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05.09.2024 13:56

LUMIBOR: Bororganische Moleküle für neue Wege in der Chemie

Miriam Franchina Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung

    Mit einem ERC Starting Grant wird Dr. John J. Molloy mithilfe von Licht 3D-bororganische Verbindungen mit maßgeschneiderten Eigenschaften entwickeln. Sein Projekt LUMIBOR nutzt die Hybridisierung von Bor in organischen Molekülverbindungen, die zwischen planaren und tetraedrischen Atomkonfigurationen wechseln können, um ihre Reaktionen mit Licht fein abzustimmen. Die geplanten Moleküle werden vielseitige Bausteine mit verbesserter Reaktivität sowohl für die Grundlagenforschung als auch für industrielle Anwendungen liefern

    Die meisten von uns denken bei Bor an "Borax", eine bekannte Verbindung, die Ameisen und Schädlinge tötet. Wir kämen wohl kaum auf die Idee, dass dieses Element ein großes Potenzial in der Arzneimittelentwicklung — und darüber hinaus — birgt. Dr. John J. Molloy sieht das anders. Seit seinem Start am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung im Jahr 2021 widmet er sich intensiv der Erforschung von Borverbindungen. Für sein ehrgeiziges Forschungsprojekt LUMIBOR hat ihm der Europäische Forschungsrat (ERC) einen Starting Grant in Höhe von 1,5 Millionen Euro bewilligt. Dr. Molloy nimmt uns mit in die Welt seines Lieblingselements und zeigt, wie er es zur Schaffung innovativer chemischer Werkzeuge einsetzt.

    Herzlichen Glückwunsch, Dr. Molloy! Erzählen Sie uns mehr über Ihr Projekt und was Bor so besonders macht.

    Vielen Dank! Ich spreche immer gerne über Bor. Der vollständige Titel des Projekts lautet „Illuminating Routes to 3D Organoboron Molecules“. Mein Ziel ist es, innovative Strategien für die Synthese von 3D-bororganischen Strukturen zu entwickeln, bei denen Licht als Aktivierungswerkzeug eingesetzt wird. Vereinfacht gesagt, wird mein Labor eine Reihe neuer Reaktionen und Methoden zur Herstellung von Molekülen mit Bor in einer bestimmten 3D-Anordnung erarbeiten. Bororganische Gruppen eignen sich hervorragend als funktionelle Gruppen, d.h. sie sind im Wesentlichen Ergänzungen, die spezifische Eigenschaften und zusätzliche Stellen für die Reaktivität bieten. Je mehr Bindungsstellen ein Molekül hat, desto nützlicher wird es bei der Erforschung des "Chemical Space" — einem Begriff, der die unzähligen möglichen Kombinationen und Anordnungen von Atomen beschreibt, die zu einer großen Vielfalt an molekularen Verbindungen führen können.

    Diese Moleküle werden als vielseitige Bausteine in vielen Bereichen der Grundlagenforschung und der Industrie dienen. Man kann sich bororganische Moleküle als Transformatoren vorstellen, die ihre Form — und damit ihre Eigenschaften und ihr Verhalten — verändern können, je nachdem, wie wir ihre chemische Zusammensetzung manipulieren. Diese vielfältigen Eigenschaften möchte ich ausschöpfen, um lichtaktivierte chemische Reaktionen zu steuern. Strategisch platzierte Boratome können gezielt mit Biomolekülen interagieren oder das Boratom kann leicht durch andere chemische Gruppen ersetzt werden.

    Können Sie erklären, welche Rolle das Licht in Ihrem Projekt spielt?

    Chemische Reaktionen benötigen Energie, um abzulaufen. In unserem Fall liefert das Licht die Anfangsenergie, und alle nachfolgenden Reaktionen laufen energetisch abwärts ab. Was bororganische Moleküle für Chemiker*innen so wertvoll macht, ist die Hybridisierung des Bors — es kann zwischen verschiedenen atomaren Konfigurationen wechseln. Die eine ist flach (trigonal-planar), die andere pyramidal (tetraedrisch), mit jeweils gegensätzlichen Eigenschaften. In seiner flachen Form zieht Bor negativ geladene Moleküle an, während in seiner pyramidalen Form die Atome in der Nähe des Bors eine hohe Elektronendichte aufweisen. LUMIBOR wird diese unterschiedlichen Eigenschaften nutzen, um die chemischen Reaktionen nach der Absorption eines Photons zu kontrollieren. Die Anpassung des Hybridisierungszustands wird der Schlüssel zur Entdeckung neuer Reaktionswege sein. Da Licht nicht nur präzise, sondern auch kostengünstig und nachhaltig ist, werden wir für die Experimente gewöhnliche LEDs oder Aquarienlampen verwenden.

