In den letzten 200 Jahren haben viele Länder im Rahmen des demografischen Übergangs einen Rückgang der Sterblichkeit und ein Absinken der Geburtenraten erlebt. Dies hat auch Auswirkungen auf wirtschaftliche Entwicklungschancen, wie das Beispiel der asiatischen „Tigerstaaten“ Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan verdeutlicht: Ihr schneller Aufstieg zu wirtschaftlich hoch entwickelten Industrieländern wurde durch eine schnelle Zunahme des Anteils von Personen im erwerbsfähigen Alter in Folge rasch sinkender Geburtenraten begünstigt. Wenn diese Verschiebung in der Altersstruktur nachweislich zu wirtschaftlichem Wachstum beiträgt, wird dieses Wachstum als „demografische Dividende“ bezeichnet
Es stellt sich die Frage, ob die Entwicklung der Altersstruktur in Ländern des Globalen Südens, welche sich aktuell noch im demografischen Übergang befinden, vergleichbare Potenziale für eine demografische Dividende bietet. Dies hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) erstmals systematisch anhand von Zahlen der Vereinten Nationen untersucht.
Das Konzept der demografischen Dividende geht davon aus, dass ein steigender Anteil wirtschaftlich aktiver Menschen unter der Gesamtbevölkerung entscheidend zu ökonomischem Wachstum beiträgt – „unter der Bedingung, dass dies mit Investitionen in Bildung und Gesundheit, solider Infrastruktur sowie produktiven Beschäftigungsmöglichkeiten einhergeht“, erklärt Markus Dörflinger vom BiB. Entscheidend ist aus demografischer Sicht die Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren in Relation zu Jüngeren und Älteren, die noch nicht bzw. nicht mehr erwerbstätig sind. Dieses Verhältnis hat die neue Studie für 203 Länder berechnet. Das Ergebnis: Bereits 100 Länder haben den maximalen Anteil der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren überschritten. Diese konzentrieren sich vor allem in Europa und Nordamerika. 103 Ländern aus dem Globalen Süden steht dies noch bevor. Diese liegen insbesondere in Afrika, daneben aber auch in Asien und Ozeanien sowie in Süd- und Mittelamerika. In vielen afrikanischen Ländern wird der maximale Anteil der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren voraussichtlich erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhundert erreicht.
Wie Potenziale für eine demografische Dividende entstehen
In welchem Umfang die Verschiebung in der Altersstruktur den Ländern des Globalen Südens letztlich Potenzial für einen ökonomischen Entwicklungsschub bietet, hängt davon ab, wie schnell, wie hoch und wie lange der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter steigt. Dies wird im Wesentlichen von drei Faktoren bestimmt: Erstens spielt die Geschwindigkeit des Geburtenrückgangs eine entscheidende Rolle. „Ein schneller Geburtenrückgang führt zu einer raschen und deutlichen Zunahme des Anteils der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Dies hat die hohen demografischen Dividenden in vielen asiatischen Ländern maßgeblich gefördert“, erläutert Dörflinger. Wenn die Geburtenraten, wie beispielweise in vielen Ländern Sub-Sahara-Afrikas, nur moderat sinken, dann verlangsamt sich auch die relative Zunahme der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Zweitens kann internationale Migration den Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter beeinflussen. Dies zeigt sich beispielsweise in den Vereinigten Arabischen Emiraten und Katar, die von hoher Zuwanderung junger Menschen geprägt sind. Gleichzeitig kann eine starke Auswanderung den Anteil von Personen im erwerbsfähigen Alter reduzieren, da häufig junge Erwachsene auswandern. Drittens stellt demografische Trägheit einen wichtigen Faktor dar. Wenn die Geburtenzahl pro Frau abnimmt, die Zahl der Frauen im gebärfähigen Alter aufgrund der jungen Altersstruktur aber zunächst noch weiter ansteigt, geht die Gesamtzahl der Geburten erst zeitversetzt zurück. Diese demografische Trägheit hat gerade in Sub-Sahara Afrika einen Einfluss darauf, wie schnell der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zunimmt.
Laut der BiB-Studie bleibt daher abzuwarten, in welchem Umfang weitere Länder des Globalen Südens von demografischen Dividenden profitieren werden: „Die positiven Erfahrungen bestimmter asiatischer Länder sind wahrscheinlich nicht auf alle Länder übertragbar“, meint Dörflinger. Umso wichtiger sei es, die Zusammenhänge zwischen Altersstruktur und Geburtenrückgang, Migration und demografischer Trägheit zu verstehen. „Werden diese Faktoren nicht berücksichtigt, könnte das wirtschaftliche Entwicklungspotenzial in Ländern des Globalen Südens falsch eingeschätzt werden.“
Markus Dörfinger
Markus.Doerflinger@bib.bund.de
Dörflinger, Markus; Loichinger, Elke (2024): Altersstruktur und Entwicklungspotenziale. Globale Muster und Einflussfaktoren. Bevölkerungsforschung Aktuell 4/2024: 3–8.
Zeitpunkt des Erreichens des maximalen Anteils der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB)
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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