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15.10.2024 13:33

Inside GOÄ: Bundestag und Bundesrat gefährden Deutschlands Labormedizin

Markus Wolters Geschäftsstelle
Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin e. V.

    Durch die geplante Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) gefährden Bundestag und Bundesrat die Existenz zahlreicher Einrichtungen der Labormedizin. Besonders stark betroffen ist die Labormedizin an Deutschlands Universitätskliniken: Dort machen die Einnahmeverluste allein im ambulanten Bereich mitunter über 40 Prozent aus, wie eine interne Untersuchung der Universitätsklinik Köln ergab.

    Der Labormediziner Thomas Streichert führte die entsprechende Studie durch. Er arbeitet als Professor an der Uniklinik Köln, wo er die Ärztliche Leitung am Centrum für Labordiagnostik innehat. Streichert ist gleichzeitig Direktor des Instituts für Klinische Chemie. Er ist zudem Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL). MedLabPortal sprach im Rahmen der Reihe NACHGEFRAGT mit Streichert über die Studie und die Auswirkungen der kommenden GOÄ-Novelle auf die Labormedizin in Deutschland.

    MedLabPortal: Herr Prof. Streichert, die Novellierung der GOÄ scheint die Labormedizin in Aufruhr zu versetzen. In einer Mitteilung der DGKL schildert die Gesellschaft ein Szenario, in dem sogar die Schließung von Instituten möglich erscheint. Hand auf’s Herz: Für uns erscheint es wenig wahrscheinlich, dass beispielsweise das Zentrallabor der MHH, also einer Klinik der Maximalversorgung, wegen 20 Prozent Einbußen bei der GOÄ nicht wie gewohnt weiterlaufen wird. Wie schätzen Sie unsere Einschätzung als Laien ein?

    Streichert: Die Aufregung ist nachvollziehbar: Der Vorschlag der BÄK zur Novellierung der GOÄ beinhaltet deutliche Kürzungen der Vergütung für die fachärztlichen Leistungen der Labormedizin. Im Rahmen des Verbändegesprächs am 11. September 2024 hat die BÄK im Novellierungsvorschlag eine Steigerung der Vergütung von Untersuchung und Beratung um 65 Prozent und eine Absenkung der Vergütung von Labor und Radiologie von 29 Prozent vorgesehen. Dies sind in Kliniken mit relevantem Anteil in der privatärztlichen Versorgung hohe Beträge, die für die Labore fehlen. In Anbetracht der Finanzierungslücken im Bereich der Universitätsmedizin verschärft dies die Situation. Sicher ist, dass aktuell keine Uniklinik – und so auch die MHH nicht – auf Labordiagnostik verzichten kann. Dennoch wird der Druck auf die Ärztinnen und Ärzte steigen und kann z.B. zur Schließung von besonders kostspieligen Laborbereichen führen.

    MedLabPortal: Bemerkenswert ist sicherlich die Untersuchung, die Sie an ihrer Uniklinik durchführten. Auf welche Weise würde sich die Senkung der GOÄ-Einnahmen konkret auf Ihr Institut auswirken?

    Streichert: Die Aussage der BÄK, dass die Absenkung der Vergütung im Mittel 29 Prozent für Labormediziner und Radiologen führt, hat uns angetrieben, eine konkrete Folgenabschätzung für ein universitäres Labor vorzunehmen. Dies hatten wir auch mit dem vorangegangen Vorschlag der GOÄ Novelle (Version 2.0) gemacht und haben es für die aktuelle Version durchgeführt. Die Schwierigkeit liegt in der Übersetzung der Gebührenziffern, so besteht keine eins-zu-eins Verknüpfung, sondern in vielen Fällen eine n-zu-n Verknüpfung. Insofern können Rechnungen nicht einfach übertragen werden, sondern müssen mit der neuen Systematik der GOÄ neu bewertet und berechnet werden. Wir haben als Datengrundlage sämtliche Privataufträge unseres Labors der letzten zwei Jahre neu abgerechnet und zu unseren jetzigen Abrechnung verglichen. Im ambulanten Bereich kommt es zu einem Verlust von 40,26 Prozent und im stationären Bereich zu einem Verlust von 25,91 Prozent.

    MedLabPortal: Nun sind Sie aber sicher in der glücklichen Lage, diese Lücken über andere Töpfe aus Haushalten des Landes, oder vielleicht durch Sponsoren aus der Wirtschaft zu decken. Zumindest theoretisch. Wie ist die Bereitschaft Dritter, die Labormedizin finanziell zu stützen?

    Streichert: Die Universitäten sind von den Zuschüssen und Zuwendungen der Länder abhängig. Wenn Sie sich die Zahlen des VUDs zu den Jahresergebnissen der Uniklinika ansehen, wird das Ausmaß der finanziellen Unterdeckung sehr deutlich.

