Digitalisierungsprojekte kosten Millionen, sie sind aber für Unternehmen aller Größen alternativlos, um wettbewerbsfähig zu bleiben – dennoch scheitern bis zu 84 Prozent vollständig, werden teurer oder verzögern sich. Ein Grund liegt nicht in den Computersystemen, sondern in den beteiligten Menschen. Aber wie gelingt es, die Effizienz zu steigern, Geld zu sparen und gleichzeitig die Arbeitskräfte zufriedener mit dem technischen Wandel zu machen? Zu dieser Frage forschen Michael Bauer und Eric Grosse am Center for Digital Transformation an der Universität des Saarlandes.
Die Wirtschaftswissenschaftler schlagen in einem jüngst veröffentlichten Fachartikel das so genannte „Digital Transformation Coaching“ als ein Werkzeug für Unternehmen vor, die Menschen in ihrer Arbeitswelt auf den digitalen Wandel einzustellen.
Die Maschine muss dem Menschen dienen und nicht umgekehrt. Doch nicht erst seit der aktuell laufenden KI-Revolution scheint das Gleichgewicht ins Wanken geraten zu sein. In zu vielen Bereichen sorgen technologische Umwälzungen, die insbesondere durch fortschreitende Digitalisierung getrieben werden, für gehörigen Wirbel. Sei es zum Beispiel in der industriellen Produktion, in der Lager- und Warenhaus-Logistik oder selbst in Wissenschaft und Forschung.
In all diesen Bereichen arbeiten auch Menschen, die für die Reise in die digitale Zukunft befähigt werden müssen, statt sie abzuhängen. Aber wie gelingt es, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter , die teils jahre- und jahrzehntelange Erfahrung in ihrem Beruf haben, davon zu überzeugen, dass neue digitale Werkzeuge ihnen tatsächlich helfen und ihnen nicht etwa ihre Kompetenzen oder gar ihren Job abspenstig machen? Dazu forschen Michael Bauer als Doktorand und Eric Grosse, Juniorprofessor für BWL, insbesondere Digitale Transformation im Operations Management. Sie veröffentlichten ihre Erkenntnisse über diese Frage und entsprechende Lösungsansätze jüngst im Fachmagazin „Industrie 4.0 Science“ unter dem Titel „Digital Transformation Coaching – Persönlichkeitsentwicklung als Ergänzung zum Change-Management in der Digitalisierung“.
Michael Bauer, der vor seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bereits 15 Jahre lang Führungspositionen in IT und Industrie bekleidet hat, hat „die Schwierigkeiten digitaler Transformationsprojekte und Schmerzen für die betroffenen Mitarbeitenden immer wieder hautnah erlebt“, sagt er. In ihrem Artikel kommen er und Eric Grosse zu dem Schluss, dass vielen Unternehmen und Organisationen mit einem „Digital Transformation Coaching“ Arbeitskräfte für digitale Veränderungsprozesse bereit machen können, damit sich Menschen und Maschinen zum Wohle des Unternehmens ideal ergänzen können.
„Die heute geläufigsten Methoden beim Einführen neuer Technologien beschränken sich auf technisches Change-Management und Schulungen, zum Beispiel darüber, wie ich eine AR-Brille in der Lagerhalle einsetze“, erklärt Bauer das Konzept. Wie die Brille funktioniert, die die echte Umgebung mit virtuellen Daten verknüpft (Augmented Reality, kurz AR), wissen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach wenigen Stunden Schulung. „Aber schon viel früher muss man den Menschen, die zum Teil Jahrzehnte ihren manuellen Job im Lagerhaus ausführen, helfen zu verstehen: ‚Die Brille hilft mir bei der Arbeit‘. Es geht darum über Ängste zu sprechen, Befangenheit abzubauen, aber auch Selbstwirksamkeit zu spüren und zu verstehen: ‚Anderen geht es genauso wie mir. Mit mir ist nichts verkehrt‘“, so der Fachmann weiter. Der menschliche Experte muss den Computer-Helfer wirklich akzeptieren und nicht nur hinnehmen mit dem trotzigen Gefühl: „Der Computer kann mir gar nichts sagen, ich weiß es besser.“
Das Digital Transformation Coaching versteht sich dabei als ein langfristiger Begleitprozess. Ein Coach ist in diesem Kontext nicht als technischer Berater oder Trainer zu verstehen. Er kümmert sich dediziert um die Belange der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder um die Teams, die mit den Veränderungen konfrontiert sind, und setzt verschiedene Methoden zu deren Entwicklung ein. „Gruppencoachings, die sich über mehrere Monate erstrecken können, dienen zum Beispiel dazu, in den betroffenen Teams einen Konsens für die gemeinsame Zielsetzung zu erreichen, Wege dorthin zu erarbeiten und Vorbehalte zu adressieren“, so Michael Bauer.
