Neue Befragung
Mehrheit der Arbeitnehmer*innen unterstützt Energiewende, will aber stärkere Bindung an soziale Kriterien – AfD-Wählende unterscheiden sich grundlegend
Eine Mehrheit der Arbeitnehmer*innen in Deutschland unterstützt die Energiewende, also den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Kohleausstieg. Sorgen bereiten die möglichen wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Folgen, zudem hält nur rund ein Drittel der Beschäftigten die aktuellen Ziele für den Ausbau Erneuerbarer für realistisch, ein Drittel ist unentschieden, ein Drittel findet sie unrealistisch. Generell gibt es deutliche Unterschiede entlang der parteipolitischen Präferenzen: Die Anhängerschaft der AfD unterscheidet sich in ihren Ansichten grundlegend von den Wähler*innen der demokratischen Parteien und steht der Energiewende überwiegend kritisch gegenüber. Auch die BSW-Wählerschaft hat teils eigene Auffassungen, wenn auch nicht so stark abweichend wie diejenige der AfD. Unabhängig von der politischen Präferenz ist eine deutliche Mehrheit der Arbeitnehmer*innen in Deutschland dafür, die staatliche Förderung und Gestaltung der Energiewende an klare soziale Kriterien und gute Arbeitsbedingungen zu binden, wozu Tarifverträge und Mitbestimmung zählen. Das zeigt eine neue Studie von Prof. Dr. Vera Trappmann und Dr. Felix Schulz von der Universität im britischen Leeds. Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie basiert auf Daten einer repräsentativen Befragung von rund 2000 abhängig Beschäftigten in Deutschland.*
Eine Mehrheit der im April und Mai 2024 Befragten, nämlich 59 Prozent, stimmt zu, dass die Energiewende unabdingbar ist, um die Klimaziele zu erreichen. 25 Prozent sind unentschieden. Und 16 Prozent der Befragten halten sie nicht für zwingend notwendig. „Ein erheblicher Anteil von vier Zehnteln ist also nicht von der Notwendigkeit der Energiewende zur Erreichung der nationalen Klimaziele überzeugt“, so Schulz und Trappmann (detaillierte Grafiken zu allen Fragen in der Studie; Link unten).
Die größte Zustimmung findet eindeutig die Solarenergie: 61 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Deutschland einen großen oder sehr großen Anteil seiner Energie aus der Sonne beziehen sollte. Bei Windkraft sagen das 52 Prozent und bei Biomasse 34 Prozent. 23 Prozent der Befragten sprechen sich für einen hohen bis sehr hohen Anteil von Erdgas aus. Knappe Mehrheiten stehen hinter dem Ziel, zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windenergie auszuweisen. Gleiches gilt für einen weitgehenden Kohleausstieg.
Gleichzeitig ist jeweils eine knappe Mehrheit der Meinung, dass die Kernenergie und einige Kohlekraftwerke auch in Zukunft als Übergangsenergiequellen für die Industrie benötigt werden. Ein immer wieder genannter Grund dafür ist die Angst vor Versorgungsengpässen und Preissteigerungen: 37 Prozent aller Befragter befürchten eine geringere Versorgungssicherheit, 42 Prozent rechnen nicht mit sinkenden Preisen im Zuge der Energiewende. Bei beiden Aussagen zeigen sich zudem rund 30 Prozent unentschieden. Nur eine Minderheit ist mit Technologien wie Wasserstoff, der als elementarer Baustein für die Transformation energieintensiver Industrien gilt, und CO₂-Speicherung vertraut.
„Wir sehen deutlich eine große Unsicherheit mit Blick auf die Folgen der Energiewende auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. „Bestes Beispiel: Bei der Aussage ‚Die Jobs in den Branchen der erneuerbaren Energien werden gut bezahlt sein‘ antworten fast 50 Prozent mit ‚Ich stimme weder zu noch lehne ich ab‘. Das zeigt, wie groß die Fragezeichen in den Köpfen der Beschäftigten zu den sozialen und arbeitsmarktpolitischen Folgen der Energiewende sind.“
-Wähler*innen von AfD und BSW antworten deutlich anders-
Entlang des parteipolitischen Spektrums zeichnen sich klare Trends ab: Generell befürworten die Anhänger*innen der etablierten demokratischen Parteien die Energiewende stärker und liegen in fast allen Fragen näher beieinander. Aber sie lassen sich noch einmal in zwei Lager einteilen: Die Anhängerschaft der Grünen, der SPD und der Linken unterstützt die Energiewende stärker und konsequenter als die der Union und der FDP. Wenig überraschend stimmen 93 Prozent der Anhänger*innen der Grünen der Aussage zu, dass die Energiewende unverzichtbar ist, um die nationalen Klimaziele zu erreichen. Bei der Linken liegt die Zustimmung bei 90 Prozent und bei der SPD bei 83 Prozent. Jeweils 67 Prozent der Beschäftigten, die CDU/CSU oder FDP wählen würden, stimmen der Aussage zu, dass die Energiewende unabdingbar ist.
