Forschende aus Chemnitz, München und Frankfurt am Main entwickeln ein System, um steinzeitlichen Skeletten und Mumien einzigartige Namen zu geben.
Ötzi kennt jeder, den Mann vom Tisenjoch nicht. Dabei handelt es sich um dieselbe Person. Wenn wir heute über die Steinzeit sprechen, stehen meist die Menschen mit ihren persönlichen Geschichten im Vordergrund. Das geht, weil neueste naturwissenschaftliche Methoden in der Archäologie Einblicke liefern, durch welche menschliche Überreste gewissermaßen wieder lebendig werden. „Dennoch bezeichnen Archäologen steinzeitliche Menschenfunde meist nur mit Nummern“, so Prof. Dr. Christina Sanchez-Stockhammer, Professorin für Englische und Digitale Sprachwissenschaft an der Technischen Universität Chemnitz.
„Menschen haben aber üblicherweise Namen – das gehört zum Menschsein irgendwie mit dazu“, so die Sprachwissenschaftlerin. Die früheren Namen von Skeletten und Mumien aus der Steinzeit seien jedoch nicht überliefert, da es aus dieser Zeit keine Schrift gibt. Wäre es in diesem Fall sinnvoll, einen Personennamen zusätzlich zur Fundnummer zu geben? Und wenn ja, welchen? Das wollten Sanchez-Stockhammer sowie eine Kollegin und ein Kollege aus der Archäologie herausfinden und führten eine breit angelegte Online-Umfrage durch, für die sie Personen unterschiedlichen Alters und Hintergrunds befragten. „Je etwa zwei Drittel der 319 Befragten fanden das bisherige System zwar gut, waren aber sogar noch ein bisschen mehr dafür, Namen zu vergeben“, fasst Prof. Dr. Philipp W. Stockhammer, Professor für Prähistorische Archäologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, die Ergebnisse zusammen.
Im Deutschen folgen bereits verwendete Namen für frühe Menschenfunde wie „Ippsi“ oder „Kilti“ oft dem Muster des berühmten Gletschermanns Ötzi. „Solche verniedlichenden Formen auf Grundlage der ersten Silbe des Fundortnamens lehnten viele unserer Befragten jedoch als respektlos ab“, sagt Dr. Kerstin P. Hofmann, Erste Direktorin der Römisch-Germanischen Kommission des Deutschen Archäologischen Instituts in Frankfurt am Main. Auch stößt das „Ötzi-Prinzip“ an seine Grenzen, wenn am selben Ort Namen für mehrere steinzeitliche Personenfunde benötigt werden. „Darum haben wir ein umfassenderes System entwickelt und beispielsweise die erste Silbe des Fundortnamens ‚Haunstetten‘ mit verschiedenen Namensendungen kombiniert“, berichtet Sanchez-Stockhammer. Das Ergebnis sind in diesem Fall Namen wie „Hauna“, „Haunrid“ oder „Haunika“ – welche für die meisten Befragten wie Menschennamen oder sogar vertraut klangen.
„Das ist ein sehr schönes Ergebnis, weil es zeigt, dass unser System zukünftig bei der Namenssuche für urgeschichtliche Menschenfunde helfen kann“, freuen sich die drei Forschenden, die auch Assoziationen bezüglich Alter und Geschlecht der Namen testeten. Dabei gab es auch eine Überraschung: Der beliebteste Name war ausgerechnet „Hauni“ – also doch eine Verniedlichung.
Publikation:
Der Aufsatz kann kostenlos gelesen werden unter
Prof. Dr. Christina Sanchez-Stockhammer, Telefon +49 (0)371 531-32444, E-Mail christina.sanchez@phil.tu-chemnitz.de
Sanchez-Stockhammer, Christina, Philipp W. Stockhammer & Kerstin P. Hofmann. 2024. Ötzi und Hauna: Ein linguistisches Modell zur Namengebung bei ur- und frühgeschichtlichen Menschenfunden, Beiträge zur Namenforschung 59, 1-44, https://doi.org/10.33675/BNF/2024/1-2/4
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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