    MedLabPortal: Abrechnungen über die GOÄ gibt es bekanntlich nur für jene Patienten, die im Volksmund als Privatversicherte gelten, ebenso für Selbstzahler. Diese Gruppen umfassen zwar auch Beamtinnen und Beamte, dennoch – insgesamt machen die Abrechnungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) über 53 Prozent des Gesamtvolumens aus. Wie können dann Umschichtungen im GOÄ so sehr ins Gewicht fallen?

    Streichert: Die Zahlen kenne ich konkret nicht, aber wenn von den übrigen 47 Prozent nochmals ein Drittel reduziert wird, wird es eng in den meisten Unikliniklaboren.

    MedLabPortal: Als unabhängiges Informationsportal der DGKL schätzen wir Transparenz. Daher die Frage: Ein Teil der über die GOÄ abgerechneten Summen fließen doch nicht in die Kassen der Unikliniken, sondern sind die verdiente Vergütung der Chefärzte. Erklären Sie uns das für Laien schwer verständliche System in einfachen Worten?

    Streichert: Klassisch stellt der Chefarzt die Rechnung und zahlt der Klinik ein Nutzungsentgelt für die Infrastruktur, das war bei vielen Chefärzten eine wichtige Gehaltskomponente. Dies hat sich gewandelt: Gerade die jüngeren Chefärzte bekommen das Gehalt von der Klinik und die Erlöse der Privatliquidation sind zu wichtigen Einnahmen der Kliniken geworden.

    MedLabPortal: Das haben wir jetzt verstanden, es klingt nachvollziehbar. Was uns jedoch verwundert: Warum unterstützt Sie da nicht die KBV? Immerhin ist die ja wesentlich an der Festlegung der GOÄ-Sätze beteiligt, und die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen bedeutet doch: Ärzte bestimmen über die Gebühren mit.

    Streichert: Es handelt sich hier um zwei unterschiedliche Vergütungssysteme. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) vertritt ärztliche Positionen gegenüber dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung. Die GOÄ, also die Gebührenordnung für den privatärztlichen Bereich regelt die Abrechnung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung. Verordnungsgeber ist der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates.

    MedLabPortal: Auf dem Ende September in Bremen ausgerichteten Kongress der DGKL, dem DKLM 2024, haben wir eins dazugelernt: Ohne die Arbeit der Labormedizin würden quasi alle anderen medizinischen Fachgruppen nicht wirklich arbeiten können. Wir meinen dabei nicht nur den technischen Aspekt, sondern auch die Beratungsleistungen. Vereinfacht: Sie beraten den Onkologen ebenso wie den Hausarzt, wenn Laborwerte nur komplex zu interpretieren sind. Hätten Sie da ein schönes Beispiel für unsere Leserinnen und Leser?

    Streichert: Unsere Einsender haben viele Fragen, dies beginnt mit einfachen Informationen zum Material, das für eine Untersuchung gewonnen werden soll und geht weiter mit dem Telefonat zu kritischen – lebensgefährlichen – Werten und endet mit der ärztlichen Beurteilung und Beratung zu komplexen Befundkonstellationen wie z.B. in der Autoimmundiagnostik, der Gerinnungsanalytik oder dem Drug-Monitoring – und dies ist nur eine kleine Auswahl.

    MedLabPortal: Ihr Arbeitskreis befasst sich auch viel mit KI und ChatGPT. Wir haben eine andere KI befragt, wie hoch die Vergütung im Rahmen der GOÄ sein müsste, damit die Labormedizin weiterfunktioniert. Eine genaue Zahl konnte uns die KI leider nicht nennen. Was ist Ihre Antwort auf unsere Frage an ChatGPT?

    Streichert: (lacht) Die Frage ist nicht nur für eine KI schwer zu beantworten… eine pauschale Antwort dazu kann auch ich nicht geben. Die GOÄ sollte bei jeder Einzelleistung eine adäquate Vergütung vorsehen, konkret bedeutet das, dass die einzelnen Leistungen für sich betrachtet so bewertet werden müssen, dass sie in einem kleinen genau wie in einem großen Labor wirtschaftlich abbildbar und damit erbringbar sein müssen. In der GOÄ finden sich sowohl unterbewertete als auch überbewertete Leistungen. Die Kalkulationen hierzu sollten aus meiner Sicht transparent und überprüfbar sein. Dabei sollte auch berücksichtigt werden, dass Ärztinnen und Ärzte in Krankenhauslaboren einen hohen Aufwand treiben, um die Patientinnen und Patienten 24/7 mit hochwertiger Labormedizin zu versorgen.

    MedLabPortal: Herr Prof. Streichert, vielen Dank für Ihre Zeit.

    Die Fragen stellten MedLabPortal-Redakteure Marita Vollborn und Vlad Georgescu.

    ABDRUCK HONORARFREI BEI NENNUNG DER QUELLE www.medlabportal.de


    Weitere Informationen:

    http://www.medlabportal.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter, jedermann
    Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftspolitik
    Deutsch


     

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