    Eine der vielen möglichen Anwendungen bororganischer Verbindungen ist die Pharmazie.
    Können Sie uns Beispiele nennen?

    Damit komme ich auf das erwähnte Ameisengift zurück, weshalb Bor lange Zeit nicht für den Einsatz in der Medizin in Frage kam. Während es für Ameisen giftig ist, wissen wir heute, dass Bor für den Menschen so harmlos ist wie Kochsalz — mit einer interessanten Wendung. Die Fähigkeit von Bor, mit Zuckern und bestimmten Aminosäuren starke kovalente Bindungen einzugehen, bei denen die Elektronen geteilt werden, macht es zu einem vielversprechenden Bestandteil für die künftige Entwicklung von Medikamenten. Bororganische Moleküle werden bereits zur Behandlung unterschiedlicher Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze und Viren eingesetzt. Das vielleicht bekannteste Beispiel ist Bortezomib, ein hochwirksames Medikament zur Behandlung bestimmter Krebsarten, welches in den USA große Erfolge erzielen konnte. Bei LUMIBOR platzieren wir die Bor-Gruppe strategisch in unseren Molekülen, um ortsspezifische Wechselwirkungen mit Biomolekülen zu ermöglichen. Ziel ist es, der medizinischen Chemie ein zusätzliches Werkzeug für die Entwicklung borhaltiger Medikamente an die Hand zu geben. Aber auch außerhalb der Medizin finden bororganische Verbindungen vielfältige Anwendung, etwa in Halbleitern, Agrochemikalien, Katalysatoren und LED-Displays.

    Als Liebig- und Daimler-Benz-Stipendiat sind Sie bereits mit Förderungen vertraut.
    Was bedeutet die ERC-Förderung für Sie?

    Die ERC-Förderung ist eine unglaubliche Chance, ein Team mit kombinierten Stärken zusammenzustellen. Der Plan ist, drei Doktorand*innen und eine*n PostDoc einzustellen, die jeweils für einen bestimmten Aspekt des Projekts verantwortlich sein werden. Ich freue mich darauf, eine Gruppe zusammenzustellen, in der jede*r die Freiheit hat, sich als Forschende weiterzuentwickeln und gleichzeitig gemeinsam an einer Herausforderung zu arbeiten. Stipendien und Fellowships sind wichtige persönliche Meilensteine, aber am Ende zählt die Teamleistung. Dank der Förderung werde ich sowohl langjährige als auch neue Kooperationen vorantreiben, insbesondere mit Theoretiker*innen, die die Struktur und Reaktivität meiner Verbindungen vorhersagen können, und mit Expert*innen der Röntgenkristallographie, die deren atomare Anordnung genau analysieren können.

    Wie haben Sie sich auf den ERC-Antrag vorbereitet?

    Wie bei allen wissenschaftlichen Ideen – und darüber hinaus – war der Austausch mit Gleichgesinnten von Anfang an entscheidend. Als ich die Einladung zum Interview erhielt, habe ich intensiv mit meinen Kolleg*innen geprobt. Ich bat sie, so kritisch wie möglich zu sein. Das war nicht immer leicht für mein Selbstvertrauen, aber letztlich war es die beste Vorbereitung auf die finale Runde. Ich hatte das Glück, von Prof. Peter Seeberger betreut und durch den gesamten Auswahlprozess begleitet zu werden.
    Die Gespräche mit Leuten, die weniger von Bor begeistert sind als ich, haben mir eine wichtige Außenperspektive gegeben. Aber manchmal kann das auch nach hinten losgehen. Als ich meinen Vater — kein Wissenschaftler — fragte, was er von dem Kurztitel LUMIBOR hält, sagte er, das klinge wie ein Berg in einem Tolkien-Roman! Hoffentlich wird unsere Reise in die Welt von Bor nicht so gefährlich wie Tolkiens Geschichten, aber ich wage zu behaupten, dass das Streben nach Wissen über Bor es verdient, als episch bezeichnet zu werden!

    Wie begann Ihre Leidenschaft für Bor und wie passt sie in die Abteilung Biomolekulare Systeme des Instituts?

