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09.10.1997 00:00

Tierversuche Hühnerei als SCID-Maus-Ersatz

Peter Pietschmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Ulm

    9.10.1997

    Ersatz fuer die Maus Tierschutz-Forschungspreis fuer Ulmer Wissenschaftlerinnen

    Das Huehnerei war das Ei des Kolumbus: Dr. Karin Kunzi-Rapp und Dr. Angelika Rueck, Mitarbeiterinnen des Instituts fuer Lasertechnologien in der Medizin und Messtechnik an der Universitaet Ulm (ILM, Direktor Prof. Dr. Rudolf Steiner), verwirklichten ihre Idee eines alternativen Testmodells, das in dermatologischen Kurzzeittests den Einsatz von Nacktmaeusen entbehrlich macht. Ihr Mausersatz ist das angebruetete Huehnerei. Die Idee wurzelt in jahrelangen Vorarbeiten, mit denen die Wissenschaftlerinnen am ILM, gemeinsam mit Prof. Dr. Roland Kaufmann, seinerzeit Oberarzt in der Abteilung Dermatologie der Universitaet Ulm, jetzt Direktor der Dermatologischen Klinik der Universitaet Frankfurt/Main, nach einem das Tiermodell ersetzenden Testsystem fuer immunologische und tumorbiologische Kurzzeituntersuchungen fahndeten.

    Die SCID-Maus, die infolge eines genetischen Defekts kein funktionsfaehiges Immunsystem besitzt, wird dort gebraucht, wo in Experimenten mit Fremd-Transplantaten die Immunreaktion des Wirtsorganismus umgangen werden muss, z.B. bei Vertraeglichkeitstests von Kosmetika, Schadwirkungsermittlungen von Umweltgiften, bei der Untersuchung der Resorption dermatologischer Praeparate oder fuer den Nachweis, ob der Verdacht auf Kanzerogenitaet einer Substanz zutrifft.

    Gefaessanschluss

    In-vivo-Experimente sind dabei unerlaesslich - wobei der Geber der Hautprobe und das "vivens", die Versuchsumgebung, die das Hautgewebe mit Sauerstoff und Nahrung versorgt, nicht identisch zu sein brauchen. Dies macht man sich zunutze und testet Pharmaka und Kosmetika nicht am Menschen, sondern lediglich an Humanhautproben, die dafuer in ein Wirtssystem transplantiert werden - eben in die SCID-Maus, bei der infolge Immuninkompetenz keine Abstossungsreaktion zu befuerchten ist. Als Testtransplantate dienen ueblicherweise Reste sogenannter "Spalthaut": duenn abgehobelte Oberhaut, meist aus der Oberschenkelpartie entnommen und etwa 0,7 mm dick, die im klinischen Alltag zum Abdecken groesserer Wunden in physiologisch oder aesthetisch kritischen Zonen verwendet wird.

    Bei SCID-Maeusen sind die Transplantate innerhalb von 4 Wochen eingewachsen und dann bis zu 6 Monate lang verwendbar - behoerdliche Genehmigung nach dem Tierschutzgesetz vorausgesetzt. Wenn Kunzi-Rapp und Rueck mit angebrueteten Huehnereiern experimentieren, brauchen sie keine amtliche Erlaubnis: Versuche an tierischen Embryonen sind bis auf weiteres genehmigungsfrei. Selbst eine - dem Vernehmen nach nicht unwahrscheinliche - Angleichung der EU-Tierschutznormen an die europaweit strengsten, naemlich die britischen, die auch fuer Experimente an Tierembryonen ab dem 10. Reifungstag gelten, liesse das Huehnerei-System unberuehrt: am vierten, spaetestens fuenften Bebruetungstag kann mit der UEbertragung der millimetergrossen Spalthautschnipsel auf den Embryo begonnen werden, 48 bis 72 Stunden spaeter sind sie eingewachsen, haben also Gefaessanschluss wie die Haut in vivo. Etwa drei Tage lang laesst sich das Testsystem dann verwenden, was bedeutet, dass saemtliche an diesem Modell durchfuehrbaren Experimente vor Eintritt der Genehmigungspflicht abgeschlossen sind.

    Bis zum 14. Tag nach der Befruchtung, eine Woche vor dem Schluepfen, ist der Huehner-Embryo, das wussten die beiden Forscherinnen schon von frueheren Versuchen her, so immuninkompetent wie die SCID-Maus. Die ersten T-Lymphozyten treten fruehstens am 11. Entwicklungstag, B-Lymphozyten erst ab dem 13. Tag in Erscheinung. Die den Embryo umschliessende Chorioallantoismembran, die das heranreifende Huhn mit Naehrstoffen versorgt, ist bereits um den fuenften Bebruetungstag ausgebildet.

    Patent-Ei

    Nachzuweisen blieb nun neben dem vollstaendigen Einwachsen der Spalthaut, dass diese ihre typische Oberflaechentextur und ihre immunologischen Charakteristika behielt. Daran war kaum mehr zu zweifeln, nachdem Dr. Kunzi-Rapp und Dr. Rueck in einer Reihe immunhistologischer Untersuchungen unter anderem gezeigt hatten, dass die Transplantate durchweg humane Antigene produzierten und dass auch die Innenwaende der neu gebildeten Blutgefaesse ueber den gesamten Beobachtungszeitraum von fuenf Tagen hinweg humanen Ursprungs waren. Immunkompetente Zellen humaner Herkunft wie Langerhanszellen und T-Lymphozyten verblieben im Transplantat, ohne ins Wirtssystem auszuwandern.

    Dr. Rueck und Dr. Kunzi-Rapp werden am 1. Dezember 1997 in der Muenchner Ludwig-Maximilians-Universitaet mit dem Felix-Wankel-Tierschutz-Forschungspreises 1997 (zusammen mit einem Forscherteam aus Frankfurt und Rosenheim) ausgezeichnet. Der jaehrlich vergebene Preis wuerdigt satzungsgemaess "hervorragende wissenschaftliche Arbeiten (...), deren Ziel, bzw. Ergebnis es ist, Versuche an und mit dem lebenden Tier einschliesslich Eingriffen zur Aus-, Fort- und Weiterbildung einzuschraenken und soweit wie moeglich entbehrlich zu machen". 20.000,- Mark betraegt das Preisgeld fuer das Team vom ILM, das sein Verfahren mittlerweile zum Patent angemeldet hat.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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