Selbstverstärkendes Lernen kann helfen, neue Dinge zu verstehen, aber auch falsche Überzeugungen zu festigen
Stellen Sie sich ein Kind vor, das zum ersten Mal auf einem Bauernhof Schafe und Ziegen sieht. Ein Elternteil erklärt ihm, welches Tier was ist, und nach ein paar Hinweisen lernt es, beide auseinanderzuhalten. Aber was passiert, wenn das Kind nach einigen Wochen den Bauernhof erneut besucht und diese Unterstützung nicht bekommt? Wird es immer noch in der Lage sein, sich an die Merkmale zu erinnern, die Ziegen von Schafen unterscheiden lassen? Die Neurowissenschaftlerin Franziska Bröker hat genau das untersucht: Wie sowohl Menschen als auch Maschinen ohne Anleitung lernen – vergleichbar mit einem Kind, das auf sich allein gestellt ist und die Welt um sich herum entdeckt. Ihr Ergebnis: Lernen ohne Hilfestellung kann uns manchmal durchaus helfen, aber unter bestimmten Umständen auch ziemlich dumm aussehen lassen.
Beim maschinellen Lernen gelingt es Algorithmen, große Datenmengen zu durchforsten und präzise Muster zu erkennen, ohne dass sie direktes Feedback von außen erhalten. Menschen hingegen haben oft Schwierigkeiten, ohne Rückmeldung zu lernen, da sie dazu neigen können, fehlerhafte Annahmen innerlich zu verfestigen, wenn niemand ihre Fehler korrigiert.
Die neurowissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass unüberwachtes Lernen, d.h. Lernen ohne Feedback von außen, besonders erfolgreich ist, wenn die selbstgemachten Annahmen bereits relativ gut einer Lösung entsprechen. Bei komplexeren Aufgaben, wie dem Erlernen von Sprachen oder einem Musikinstrument, ist hingegen Feedback unerlässlich, um Fehler zu vermeiden. Es geht also weniger darum, ob Lernen ohne Rückmeldung grundsätzlich funktioniert, sondern vielmehr, in welchen Situationen es sinnvoll ist. Entscheidend ist also, die Rahmenbedingungen zu verstehen, unter denen selbständiges Lernen effektiv ist, um bessere Lehrmethoden und Algorithmen zu entwickeln.
Feedback als Schlüssel zum Expertenwissen
Laborstudien weisen nach, dass unüberwachtes Lernen in der Theorie mal funktioniert und mal nicht. Doch wie sieht es in der Praxis aus, insbesondere wenn es um den Erwerb von fachlicher Expertise geht? Nehmen wir Radiologen als Beispiel: In den ersten Jahren ihrer Ausbildung erhalten sie viel Feedback, doch irgendwann sind sie auf sich allein gestellt. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Erfahrung allein oft nicht ausreicht, um verlässliche Expertise zu entwickeln. Vielmehr verweist sie oft nur auf eine gewisse Seniorität als auf tatsächliches Können. Kognitive Verzerrungen, wie der Bestätigungsfehler, können den weiteren Lernerfolg behindern, da wir dazu neigen, uns auf Informationen zu stützen, die unsere bestehenden Überzeugungen untermauern statt nochmal zu reflektieren. Regelmäßiges Feedback ist daher entscheidend, um sicherzustellen, dass Lernende auf dem richtigen Weg bleiben und ihre Fähigkeiten weiterentwickeln.
Wie im Beispiel mit den Radiologen beschrieben, wird unüberwachtes Lernen häufig von Selbstverstärkungsmechanismen angetrieben, bei denen Lernende sich auf ihre eigenen Vorhersagen verlassen, anstatt Unterstützung von außen in Anspruch zu nehmen. Besonders bei der Entwicklung von Fachwissen wird dieses Problem deutlich. Ohne Korrekturschleifen von außen bleiben fehlerhafte Annahmen bestehen und verstärken sich sogar weiter – ganz gleich, ob sie richtig sind oder nicht. Diese Lernfallen entstehen vorzugsweise dann, wenn wir aufhören, motiviert nach alternativen Lösungswegen oder Informationen hierfür zu suchen, und uns stattdessen auf unsere eigenen, häufig fehlerhaften und festgefahrenen Vermutungen verlassen.
Auf das richtige Gleichgewicht kommt es an
Die Forschung an dem Thema zeigt, dass Selbstverstärkung im Zusammenhang des selbständigen Lernens ohne Hilfestellung sowohl von Vorteil als auch von Nachteil sein kann. Das Prinzip des selbstverstärkenden Lernens kann uns helfen, neue Dinge zu verstehen, aber auch dazu führen, dass wir uns in falschen Überzeugungen verwickeln. Unüberwachtes Lernen hat viel Potenzial, ist jedoch kein Wundermittel – es hängt stark davon ab, wie gut unsere Kenntnisse, unsere inneren Motivationsimpulse, die eigene Lernfähigkeit und die Aufgabenstruktur harmonieren.
Zukünftige Studien sollten daher untersuchen, wie Selbstverstärkung durch eigenes Erforschen und Entdecken und auf der anderen Seite Lernen durch externes Feedback miteinander gut zusammenwirken können, insbesondere in echten Lernsituationen. Es geht dabei nicht nur um das Lernen von Maschinen, sondern vor allem um den Lernprozess beim Menschen. So können neue Lehrmethoden entwickelt werden, die das lebenslange Lernen fördern und helfen, falsch erlernte Annahmen zu vermeiden.
Dr. Franziska Bröker
Postdoktorandin
Carnegie Mellon University
Telefon: +1 878 256-9144
E-Mail: fbroker@andrew.cmu.edu
Bröker, Franziska et al. (2024): Demystifying unsupervised learning: how it helps and hurts.
Trends in Cognitive Sciences, doi:10.1016/j.tics.2024.09.005
https://www.kyb.tuebingen.mpg.de/794392/news_publication_23575937_transferred
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Pädagogik / Bildung, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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