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06.08.2024 15:27

Wettlauf über Jahrmillionen erhält genetische Vielfalt

Noemi Kern Kommunikation
Universität Basel

    Variationen im Erbgut ermöglichen dem Wasserfloh, sich gegen das Eindringen eines Parasiten zu wehren. Woraufhin sich der Parasit wiederum anpassen muss. Diese Schleife der Koevolution läuft schon seit mindestens 15 Millionen Jahren, wie Forschende der Universität Basel nachgewiesen haben.

    Wirte und ihre Parasiten befinden sich in einem dauernden Wettstreit: Dank genetischer Diversität kann sich der Wirt so verändern, dass eine Infektion nicht mehr möglich ist. Allerdings passt sich der Parasit dann schnell an – und das Spiel beginnt von vorne. Nach dem Charakter der Roten Königin im Buch «Alice im Wunderland» − die ständig rennt und trotzdem auf der Stelle tritt − wird dies in der Evolutionsbiologie auch als das «Red Queen Modell» bezeichnet.

    Solche Prozesse können über viele Millionen Jahre ohne Unterbruch ablaufen, wie eine Forschungsgruppe am Departement Umweltwissenschaften der Universität Basel in der Fachzeitschrift Nature Communication nun berichtet. Dies ist ein wesentlich längerer Zeitraum als bisher geglaubt. Das Team um Prof. Dr. Dieter Ebert verglich für die Studie das Erbgut von millimetergrossen Wasserflöhen, die von einem parasitären Bakterium befallen werden.

    Der Parasit dringt in den Darm der Wasserflöhe ein und heftet sich dort an die Schleimschicht. Der Wasserfloh kann eine Infektion abwehren, indem er Moleküle, die diesem Schleim anhaften, verändert. Daraufhin passt der Parasit seine Oberfläche an die veränderte Schleimstruktur an und hat kurzzeitig wieder die Nase vorn. Dieser Prozess der Koevolution sorgt dafür, dass im Wasserfloh immer mehrere genetische Varianten für Oberflächenmoleküle erhalten bleiben und sich nie eine einzelne durchsetzen kann.

    Noch tiefer in die Vergangenheit blicken

    Bislang konnten die Forschenden diese Koevolution zwischen Wasserfloh und Parasit bis vor die letzte Eiszeit vor etwa 100‘000 Jahren zurückverfolgen. «Jetzt haben wir noch einmal einen Riesensprung gemacht und konnten zeigen, dass der Prozess mindestens 15 Millionen, vielleicht sogar 70 Millionen Jahre zurückgeht», sagt Dieter Ebert. Besonders erstaunlich: Der Prozess fand ohne Unterbruch statt, obwohl sich die Lebensbedingungen auf der Erde in diesem Zeitraum mehrmals dramatisch verändert haben. «Wir sprechen nicht von ein oder zwei Grad Temperaturunterschied, sondern von Schwankungen von mehr als zehn Grad und mehreren Eiszeiten.» Möglicherweise überstand der Prozess sogar den Meteoriteneinschlag, der für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich gemacht wird.

    Für den Nachweis nutzte das Forschungsteam drei verschiedene Arten von Wasserflöhen, die in Europa und Asien im Freiland gesammelt wurden. Eine Verwandtschaftsanalyse zeigte, dass die Aufsplittung dieser Arten vor mindestens 15 Millionen Jahren stattfand. Trotzdem waren alle anfällig für das gleiche parasitäre Bakterium.

    Im Erbgut der Wasserflöhe fanden die Forschenden dann mehrere Abschnitte, die für Komponenten des Immunsystems kodierten und eine hohe Variabilität aufwiesen. Diese Diversität ermöglicht den Wasserflöhen, dem Parasiten immer wieder den Zutritt zu verweigern. Erstaunlicherweise befanden sich diese variablen Regionen bei allen Wasserfloharten an den gleichen Stellen des Erbguts. Dies zeigt, dass die Koevolution zwischen Wasserflöhen und dem Parasiten schon stattfand, bevor sich die Wirtsarten aufspalteten, also vor mindestens 15 Millionen Jahren. Es bedeutet zudem, dass dieser Vorgang ununterbrochen ablief – denn bei einem Unterbruch würden in relativ kurzer Zeit genetische Varianten verloren gehen.

    Ohne Variabilität anfälliger für Infektionen

    «Eigentlich hat man die Vorstellung, dass die Evolution immer etwas Neues erfindet. Hier konnten wir zeigen, dass die gleichen Variationen von Genen über riesige Zeiträume hinweg immer wieder genutzt wurden», sagt Ebert. Auch beim Menschen sorgen genetische Variationen für eine Flexibilität des Immunsystems − zum Beispiel beim sogenannten Histokompatibilitätskomplex, der körperfremde Strukturen erkennt und bekämpft. Allerdings konnten diese Vorgänge bislang nicht sehr weit zurückverfolgt werden. Auch scheinen, anders als beim Wasserfloh, mehrere Krankheitserreger daran beteiligt zu sein. «Die genetische Diversität bietet Schutz gegen Infektionskrankheiten, auch solche, die neu auftauchen. Deshalb ist es so wichtig zu verstehen, wie diese Variabilität über lange Zeiträume erhalten bleibt», so der Evolutionsbiologe.


    Originalpublikation:

    Luca Cornetti, Peter D. Fields, Louis Du Pasquier und Dieter Ebert
    Long-term balancing selection for pathogen resistance maintains trans-species polymorphisms in a planktonic crustacean.
    Nature Communications (2024)
    doi: 10.1038/s41467-024-49726-8


    Bilder

    Im gesunden Wasserfloh (links) sind deutlich Eier sichtbar. Der infizierte Wasserfloh rechts wurde durch den Parasiten kastriert und bildet keine Eier mehr. Die Infektion erkennt man auch daran, dass der infizierte Wasserfloh undurchsichtig wird.
    Im gesunden Wasserfloh (links) sind deutlich Eier sichtbar. Der infizierte Wasserfloh rechts wurde d ...
    Universität Basel, Jason Andras
    Universität Basel, Jason Andras


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Im gesunden Wasserfloh (links) sind deutlich Eier sichtbar. Der infizierte Wasserfloh rechts wurde durch den Parasiten kastriert und bildet keine Eier mehr. Die Infektion erkennt man auch daran, dass der infizierte Wasserfloh undurchsichtig wird.


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