Eine neue Studie unter Beteiligung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim zeigt, wie der Wachstumsfaktor Erythropoietin (EPO) Nervenzellen im Gehirn schützt und regeneriert. Insbesondere die wichtige Rolle von Interneuronen konnte nun aufgeklärt werden. Die Erkenntnisse könnten möglicherweise bei neuropsychiatrischen Erkrankungen von Bedeutung sein und künftig neue Therapieansätze ermöglichen.
Neuropsychiatrische Erkrankungen, beispielsweise Schizophrenie, Multiple Sklerose, sowie Depression oder Autismus-Spektrum-Störungen, werden mit kognitiven Beeinträchtigungen und einem gestörten Gleichgewicht von Erregung und Hemmung im Gehirn in Verbindung gebracht. Der Wachstumsfaktor Erythropoietin (EPO) fördert nicht nur die Bildung roter Blutkörperchen, sondern schützt und regeneriert auch Nervenzellen im Gehirn. EPO könnte damit eine wichtige Rolle bei der Linderung neuropsychiatrischer Erkrankungen zukommen, denn Untersuchungen an jungen Mäusen geben Aufschluss darüber, wie EPO bei der Instandsetzung und -haltung von Transkriptionsnetzwerken im Hippocampus und von synaptischen Strukturen an Pyramidenneuronen helfen kann. Unverstanden war bislang aber, wie EPO erregende Synapsen unter Einbeziehung von Interneuronen reguliert. Interneurone sind Nervenzellen des zentralen Nervensystems, die andere Nervenzellen miteinander verschalten.
Molekularer Atlas von Hippocampus-Interneuronen
In einer nun in der Fachzeitschrift Molecular Psychiatry veröffentlichten Arbeit konnte ein internationales Forscherteam unter anderem unter Beteilung des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim diese Zusammenhänge aufzeigen. Durch die Analyse von circa 12.000 transkriptomischen Einzelzellkern-Daten konnten die Forschenden einen umfassenden molekularen Atlas von Hippocampus-Interneuronen erstellen und dabei 15 Interneuron-Subtypen identifizieren.
„Wir haben anschließend molekulare Umgestaltungen unter sogenanntem rekombinantem humanem (rh)EPO untersucht und festgestellt, dass die hervorgerufenen molekularen Veränderungen vor allem die Art und Weise betreffen, wie Gene aktiviert werden, und sich damit auf wichtige Prozesse im Gehirn auswirken“, sagt Prof. Dr. Dr. Hannelore Ehrenreich, Leiterin der Arbeitsgruppe Experimentelle Medizin am ZI. Die Wissenschaftlerin erforscht seit vielen Jahren die Rolle von EPO im Gehirn.
Wechselwirkungen von Nervenzellen beeinflusst
Konkret stellten die Forschenden fest, dass rhEPO die Struktur der Verbindungen zwischen Nervenzellen, die synaptische Übertragung von Signalen und den Abbau von Molekülen innerhalb der Zellen verändert. Es scheint, dass rhEPO die Wechselwirkungen zwischen bestimmten Arten von Nervenzellen beeinflusst, insbesondere zwischen Pyramidenzellen und hemmenden Interneuronen.
Die Experimente, die sowohl im Labor als auch an lebenden Mäusen durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass bestimmte Gruppen von Neuronen, spezifische Interneuronen-Populationen, weniger komplexe Verbindungen und weniger synaptische Aktivität aufweisen, wenn sie rhEPO ausgesetzt wurden. Außerdem wurden Veränderungen in wichtigen Molekülen festgestellt, die für die Plastizität des Gehirns wichtig sind.
Die Stoffwechselprozesse und die Fähigkeit einiger Interneuronengruppen, andere Neurone zu hemmen, werden durch rhEPO beeinträchtigt. „Dies führt dazu, dass die Pyramidenzellen, eine Art von Nervenzellen im Gehirn, die sehr wichtig für kognitive Funktionen sind, eine verbesserte Leistung bewirken“, kommentiert Dr. Manvendra Singh, der als Computational Biologist ebenfalls an der Studie beteiligt war.
Restriktive Kontrolle von Interneuronen
„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verbesserung neuropsychiatrischer Symptomatik durch rhEPO teilweise auf dessen restriktive Kontrolle von Interneuronen zurückzuführen ist, die eine Wiederherstellung der gesunden Konnektivität und die Synapsenentwicklung erleichtert“, sagt Hannelore Ehrenreich. Die Erkenntnisse sind ein wichtiger Schritt, um die Wirkungszusammenhänge von EPO im Gehirn weiter zu ergründen und könnten den Weg für neue Therapieansätze bei verschiedenen neuropsychiatrischen Erkrankungen bereiten.
Publikation:
Curto et al.: Erythropoietin restrains the inhibitory potential of interneurons
in the mouse hippocampus, Molecular Psychiatry (2024). DOI: https://doi.org/10.1038/s41380-024-02528-2
https://www.nature.com/articles/s41380-024-02528-2
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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