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16.12.1998 18:48

NO: Vielfach verwendet, aber nicht als Medikament zugelassen

Dr. med. Silvia Schattenfroh GB Unternehmenskommunikation
Charité-Universitätsmedizin Berlin

    Über die Schwierigkeit kontrollierter Studien auf Intensivstationen / NO verdrängt ECMO

    AUS DER MEDIZIN FÜR DIE MEDIEN Nr. 19 1998

    Gewiß hätte die Vergabe des Nobelpreises für Medizin in diesem Jahr seinen Stifter Alfred Nobel besonders gefreut. Wurden doch drei Forscher geehrt für die Aufdeckung der Bedeutung des anorganischen Moleküls Stickstoffmonoxyd (Stickoxyd) NO, das sich als ein universaler Botenstoff im Organismus herausstellt, aber ebenso im Sprengstoff Nitroglycerin wirksam ist, mit dem Nobel sein Vermögen gemacht hatte. Die Funktion von NO im Organismus besteht vor allem in der Weitstellung verengter Gefäße.
    Da krankhafte Verengung von Blutgefäßen bei vielen Krankheiten anzutreffen ist, vom Bluthochdruck über Nierenleiden, Herzinfarkt und Schlaganfall bis zu Lungenleiden, war es vorhersehbar, daß die Medizin diese Substanz therapeutisch zu nutzen sucht.
    Wenige Tage vor der Verleihung der Nobelpreise am 10.Dezember fand in Stockholm ein Symposium statt, das sich mit der Anwendung von NO bei Lungenerkrankungen befaßte und auf dem auch Professor Konrad Falke, Direktor der "Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin" der Charité, referierte. Wir sprachen mit ihm.

