Eine neue Studie des Berlin-Instituts zeigt, welche Herausforderungen für die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung junger Menschen in Afrika bestehen.
In Afrika wächst die größte Jugendgeneration der Welt heran: Drei von fünf Menschen auf dem Kontinent sind jünger als 25 Jahre. Nach wie vor sind Kinderheirat und Teenagerschwangerschaften in vielen Gegenden üblich und junge Menschen machen einen wachsenden Anteil der Menschen aus, die mit HIV leben. Eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung beleuchtet diese und weitere Schlüsselbereiche für die reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung von Jugendlichen in Afrika: Zum Beispiel Sexualaufklärung, LSBTIQ*-Rechte, Zugang zu Verhütungsmitteln und gesundheitliche Versorgung. Anhand von Interviews mit Jugendaktivist:innen und Jugendorganisationen in Nigeria, Sambia und Tansania zeigt die Studie die größten Versorgungslücken auf und beschreibt Lösungsansätze, um Afrikas Jugend besser zu unterstützen.
In vielen Ländern erhalten Jugendliche keine umfassende Sexualaufklärung. Nur wer aufgeklärt ist, kann informierte Entscheidungen über Sexualität und Kinderwunsch treffen – ob es darum geht, wie man sich vor einer HIV-Infektion schützt oder auch wie eine ungewollte Schwangerschaft verhindert werden kann. Außerdem weist die Gesundheitsversorgung in vielen afrikanischen Ländern, wie auch in den drei Fokusländern der Studie, große Lücken auf: In Nigeria, Tansania und Sambia sind viele Gesundheitseinrichtungen noch weit davon entfernt, jungen Menschen eine jugendfreundliche, vertrauliche und respektvolle Versorgung anzubieten.
„Gesundheitseinrichtungen müssen eine Versorgung bereitstellen, die auf die Bedürfnisse junger Menschen zugeschnitten ist, wie zum Beispiel ein eigener Warteraum, wo sie nicht Verwandten oder Nachbar:innen begegnen müssen, die sie fragen, warum sie in der Klinik sind“, so Studienautorin Colette Rose, Projektkoordinatorin am Berlin-Institut. „Um die Gesundheitsversorgung jugendfreundlich zu gestalten, ist es unerlässlich, dass junge Menschen an der Gestaltung und Umsetzung beteiligt sind, zum Beispiel wenn es um Öffnungszeiten geht.“
Gesundheitsversorgung ist weder inklusiv noch barrierefrei
Besonders junge Menschen mit Behinderung und/ oder mit HIV und LSBTIQ*- werden diskriminiert, wenn sie für eine Behandlung ins Gesundheitszentrum möchten oder Verhütungsmittel brauchen. Beispielsweise stellt für eine 16-Jährige mit Sehbehinderung, die einen Schwangerschaftstest braucht, der Weg zur und die Orientierung in der Klinik eine Herausforderung dar: In der Regel gibt es nämlich keine Schilder oder Informationsmaterialien in Braille. Da Gesundheitsmitarbeitende oft „dringendere“ Fälle zuerst behandeln, sind auch stundenlange Wartezeiten, vor allem für queere und HIV-positive junge Menschen, keine Seltenheit. Im Behandlungsraum müssen Jugendliche oft demütigende Kommentare über sich ergehen lassen – oder die Frage, warum sie in ihrem Alter oder überhaupt schon Sex haben.
„Der Gang in eine Gesundheitseinrichtung ist für junge Menschen mit sehr vielen Barrieren verbunden“, erklärt Kristin Neufeld, Mitautorin der Studie. „Wenn sie auch noch respektlos behandelt werden, kann es gut sein, dass sie nicht noch einmal wiederkommen, selbst bei gesundheitlichen Beschwerden. Das kann dazu führen, dass eine sexuell übertragbare Krankheit nicht entdeckt und auch nicht behandelt wird.“
Keine Selbstbestimmung ohne Armutsbekämpfung
Armut stellt eine zusätzliche Barriere da. Denn für viele junge Menschen ist eine Packung Kondome oder die Busfahrt zur nächsten Klinik schlicht zu teuer. Auch Eltern können es sich oft nicht leisten, jeden Monat eine Packung Menstruationsbinden für ihre Töchter zu kaufen. Und für alleinerziehende junge Mütter ohne Schulabschluss ist Sexarbeit oft die einzige Option, um sich überhaupt ein Dach über dem Kopf und täglich Essen zu sichern.
„Junge Menschen müssen erst einmal in der Lage sein, ihre Existenz zu sichern, bevor sie ihr Leben selbstbestimmt gestalten können“, betont Kristin Neufeld. „Daher sind Jugendprojekte zur Förderung sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechte meist effektiver, wenn sie Jugendliche auch dabei unterstützen, finanziell unabhängig zu werden.“
Vielversprechenden Lösungsansätzen fehlt es oft an Förderung
Es gibt bereits unzählige Projekte und Initiativen auf dem afrikanischen Kontinent, die sich zum Ziel setzen, die sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte junger Menschen zu stärken. Nicht alle sind gleichermaßen wirksam. In der aktuellen Studie stellt das Berlin-Institut Praxisbeispiele und Empfehlungen vor, die von Jugendorganisationen und -expert:innen vor Ort als besonders erfolgsversprechend bewertet werden. All diesen Praxisbeispielen ist gemein, dass sie von oder in Beratung mit Jugendlichen entwickelt wurden.
„Um den Bedürfnissen und Wünschen junger Afrikaner:innen gerecht zu werden, muss die Beteiligung von jungen Menschen und die Inklusion von besonders benachteiligten Gruppen in Projekten auf allen Ebenen stärker gefördert werden“, sagt Colette Rose vom Berlin-Institut. „Jugendorganisationen in Afrika leisten bereits wichtige Arbeit mit vielversprechenden Ergebnissen, aber sie erhalten noch nicht die ausreichende und nachhaltige finanzielle Unterstützung, die sie bräuchten.“
Nele Disselkamp, disselkamp@berlin-institut.org
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
Deutsch
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