Die Anhängerschaft der AfD hebt sich mit deutlich geringeren Zustimmungswerten von den anderen ab. Hier halten nur 24 Prozent die Energiewende für unverzichtbar. Allerdings, so betonen Trappmann und Schulz, gebe es in dieser Gruppe noch viele Unentschlossene. Nicht eindeutig zu verorten sind die Anhänger*innen des BSW. Mit 41 Prozent stimmen sie der Energiewende seltener zu als die der etablierten demokratischen Parteien, aber häufiger als die der AfD.
Bei den Wähler*innen von AfD und BSW ist die Angst vor Preissteigerungen und Arbeitsplatzverlusten überdurchschnittlich ausgeprägt. Stark steigende Preise nach dem Kohleausstieg befürchten beispielsweise 71 Prozent der AfD-Anhänger*innen, beim BSW sind es 57 Prozent. Arbeitsplatzverluste erwarten 70 beziehungsweise 63 Prozent. Bei der Wählerschaft der anderen Parteien erwartet nur eine Minderheit, dass die Preise stark steigen werden, wobei allerdings unter Wähler*innen von SPD, FDP und Union ein gutes Drittel bis knapp 50 Prozent damit rechnet. Ähnlich ist das Muster bei der Frage nach Jobverlusten durch den Kohleausstieg.
-Neben wirtschaftlichen auch ideologische Gründe für Ablehnung-
Was sind die Gründe für die unterschiedlichen Einstellungen? Man könnte vermuten, dass die Sympathisant*innen von AfD und BSW mehr Angst vor Preissteigerungen und Arbeitsplatzverlust haben, weil sie im Durchschnitt über ein geringeres Einkommen und einen niedrigeren Bildungsabschluss verfügen. Die Wissenschaftlerin und der Wissenschaftler können jedoch zeigen, dass die signifikanten Unterschiede auch nach Kontrolle von soziodemografischen Merkmalen wie Einkommen, Bildung und Bundesland bestehen bleiben. Das bedeutet: Die Anhängerschaft der AfD und des BSW hat zwar mehr Angst vor den wirtschaftlichen Folgen der Energiewende. Dies ist aber nicht ausschließlich auf eine schlechtere wirtschaftliche Situation im Vergleich zu den Wähler*innen der anderen Parteien zurückzuführen. Neben sozioökonomischen Aspekten spielten offenbar auch ideologische Aspekte eine Rolle, erklären die Forschenden. Sie verweisen auf frühere Studien, nach denen AfD-Wähler*innen generell häufiger Zweifel an der Existenz des menschengemachten Klimawandels haben. Diese Einstellung sei bei vielen bereits vor dem Wechsel ins Lager der AfD vorhanden gewesen.
-Unabhängig von Parteipräferenzen will deutliche Mehrheit klare Bindung an soziale Kriterien und gute Arbeitsbedingungen-
Es gibt aber auch Mehrheiten über Parteigrenzen hinweg: Die Anhängerschaften aller Parteien, auch die der AfD und des BSW, sprechen sich laut Studie mehrheitlich dafür aus, staatliche Subventionen an soziale Aspekte und gute Arbeitsbedingungen zu knüpfen – eine Idee, für die sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften stark gemacht haben. Insgesamt stimmen 68 Prozent dem Vorschlag zu, 26 Prozent sind unentschieden und nur sechs Prozent sind dagegen.
Zudem stimmt eine Mehrheit von insgesamt 67 Prozent zu, dass die Energiewende erfolgreicher wird, wenn Bürgerinnen und Bürger sowie Beschäftigte mitbestimmen können. Am größten ist die Zustimmung bei Anhänger*innen der Linken mit 71 Prozent und des BSW mit 67 Prozent. Es folgen die SPD mit 64 Prozent, die Union mit 60 Prozent, die Grünen mit 57 Prozent, die FDP mit 54 Prozent und die AfD mit 52 Prozent.
