtuellen Realität
    Peter König
    Peter König


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Psychologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Versuchsaufbau in der virtuellen Realität


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).