315/97 26. September 1997
Die Zahl der Haftungsprozesse, in denen sich Ärzte für Kunstfehler oder auch nur für leichte Fahrlässigkeiten bei der Ausübung ihres Berufs verantworten mußten, ist in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Dafür sind, so stellten angesehene Fachreferen- ten aus Medizin und Rechtswissenschaften bei einem Symposium im Essener Universi- tätsklinikum übereinstimmend fest, verschiedene Gründe verantwortlich. Die moderne Medizin dringe in immer neue Grenzbereiche vor, die Möglichkeiten zur Qualitätskon- trolle und Fehleranalyse seien ausgeweitet worden, und gleichzeitig habe die Rechtspre- chung die Anforderungen an die ärztliche Sorgfalt immer deutlicher ausformuliert, faßte der Direktor der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie am Essener Universitätsklini- kum, Professor Dr. Horst Sack, gestern (Freitag, 26. September) vor der Presse wich- tige Gesprächsergebnisse der von ihm, dem Tübinger Radiologen Professor Dr. Mi- chael Bamberg sowie dem Göttinger Medizinrechtler Professor Dr. Erwin Deutsch ge- meinsam organisierten Arbeitstagung zusammen.
"Rechtsfragen in der Radioonkologie" hieß das Thema, das insbesondere unter dem Gesichtspunkt des zwischen dem Arzt und seinem Patienten zu schließenden "therapeutischen Bündnisses" diskutiert wurde. Dieses Bündnis stehe generell in einem Spannungsfeld der Interessen: Der Kranke werde von der Erwartung geleitet, daß der Arzt ihn als kranken Menschen ernst nehme und ihm als Sachverständiger bei der Wie- derherstellung seiner Gesundheit geeignete Hilfe leiste; der Arzt hingegen sehe sich zu- nehmend mit der Frage konfrontiert, ob seine Tätigkeit den Forderungen von Wissen- schaft und klinischer Praxis entspreche. Für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, die die Wiederherstellung der Gesundheit zum Ziel habe, seien, sagte Sack, Selbstver- antwortung des Patienten und die kompetente, gleichzeitig verstehbare Information und Aufklärung durch den Arzt gleichwertige Voraussetzungen.
Gerade in Universitätskliniken bewegen sich Ärzte sehr häufig auf dem schmalen Grad zwischen Standardbehandlung und den Ergebnissen aktueller medizinischer Forschung. Ein Arzt darf durchaus vom Standard abweichen, wenn sachliche Erwägungen dies na- helegen. Die Anwendung neuer Behandlungsverfahren bietet dem Patienten die Chance, an den Fortschritten der Medizin teilzuhaben, bedeutet aber auch, das Risiko einer nicht immer schon ausreichend lange erprobten Methode zu tragen. Um so mehr gehört die Aufklärung des Patienten über Befund, Art, Umfang und Ablauf der geplanten Behand- lung, über mögliche vorübergehende oder bleibende Schädigungen, über die Kosten und über Behandlungsalternativen zu den fundamentalen ethischen Pflichten des Arztes. Denn keine medizinische Behandlung darf ohne freie Zustimmung des Patienten vorge- nommen werden. Das aber setzt voraus, daß dem Patienten die notwendige Information als Entscheidungshilfe zur Verfügung steht.
Unproblematisch ist das aus Sicht der Ärzte nicht. Denn umfangreiche Information kann auch dazu führen, daß Patienten in Kenntnis möglicher, an und für sich nicht zu erwartender, aber schwerer Komplikationen eine dringend notwendige Behandlung ab- lehnen und dann schwere Nachteile hinnehmen müssen. Im Einzelfall könnten solche Situationen beide Partner des therapeutischen Bündnisses in eine erhebliche Unsicher- heit führen, sagte Professor Sack.
In einem Dialog der verschiedenen Gruppen, die an der Aufklärung möglicher Kunstfeh- ler oder Fahrlässigkeiten beteiligt sind - Fachärzte, Juristen, Patentanwälte, Haftpflicht- versicherer, Krankenhausträger, Vertreter von Fachgesellschaften -, sieht Sack einen Ausweg aus dem Dilemma, in das Ärzte geraten können, weil die Rechtsprechung die Ansprüche an ihre Sorgfalt immer deutlicher formuliert und dadurch die Freiräume ärzt- lichen Ermessens einengt, weil aber auch die Fortschrittsgläubigkeit mancher Patienten den Gedanken an die Grenzen und an das Versagen ärztlicher Kunst gar nicht mehr aufkommen läßt.
Redaktion: Monika Rögge, Telefon: (02 01) 1 83-20 85
Weitere Informationen: Dr. Christoph Pöttgen, Telefon: (02 01) 7 23-20 75/- 23 21
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
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Deutsch
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