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13.06.2024 17:00

Sommerschlaf: Wie sich Samenkörner in den Ruhezustand versetzen

Manel Llado Communications & Partnerships
Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI)

    Um den widrigen Bedingungen des mediterranen Sommers zu entgehen, verzögern manche Samen ihre Keimung bis die heißen und trockenen Zeiten vorbei sind. Anhand des Pflanzenmodells Aethionema arabicum hat Zsuzsanna Mérai in der Gruppe von Liam Dolan am Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zum ersten Mal einen lichtinduzierten Mechanismus beschrieben, der eine sekundäre Samenruhe im Sommer bewirkt. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal Current Biology veröffentlicht.

    Pflanzen sind äußerst vielseitige Organismen, die sich mit bemerkenswerten Strategien an unterschiedliche Lebensräume anpassen. Eine dieser Strategien ist die Samenruhe. Diese Anpassung verhindert vorübergehend, dass Samen selbst unter optimalen Bedingungen keimen, wenn anschließende Umweltbedingungen für die Entwicklung der Keimlinge ein hohes Risiko darstellen. In mediterranen Klimazonen wie Zypern kommt es im Sommer oft zu hohen Temperaturen und Trockenheit. In solchen Regionen würde eine Keimung während der Sommermonate die Sämlinge potenziell tödlichen Bedingungen aussetzen. Eine für Zypern spezifische Unterart von Aethionema arabicum hat eine faszinierende Anpassung entwickelt, um die Keimung von Samen vor oder während der heißen, trockenen Sommermonate zu verhindern. Zsuzsanna Mérai, Postdoktorandin in der Gruppe von Liam Dolan und früher in der Gruppe von Ortrun Mittelsten Scheid am GMI, beschrieb nun die molekularen Grundlagen dieser Anpassung in einer Studie, die am 13. Juni in Current Biology veröffentlicht wurde.

    Es werde Licht: Lange Tage induzieren sekundäre Samenruhe

    Im vergangenen Jahr beschrieb das ForscherInnenteam um Zsuzsanna Mérai, dass direkte Lichteinwirkung die Keimung von Aethionema arabicum-Samen hemmen kann. In ihrer neuen Studie untersuchte das Team, ob Lichteinwirkung zu einer länger andauernden Hemmung des Keimungsprozesses führen kann, ein Prozess, der als sekundäre Keimruhe bezeichnet wird.

    Das Team stellte fest, dass die sekundäre Keimruhe von der Tageslänge abhängt: „Dieser Mechanismus ist sehr sinnvoll: Die Tageslänge ist eine viel stabilere Bedingung als Temperatur oder Luftfeuchtigkeit, die beide von einem Tag auf den anderen stark schwanken können“, erklärt Mérai. Die Tageslänge nimmt im Frühjahr stetig zu, was dazu führt, dass die Samen immer länger dem Licht ausgesetzt sind. „Aethionema-Samen nutzen diese Information, um ihre Keimung im zeitigen Frühjahr vorzubereiten, wenn die Wetterbedingungen für die Entwicklung der Keimlinge ideal sind“, erklärt Mérai. „Wenn die Tage zu lang werden, signalisiert das den Samen, dass der Sommer naht und sie nicht mehr keimen sollten“.

    Die Forscher entdeckten, dass in den Samen eine langfristige Unterdrückung der Keimung ausgelöst wird, wenn sie 16 Stunden Licht pro Tag ausgesetzt wurden. Diese Keimhemmung wird interessanterweise auch bei nachfolgender Abwesenheit von Licht aufrechterhalten. „Selbst wenn wir die Samen wieder der Dunkelheit aussetzen, werden sie nicht keimen, weil sie sich daran erinnern, dass die Bedingungen für die Keimung im Moment nicht gut wären“, erläutert Mérai.

    Die zentrale Rolle von RGL2 bei der lichtinduzierten Keimruhe

    Das Phänomen der sekundären Keimruhe war zwar bekannt, aber wie dieser Prozess auf molekularer Ebene ausgelöst wird, war bisher noch nicht beschrieben.