    Sch.: Herr Professor Falke, die Zeitschrift Science erklärte NO im Jahre 1992 zum "Molekül des Jahres". Sie haben um die gleiche Zeit Patienten, deren Lunge akut zu versagen drohte, weltweit erstmals erfolgreich mit NO beatmet. Ist NO ein Medikament?
    Falke: Niemand hatte anfangs gedacht, daß NO als Gas einmal zu einem Medikament werden könnte. Jetzt sehen wir aber bereits zwei Anwendungsgebiete: Die bekanntere dürfte die gefäßbedingte Erektionsunfähigkeit sein. NO erweitert die Gefäße im Schwellkörper des Penis, wodurch vermehrt Blut einströmt. Das Präparat "Viagra" verstärkt die Wirkug von NO.
    Außerdem wird das Gas weltweit bei akutem Lungenversagen angewandt. Hier geht es darum, die bei diesem Zustand extrem eng gestellten Lungengefäße, die kaum noch Sauerstoff aufnehmen, zu erweitern. NO kann als Gas inhaliert werden. Das ist eine völlig neue Therapie des Lungenversagens, die es zugleich erstmals ermöglicht, den erhöhten Blutdruck in der Lungenstrombahn zu senken, ohne gleichzeitig den Druck im Körperkreislauf absinken zu lassen, was lebensgefährlich ist. Dennoch ist NO für diesen Zweck in keinem Land der Welt als Medikament zugelassen.
    Sch.: ......wird aber trotzdem überall verwendet....
    Falke: NO mußte man nicht entwickeln, es war als industriell-technisches Gas vorhanden. Man mußte nur die Beatmungsgeräte auf der Intensivstation technologisch so einrichten, daß das Gas gefahrlos dem Atemgemisch beizumengen war.
    Sch.:Gefahrlos?..
    Falke: NO ist giftig. In die Blutbahn eingedrungen geht es mit dem sauerstoffstransportierenden Blutfarbstoff (Hämoglobin) eine Verbindung ein. Es entsteht Met-Hämoglobin, das keinen Sauerstoff mehr binden kann. Deshalb darf NO nur in sehr niedrigen Konzentrationen inhaliert werden. Außerdem verbindet es sich mit dem Sauerstoff der Atemluft zu dem äußerst gefährlichen NO2, aus dem bei Kontakt mit Feuchtigkeit eine stark ätzende Säure entsteht, die der Lunge schaden würde. Die Beatmungsgeräte müssen daher so konstruiert sein, daß eine präzise Dosierung möglich ist und das Risiko der NO2 Bildung ausgeschlossen wird.
    Sch: Wo liegt der Nutzen?
    Falke: Dazu gibt es viele kritische Stimmen. Die physiologischen Effekte scheinen sehr interessant, aber der Nutzen ist bis heute nicht exakt nachgewiesen. Dennoch sind die meisten Ärzte, die NO einsetzen, von seinem Nutzen überzeugt. Ihn aber zu beweisen in kontrollierten Studien, ist sehr schwer.
    Sch.: Warum?
    Falke: Wir haben selbst (New England Journal 328 [1993] 399-405) zwar gezeigt, daß beim akuten Atemnotsyndrom des Erwachsenen (ARDS) der Einsatz von NO nützlich ist, weil der überhöhte Blutdruck in der Lunge verringert wird und die Durchblutung von normal belüfteten Arealen zunimmt. Es konnte jedoch nicht bewiesen werden, daß die Patienten durch NO-Inhalation schneller gesund würden oder ihre Überlebenschancen stiegen.
    Außerdem hat NO eine unvermeidbare Nebenwirkung. Es hemmt die Blutgerinnung, was in manchen Fällen (etwa bei Sepsis) sogar ein erwünschter Effekt sein kann. Auf der anderen Seite besteht ein zusätzliches Blutungsrisiko, wodurch das Risiko für Gehirnblutungen, das bei diesen Patienten schon durch die Grundkrankheit gegeben ist, steigt. Bei unseren 220 Patienten mit schwerem ARDS, die wir in den vergangenen 10 Jahren von anderen Kliniken übernommen und etwa zur Hälfte mit NO-Inhalation behandelt haben, konnten wir aber in Verbindung mit NO-Gabe keine erhöhte Häufigkeit von Hirnblutungen feststellen. Insgesamt ist der Anstieg der Überlebensrate unserer Patienten von anfangs 30 auf jetzt etwa 75 Prozent schon sehr hoch, (was übrigens die Vorteile der Behandlung Schwerstkranker in einem spezialisierten Zentrum deutlich macht). Unter diesen Bedingungen ist es sehr schwierig, weitere Verbesserungen durch die Inhalation von NO statistisch nachzuweisen. Wir befinden uns in einem Dilemma, das die Intensivmedizin ganz allgemein betrifft: Zu beweisen, daß eine einzelne Maßnahme (NO-Inhalation) aus dem Bündel jener, die auf Intensivstationen bei Schwerstkranken eingesetzt werden, entscheidend nützlich ist, bleibt sehr kompliziert. Denn das Lungenversagen ist hier nur ein Faktor des krankhaften Geschehens. Verbessert man die Lungenfunktion, so bedeutet dies nicht notwendig, daß dies den Patienten rettet. Festzuhalten bleibt also einstweilen, daß es keine Zulassung für NO beim akuten Lungenversagen des Erwachsenen gibt. Ebensowenig für seine Verwendung nach Herzoperationen und Lungentransplantationen, wo das Gas aber trotzdem zur Verbesserung der Herz- und Kreislauffunktion unmittelbar nach der Operation eingesetzt wird.