    Mein Interesse an Bor wurde während meines Studiums an der Universität Strathclyde geweckt. Was mich an Bor von Anfang an fasziniert hat, ist seine synthetische Vielseitigkeit, also seine Fähigkeit, eine Vielzahl von Verbindungen einzugehen. Besonders motivierend finde ich den Gedanken, dass meine Forschung weitere wissenschaftliche Arbeiten ermöglicht und sich hervorragend für viele Kooperationen eignet. In der Abteilung Biomolekulare Systeme von Peter Seeberger habe ich Zugang zu modernster Automatisierungs- und Flowtechnik für die Durchführung von Synthesen erhalten. Außerdem kann Bor an einige der Zucker gebunden werden, die das Spezialgebiet der Abteilung sind. Meine Forschung fügt sich daher perfekt in das Interesse meiner Kolleg*innen ein, neue diagnostische und therapeutische Werkzeuge zu entwickeln, die auf der Erkennung von Zuckern in Biomolekülen basieren.

    Um am MPIKG arbeiten zu können, mussten Sie Ihr Heimatland verlassen und nach Deutschland kommen. Was war dabei am schwierigsten?

    Das Erlernen der deutschen Sprache war wahrscheinlich nicht nur für mich eine der größten Herausforderungen. Da ich aber aus Glasgow komme, musste ich zusätzlich daran arbeiten, mich auch in meiner Muttersprache Englisch verständlich zu machen. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Aufenthalt in Deutschland als Gastwissenschaftler an der Universität Münster. Prof. Ryan Gilmour, ebenfalls Schotte, war wohl der Einzige, der mich wirklich verstand! Obwohl ich glaube, dass mein Akzent mit der Zeit schwächer geworden ist, bitten mich die Studierenden in meinen Vorlesungen an der Freien Universität immer noch hin und wieder, einen Satz oder ein Wort zu wiederholen.

    Wenn es nicht Bor gewesen wäre, welches andere chemische Element hätte Ihr Interesse geweckt und warum?

    Silizium oder Germanium, mit denen wir ebenfalls gearbeitet haben. Diese Elemente zeichnen sich durch eine einzigartige orthogonale Reaktivität aus, die sich hervorragend für die Erforschung des Chemical Spaces eignet. Man kann systematisch verschiedene Elemente nacheinander aktivieren und vom Kernmolekül in unterschiedliche Regionen des Chemical Spaces abzweigen.

    Was machen Sie, wenn Sie nicht im Labor arbeiten?

    Am liebsten entspanne ich mich beim Sport. Besonders wenn ich an einen neuen Ort ziehe, versuche ich mich über Sportvereine zu integrieren und mit den Einheimischen außerhalb der Forschungsblase in Kontakt zu kommen. In Potsdam spiele ich viel Fußball. Wer weiß, vielleicht lässt sich das LUMIBOR-Team von der Vielseitigkeit des Bors inspirieren und gründet ebenfalls ein Sportteam!


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. John J. Molloy
    John.Molloy@mpikg.mpg.de


    Originalpublikation:

    Hao Fang, Alejandro García-Eguizábal ,Constantin G. Daniliuc, Ignacio Funes-Ardoiz, John J. Molloy
    Regioselectivity of non-Symmetrical Borylated Dienes via EnT Ca-talysis: Unveiling the Relationship between Structure and Reactivity
    ChemRxiv. (2024) DOI: 10.26434/chemrxiv-2024-3hsm9

    Alessandro Marotta, Hao Fang, Callum E. Adams, Kailey Sun Marcus, Constantin G. Daniliuc, Dr. John J. Molloy
    Direct Light-Enabled Access to α-Boryl Radicals: Application in the Stereodivergent Synthesis of Allyl Boronic Esters
    Angewandte Chemie (2023) DOI: 10.26434/chemrxiv-2023-7sn7h

    Alessandro Marotta, Callum E. Adams, John J. Molloy
    The Impact of Boron Hybridisation on Photocatalytic Processes
    Angewandte Chemie (2022) DOI: 10.1002/anie.202207067


    Bilder

    Borlösungen unter einem Laserstrahl
    Borlösungen unter einem Laserstrahl

    © Hannah Kortman MPICI

    Dr. John J. Molloy
    Dr. John J. Molloy

    @MPICI


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Chemie, Medizin, Werkstoffwissenschaften
    überregional
    Forschungsprojekte, Wettbewerbe / Auszeichnungen
    Deutsch


     

    Borlösungen unter einem Laserstrahl


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