    Die ForscherInnen untersuchten das Genom einer großen Anzahl mutierter Samen, bei denen die Keimhemmung durch länger werdende Lichteinwirkung nicht funktionierte. Sie fanden heraus, dass hauptsächlich das Protein RGL2 die sekundäre Dormanz auslöst. „Die Keimung von Samenkörnern mit Mutationen im RGL2-Gen wird immer noch durch Licht gehemmt, aber nur kurzzeitig. Fehlt RGL2, funktioniert die Induktion der sekundären Keimruhe nicht", erklärt Mérai. Um diesen Prozess besser zu verstehen, untersuchten die ForscherInnen, welche Signalwege durch RGL2 reguliert werden. „Wir haben 3.300 Gene identifiziert, die mit der sekundären Dormanz in Verbindung stehen, darunter hochregulierte Gene, die die Dormanz fördern, und negative Regulatoren der Dormanz, die herunterreguliert werden“, fügt Mérai hinzu.

    Ein hormoneller Balanceakt

    Vorangegangene Studien haben gezeigt, dass die Keimruhe aus dem Zusammenspiel von Abscisinsäure (AS), einem Hormon zur Förderung der Dormanz, und Gibberelinsäure (GS), einem Hormon, das die Dormanz unterdrückt, resultiert. Wie erwartet, beobachteten die ForscherInnen, dass RGL2 die GS-Produktion unterdrückt und die AS-Biosynthese in den Samen, die dem Licht ausgesetzt waren, erhöhte. Die Gruppe machte jedoch eine bemerkenswerte Entdeckung: Nur eines der Hormone war für die Auslösung der sekundären Keimruhe entscheidend. „Wir fanden heraus, dass eine künstliche Verringerung des GS-Gehalts die Samenruhe auslöst, während eine Erhöhung des AS-Gehalts dies nicht tut“, erklärt Mérai.

    Vom Labor zum Feld: Hitzeanpassung für die Widerstandsfähigkeit von Pflanzen nutzen

    Diese Ergebnisse geben Aufschluss darüber, wie einige Pflanzen ihre Keimungsmuster anpassen, um harte Sommerbedingungen zu umgehen. Dieser Prozess steht im Widerspruch zu den klassischen Modellen, bei denen Licht die Keimung auslöst. „Einige Pflanzen scheinen die Keimung optimiert zu haben, um sich an bestimmte Klimabedingungen anzupassen“, so Mérai.

    Interessanterweise hat das Team gezeigt, dass Sommerhitze und Trockenheit Schlüsselfaktoren dafür sind, dass die Samen ihre Ruhephase verlassen. „Die Simulation des Sommers durch Austrocknung der Samen bei Temperaturen über 40 Grad vermindert die Keimruhe, so dass die Samen keimen können, wenn die Bedingungen dann wieder günstig werden“, erklärt Mérai.

    Die ForscherInnen wollen nun untersuchen, ob andere Pflanzen ähnliche Systeme nutzen, um sich an schwierige Klimabedingungen anzupassen. Sollte dies der Fall sein, könnte ihre Entdeckung wichtige Auswirkungen auf die Aussaat von Nutzpflanzen haben und einen potenziellen Weg zur technischen Anpassung der Keimung bei anderen Arten eröffnen, so Mérai. „Unsere Erkenntnisse könnten dazu dienen, neue Nutzpflanzen zu entwickeln, die besser an wärmere Klimazonen und die ständig steigenden Temperaturen angepasst sind.“


    Diese Arbeit wurde durch das FWF-Projekt I3979-B25 unterstützt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Medienkontakt: 

    Sylvia Weinzettl
    Dr. Bohr-Gasse 3, 1030 Wien
    T: +43 1 79044 – 4403
    Mail: sylvia.weinzettl@gmi.oeaw.ac.at
    gmi.oeaw.ac.at


    Originalpublikation:

    Zsuzsanna Mérai, Kai Graeber, Fei Xu, Mattia Dona, Katarina Lalatovic, Per K. I. Wilhelmsson, Noe Fernandez-Pozo, Stefan A. Rensing, Gerhard Leubner-Metzger, Ortrun Mittelsten Scheid, Liam Dolan. Long days induce adaptive secondary dormancy in seed of the Mediterranean plant Aethionema arabicum. Current Biology. 10.1016/j.cub.2024.05.043


    Weitere Informationen:

    https://www.oeaw.ac.at/gmi/detail/news/summer-slumber-how-seeds-go-dormant-to-co...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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