Im Beispiel der AR-Brille würde dies einen Austausch darüber beinhalten, was sich das Unternehmen und die Angestellten von deren Einsatz erhoffen, aber auch beispielsweise, welche Ängste und Vorbehalte sie gegen ein solches Gerät haben.
Ein solches Vorhaben braucht Zeit und kostet natürlich Geld. Aber am Ende ist es für die Firmen eine lohnende Investition, führen Michael Bauer und Eric Grosse in ihrem Artikel aus. „Im Durchschnitt kostet es eine mittelgroße Organisation rund 5,5 Millionen US-Dollar, wenn ein Digitalisierungsprojekt nicht oder nicht gut umgesetzt wird“, beruft sich der Wirtschaftswissenschaftler auf aktuelle Daten. Die Folgekosten durch einen Wettbewerbsnachteil, den sie mitunter gegenüber direkten Konkurrenten auf ihrem Markt haben, aber zum Beispiel auch durch hohe Kündingungsquoten unter der Belegschaft, können mitunter noch höher sein. Denn, auch das zeigt die wirtschaftswissenschaftliche Forschung, „toxische“ Unternehmen, die Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion in der Belegschaft nicht fördern sowie mangelnden Respekt gegenüber den Bedürfnissen ihrer Angestellten sowie unethisches Verhalten an den Tag legen, werden sage und schreibe zehnmal häufiger verlassen als Firmen, die diese Standards erfüllen.
„Da liegt es auf der Hand, dass ein Top-Coach, den eine Organisation für das Digital Transformation Coaching mit 2000 Euro pro Tag bezahlt, mit 25 Coaching-Tagen zwar 50.000 Euro Kosten verursacht, er aber angesichts dieser immensen Vorteile trotzdem ein großer Gewinn sein kann“, schlussfolgert Michael Bauer. Am Ende gewinnen alle durch das Digital Transformation Coaching: Das Unternehmen, das sich in seinem Markt behaupten kann und vielleicht sogar seine Stellung verbessern kann und auch der einzelne Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin. Denn statt sich durch die neue Technologie bedroht zu sehen und sie abzulehnen, könnte die betreffende Person ihren Status als wertvoller Experte oder Expertin erhalten und möglicherweise sogar steigern.
Denn eines ist klar, rasanter technologischer Fortschritt hin oder her: „Selbst ein hochgradig automatisiertes Lager, wie wir es etwa bei Amazon finden, ist niemals ‚fertig‘ – es wird kontinuierlich optimiert und in zehn Jahren kaum mehr dem heutigen Zustand gleichen. Was bleibt, sind die Mitarbeitenden der Organisation“, so Michael Bauer. Und diesen dient die Technik und nicht umgekehrt.
Michael Bauer
Tel.: (0151) 50415977
E-Mail: michael.bauer@uni-saarland.de
Michael Bauer und Eric Grosse, Universität des Saarlandes, Saarbrücken (2024): Digital Transformation Coaching - Persönlichkeitsentwicklung als Ergänzung zum Change Management in der Digitalisierung. Industry 4.0 Science, 40, 2024, S. 33-40.
Open Access: https://doi.org/10.30844/I4SD.24.3.33
Michael Bauer
Sibylle Bauer
Sibylle Bauer
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