    Sch. Mit welcher Rechtfertigung?
    Falke: Mit der des "individuellen Heilversuchs". Dabei trägt aber immer der verantwortliche Arzt das Risiko. Das kann man auf die Dauer aber nicht beibehalten.
    Sch:. Woher beziehen die Intensivstationen das NO?
    Falke: Wir nehmen seit 1990 technisch-industrielles NO höchster Reinheitsstufe, wie es auch weltweit verwendet wird. Allerdings hat die schwedische Firma AGA jetzt ein medizinisches NO entwickelt, das auch uns zur Verfügung steht und vermutlich im kommenden Jahr in den USA zugelassen werden wird.
    Sch.: Zur Behandlung welcher Krankheiten?
    Falke: .Nur für das sogenannte Atemnotsyndrom (ARDS) von Neugeborenen. Denn für dieses Einsatzgebiet ist der Nutzen von NO bewiesen. Bei diesem lebensbedrohlichen Zustand sind die Lungen des Kindes nicht ausreichend durchblutet. Beatmet man die Kinder mit NO, so nimmt die Durchblutung der Lunge schlagartig zu und die blaue Gesichtsfarbe verwandelt sich in rosa. In Amerika werden Neugeborene mit Lungenhochdruck und Mangeldurchblutung bisher routinemäßig an Geräte für ECMO (extra-corporale Membran-oxygenation) angeschlossen, die mit Herz-Lungenmaschinen vergleichbar sind. Das ist eine sehr eingreifende Maßnahme. Seit man jedoch solche Kinder zunächst mit NO beatmet, ist der Einsatz von ECMO dramatisch zurückgegangen. Das dürfte bei der anstehenden Zulassung für das NO bei Kindern in den USA berücksichtigt werden.
    Sch.: Erwarten Sie die Zulassung des AGA-Gases auch für das ARDS bei Erwachsenen?
    Falke: Das ist völlig offen. Natürlich wäre eine Zulassung zu begrüßen, denn die Verwendung von NO ohne Zulassung für den medizinischen Gebrauch hat bereits Kritik mit dem Vorwurf unethischen Verhaltens ausgelöst. Zulassung setzt aber positive Ergebnisse kontrollierter klinischer Studien voraus, die es bisher nicht gibt. Wenn aber Kinder NO schadlos tolerieren, so ist dies auch bei Erwachsenen zu erwarten. Daher wird sich die Sache für Erwachsene entschärfen, sobald die Zulassung für Kinder erst einmal erreicht ist.
    Bis dahin wird es beim "individuellen Heilversuch" bleiben.
    Sch.: Könnte man nicht mit einem Rückgang der Anwendungshäufigkeit von ECMO argumentieren?
    Falke: Im Prinzip ja, aber ECMO ist bei Erwachsenen eine wenig etablierte Behandlungsform, die nur in wenigen Zentren (in Deutschland in Marburg, München, Freiburg, Mannheim, Berlin und Aachen) zur Verfügung steht.
    Trotzdem stellen auch wir fest, daß die Notwendigkeit der Behandlung mit ECMO - bei gleichbleibend hoher Überlebensrate - stark zurückgeht.Wir werden im nächsten Jahr eine kleine kontrollierte Studie dazu vorlegen.
    Trotzdem bleibt der Nutzen von NO schwer nachzuweisen, denn die Kranken auf Intensivstationen haben sehr viele verschiedene Störungen, die sich gegenseitig verstärken. Wie sich eine einzelne Intervention auswirkt, ist schwer abzugrenzen.
    Sch.: Wie stehen denn Ethikkommissionen zu Studien an beatmeten Patienten?
    Falke: Eher zurückhaltend, denn die Einwilligung der Patienten fehlt, weil sie nicht mehr ansprechbar sind. Man kann nur handeln nach deren mutmaßlichem Willen.Aber das ist angreifbar. Manche Kliniken gehen dazu über, für solchen Patienten eine Pflegschaft zu bestellen, die man dann fragen kann. Wir fragen die Angehörigen, wobei man zugeben muß, daß die Einwilligung stark davon beeinflußt wird, wie die Dinge von den Ärzten dargestellt werden. Es gibt also auch hier ein Dilemma.
    Silvia Schattenfroh

    ____________________________________________________________

    Charité
    Medizinische Fakultät der
    Humboldt Universität zu Berlin

    Dekanat
    Pressereferat-Forschung
    Dr. med. Silvia Schattenfroh
    Schumannstraße 20/21
    10117 Berlin

    FON: (030) 2802-2223
    FAX: (030) 2802-3625
    e-mail: silvia.schattenfroh@charite.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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