Hätten stärkere Sanktionen in der Vergangenheit, etwa gegen Russland, spätere Aggressionen verhindern können? Politikwissenschaftler der Universität Konstanz veröffentlichen Studie zum Potenzial von Sanktionen.
Dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gingen 2008 der Abwurf russischer Fliegerbomben in Georgien und 2014 die russische Invasion der Halbinsel Krim und der Region Donbas voraus. Bis heute stellen sich Politiker*innen wie Forschende die Frage: Hätte eine entschiedenere und intensivere Sanktionspolitik damals den heutigen Ukraine-Krieg verhindern können?
Gerald Schneider, Professor für Internationale Politik an der Universität Konstanz, und Thies Niemeier, der an der dortigen Graduate School of the Social and Behavioural Sciences (GSBS) promoviert, prüfen in einer neuen Studie, wie wirksam Sanktionen hätten sein können, wenn sie intensiver ausgefallen wären. Zu ihrer Einschätzung gelangen sie mittels eines statistischen Modells, welches politische und ökonomische Beziehungen zwischen Staaten in Bezug zum Erfolg von Sanktionen setzt. So können sie die Faktoren identifizieren, die Sanktionen wahrscheinlich erfolgreicher machen. Eine höhere Intensität der Sanktionen, engere Wirtschaftsbeziehungen zu dem sanktionierten Land und, ob es sich bei dem betroffenen Land um eine ehemalige europäische Kolonie handelt, steigern die Erfolgschancen von Sanktionen.
Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen
„Für Politiker*innen ist es äußerst wichtig, die wahrscheinlichen Auswirkungen verschiedener politischer Maßnahmen durchspielen zu können. Im Idealfall können solche Auswirkungen vorab eingeschätzt und entsprechend entschieden werden“, sagt Erstautor Thies Niemeier. Doch auch im Nachhinein Rückschlüsse zu ziehen, wie die Stärke von Sanktionen mit ihrer Wirkung zusammenhingen, sei hilfreich. Kontrafaktische Szenarien nennen es die Wissenschaftler, wenn sie analysieren, was anders gelaufen wäre, wenn bestimmte politische Maßnahmen früher, verstärkt oder anders ergriffen worden wären.
Niemeier und Schneider haben dies am Beispiel von Ägypten, Burundi, Mali und Russland untersucht und dabei die EU und die Vereinigten Staaten als Sanktionierende verglichen. Sie unterscheiden verschiedene Intensitätsgrade von Sanktionen. Zu den leichten Maßnahmen zählt nach ihrem Modell, wenn beispielsweise die Bewegungsfreiheit einiger russischer Oligarchen nach 2014 eingeschränkt wurde und einzelne russische Unternehmen an Investitionen gehindert wurden. Weitere Stufen umfassen die Unterbindung von Waffenhandel und ein Einfrieren der Entwicklungshilfe oder die Einschränkungen des Handels für bestimmte Industriesektoren. Oben auf der Skala stehen umfassende wirtschaftliche Embargos, wie sie einst gegen Südafrika und aktuell gegen Russland eingeführt wurden.
Je intensiver, desto effektiver
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass – zumindest in Bezug auf die EU – einschneidende Maßnahmen gegenüber Russland nach der Annexion der Krim und des Einmarsches in den Donbas mehr bewirkt hätten als das gemäßigte Vorgehen. „Je glaubwürdiger die ökonomischen Zwangsmaßnahmen sind und je kostenträchtiger, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Zielland zu Konzessionen bereit ist“, sagt Gerald Schneider. Insbesondere in Afrika habe es sich mehrfach als erfolgreich erwiesen, wenn die EU oder die USA gemeinsam mit der Afrikanischen Union oder der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) schnell und stark eingriffen.
Und Russland? „Unsere Modelle lassen darauf schließen, dass intensive Sanktionen im Jahr 2014 mit hoher Wahrscheinlichkeit den Preis für künftige Aggressionen in die Höhe getrieben und Präsident Putin verhandlungsbereiter gemacht hätten“, sagt Schneider, „wenn sie auch wahrscheinlich nicht ausgereicht hätten, um einen russischen Rückzug von der Krim zu erreichen.“ Die Politikwissenschaftler begründen diese Prognose mit den engen wirtschaftlichen und politischen Verbindungen zwischen der EU und Russland und der daraus erwachsenden Verhandlungsmacht Brüssels.
„Die durch Lobbying der Finanz- und Energieindustrie verwässerten Sanktionen im Jahr 2014 haben Präsident Putin in seinem Irrglauben bestärkt, dass er bei einer Verschärfung seiner Aggressionen gegenüber der Ukraine nur mit wenig kostenträchtigen Zwangsmaßnahmen zu rechnen habe“, meint der Konstanzer Politikwissenschaftler. Während schärfere Sanktionen der EU Russland konzessionsbereiter hätten machen können, wären nach der Studie analoge Maßnahmen der USA kaum von Erfolg gekrönt gewesen. Das Modell sagt für stärkere Sanktionen der westlichen Supermacht nicht notwendigerweise größere Wirkungen vorher.
Sanktionsstrategien von Supermacht USA
Generell beeinflusst die Intensität von bestehenden Wirtschaftsverbindungen das Wirkungspotenzial von Sanktionen, so die Studie. Die USA als Supermacht kann zudem eine andere Sanktionspolitik fahren. „Wenn eine Großmacht wie die USA Sanktionen androht, lenken betroffene Länder häufig schon bei deren Androhung ein, sodass diese gar nicht mehr verhängt werden müssen“, erklärt Niemeier dieses Phänomen. „Ein weiterer Faktor ist, dass die USA manchmal starke ökonomische Maßnahmen gegen Länder einsetzen, die wenig von der Wirtschaft der USA abhängen. Ohne wirtschaftlichen Druck zu erzeugen, kann die Sanktion nicht gelingen.“
Die Originalstudie „Counterfactual coercion: Could harsher sanctions against Russia have prevented the worst?“ können Sie auf folgender Website nachlesen: https://doi.org/10.1177/20531680241272668
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Forschungsergebnisse
Deutsch
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