Im Zusammenhang mit der Errichtung der Gleichstromverbindung SuedOstLink führt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt derzeit bauvorbereitend archäologische Untersuchungen durch. Auf ihrer gesamten Länge von 170 Kilometern durch Sachsen-Anhalt führt die Trasse durch Altsiedelland mit überaus fruchtbaren Böden. Entsprechend hoch ist die Anzahl an Fundstellen, die in enger Abstimmung mit dem Netzbetreiber 50Hertz im Vorfeld des Trassenbaus untersucht und wissenschaftlich dokumentiert werden. Nun konnte bei Wettin-Löbejün eine zweiphasige slawische Siedlung mit zugehörigem Gräberfeld freigelegt werden.
Im Vorfeld des Baubeginns für die Errichtung der Gleichstromverbindung SuedOstLink führt das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt derzeit zwischen Wolmirstedt bei Magdeburg und Droyßig im Burgenlandkreis mit rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entlang des insgesamt 170 Kilometer langen Trassenverlaufs archäologische Untersuchungen durch. Die weitestgehend als Erdkabel ausgeführte Trasse führt in Sachsen-Anhalt durch landwirtschaftlich genutzte Flächen mit besten Böden. Seit der Sesshaftwerdung von Menschen in der Region vor etwa 7.500 Jahren war die Qualität des Bodens der ausschlaggebende Faktor bei der Wahl von Siedlungsorten. Dies führt dazu, dass die Dichte archäologischer Befunde in Regionen mit guten Böden um ein Vielfaches höher ist als in solchen mit schlechten Bodenqualitäten. Entsprechend wurden am SuedOstLink durch alle Zeiten hinweg Siedlungs- und Bestattungsplätze in hoher Dichte angetroffen und insgesamt 300 Fundstellen identifiziert, die in enger Abstimmung mit dem Netzbetreiber 50Hertz dokumentiert werden.
Bei Wettin-Löbejün wird, mit witterungsbedingten Unterbrechungen im Winter und Frühjahr, seit Ende 2023 gearbeitet. Zurzeit werden von 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern westlich des Ortes Spuren einer slawischen Siedlung mit zugehörigem Gräberfeld untersucht, die interessante neue Einblicke in die früh- bis hochmittelalterliche Besiedlung der Region bieten.
Slawische Siedlungsbefunde
Im Trassenverlauf konnte auf 0,5 Hektar Fläche rund ein Drittel der Gesamtausdehnung des slawischen Siedlungsbereichs freigelegt werden. Der dokumentierte Bereich umfasst ein Handwerksviertel mit Materialabbaugruben, die vorwiegend der Gewinnung von Raseneisenerz dienten. Ein Hochofen mit erhaltener Ofensau (bei der Eisengewinnung auf der Ofensohle angesammeltes Roheisen) belegt die Verarbeitung vor Ort. Zudem ist durch Funde von Spinnwirteln Textilherstellung nachgewiesen. Der Wasserversorgung dienten zwei unbefestigte Brunnengruben, die circa 1,50 Meter tief erhalten sind.
Zwei Siedlungsphasen können unterschieden werden. In der früheren Phase war der Siedlungsplatz von einem vier Meter breiten Umfassungsgraben geschützt. Dieser fortifikatorische Schutz wurde in einer zweiten Phase aufgegeben. Die Siedlung bestand nun aus einzelnen Gehöften, die von kleineren, etwa 0,5 Meter breiten Gräben umgeben waren. Zu den besonderen Funden aus dem Siedlungsbereich zählen eine Perle aus einem Gehöftgraben und ein Bronzearmreif aus dem Umfassungsgraben.
Das Gräberfeld
Das zur Siedlung gehörige Gräberfeld konnte vollständig erfasst werden. Etwa 60 Bestattungen liegen in zwei parallelen, Nord-Süd ausgerichteten Reihen. Die Toten wurden auf dem Rücken liegend mit dem Blick nach Osten und bis auf Trachtgegenstände wie Bronzeringe und Perlen ohne Beigaben, also nach christlichem Ritus, beigesetzt. Es handelt sich meist um Kopfnischengräber, wie sie insbesondere vom ausgehenden 10. bis 12. Jahrhundert verbreitet waren. Teilweise gab es auch Steinumfassungen an Kopf oder Beinen. Nicht selten wurden neue Bestattungen in bestehende Grabgruben eingebracht, wobei die Überreste vorhergehender Bestattungen zur Seite geräumt oder beim Wiederverfüllen miteingebracht wurden.
Besondere Bestattungen
Unter den Bestattungen des Friedhofs ragen zwei Befunde besonders heraus. Ein quadratischer Grubenbefund erwies sich als ›Familiengrab‹ von zwei Erwachsenen und zwei Kindern. Spuren von Eckpfosten und Holzbalken belegen eine komplexe Grabarchitektur. Außergewöhnlich ist auch die Bestattung eines kranken Kindes, das wohl an einem Hydrocephalus, auch ›Wasserkopf‹ genannt, litt. Es handelt sich dabei um eine Erkrankung, bei der sich übermäßig viel Liquor (Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit) im Schädelinneren ansammelt. Dies kann zu einem erhöhten Druck im Schädelinneren führen, der auch auf das Gehirn wirkt. Bei Föten und Säuglingen mit noch unfesten Schädelknochen wird der Druck durch ballonartige Aufblähung des Schädels ausgeglichen. Ein ›Wasserkopf‹ kann aufgrund des hohen Schädelinnendrucks zu verschiedenen Ausfallerscheinungen führen, häufig bedürfen Erkrankte der Pflege und haben bei ausbleibender medizinischer Behandlung nur eine geringe Lebenserwartung. Im Falle des Kindes von Wettin-Löbejün ist eine besondere Wertschätzung durch Perlen im Brustbereich erkennbar. Möglicherweise ist dies ein Zeichen der Sorge der Gemeinschaft, die dem Kind galt.
Ausblick
Die archäologischen Dokumentationsarbeiten im Bereich Wettin-Löbejün werden im August 2024 abgeschlossen sein. Damit ist in diesem Bereich lange vor Beginn der Arbeiten an der eigentlichen Stromtrasse hinsichtlich der Archäologie Baufreiheit geschaffen. Auch im übrigen Verlauf des SuedOstLinks ist es in enger Abstimmung mit dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz das Ziel, die archäologischen Fundsicherungsmaßnahmen vor Baubeginn abzuschließen.
›Familiengrab‹ von Wettin-Löbejün mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern.
Oliver Dietrich
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Kinderbestattung von Wettin-Löbejün mit vermutetem ›Wasserkopf‹.
Oliver Dietrich
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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