„Insgesamt legen die Ergebnisse unserer Studie nahe, dass die Forderungen, die ökologische Transformation sozial zu gestalten, nicht nur eine Fußnote in der politischen Diskussion ausmachen können, sondern zentral werden müssen, um den Zuspruch zu demokratischen Parteien der Mitte aufrechtzuerhalten und wieder zu stärken“, schreiben Schulz und Trappmann. Sie leiten daraus vier zentrale Handlungsempfehlungen ab:
1. Förderung an soziale Bedingungen knüpfen. Staatliche Investitionen sollten an Kriterien guter Arbeit wie Tariflöhne und Betriebsräte geknüpft werden. Vor allem in den neu entstehenden Branchen sollten mehr Tarifverträge abgeschlossen werden. Hier müsse auch die Bundesregierung aktiver werden und mehr Druck auf die Unternehmen ausüben, um die Tarifbindung in der Branche der erneuerbaren Energien zu erhöhen.
2. Energiewende braucht Mitbestimmung. Neben der demokratischen Teilhabe sollten die Bürgerinnen und Bürger auch an den finanziellen Vorteilen der erneuerbaren Energien, zum Beispiel Windparks, beteiligt werden. Dies kann die Akzeptanz von Projekten in der Region erhöhen. Dazu sollte die bereits bestehende politische Unterstützung für „Bürgerwindparks“ und ähnliche Beteiligungskonzepte ausgebaut werden.
3. Haushalte finanziell entlasten. Allein auf marktwirtschaftliche Maßnahmen zu setzen, wird nicht funktionieren. So belasten zum Beispiel marktbasierte CO₂-Preise die unteren und mittleren Einkommensgruppen überproportional. Um einen Ausgleich zu schaffen, könnten zum einen Senkungen der Steuern auf Lebensmittel mit günstiger CO₂-Bilanz und den öffentlichen Verkehr das allgemeine Preisniveau senken und so die Haushalte entlasten. Zum anderen müssen durch eine Reform der Schuldenbremse mehr öffentliche Mittel für die Dekarbonisierung der Infrastruktur bereitgestellt werden. Das würde Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit geben, CO₂-Emissionen zu vermeiden und damit Geld zu sparen, etwa durch leistungsfähigen und günstigen öffentlichen Nahverkehr. Ebenso muss die Bundesregierung ihr Versprechen für mehr bezahlbaren, energieeffizienten und emissionsarmen sozialen Wohnungsbau einlösen.
4. Vertrauen in Energiesicherheit schaffen. Die Bundesnetzagentur hat versichert, dass die Energieversorgung auch nach dem Kohle- und Atomausstieg gesichert ist. In der Bevölkerung ist dies jedoch noch nicht angekommen – es herrscht große Verunsicherung, die den Rückhalt für die Energiewende schmälert. Die Forschenden empfehlen daher Informationskampagnen.
Christina Schildmann
Leiterin Abteilung Forschungsförderung
Tel.: 0211-7778-194
E-Mail: Christina-Schildmann@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-008965 - *Felix Schulz und Vera Trappmann: Wie blicken Arbeitnehmer:innen auf die Energiewende? Eine Analyse entlang politischer Parteipräferenzen, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 354, Oktober 2024
https://www.boeckler.de/de/podcasts-22421-steht-die-energiewende-auf-der-kippe-6... - Mehr zu den Ergebnissen der Studie auch in der neuesten Folge unseres Podcasts "Systemrelevant"
Korrektur zu unserer eben verschickten Pressemitteilung
Sehr geehrte Damen und Herren,
leider ist uns in unserer eben verschickten Pressemitteilung ein Fehler bei einer Zahl unterlaufen. Relativ am Ende muss es korrekt heißen:
„Zudem stimmt eine Mehrheit von insgesamt 57 Prozent zu, dass die Energiewende erfolgreicher wird, wenn Bürgerinnen und Bürger sowie Beschäftigte mitbestimmen können.“
In der ersten eben verschickten Version hieß es fälschlich „67 Prozent“.
Bitte entschuldigen Sie den Fehler.
Viele Grüße
Das Team der Pressestelle
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Gesellschaft, Politik
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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