Seit vor gut 20 Jahren Wölfe in Deutschland wieder heimisch wurden, breiten sie sich schnell in vielen Teilen des Landes aus. Die rasch ansteigende Zahl der Wölfe lag in hohen Überlebens- und Reproduktionsraten in Gebieten begründet, die geeignete Umweltbedingungen aufweisen. Dies zeigt eine Analyse des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) in Zusammenarbeit mit dem LUPUS Institut, dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) und dem Senckenberg Zentrum für Wildtiergenetik. Die Überlebenswahrscheinlichkeit für Wölfe war im Analysezeitraum so hoch wie nirgends sonst auf der Welt.
Die Expansionsphase werde jedoch enden, sobald die Tragfähigkeit des Lebensraums erreicht sei – dann ist auch mit einem Absinken der Überlebensraten zu rechnen, so das Forschungsteam in einem neuen Artikel in der Fachzeitschrift „Wildlife Biology“.
Junge Wölfe in Deutschland wiesen während der ersten zwei Jahrzehnte seit dem Beginn der Wiederbesiedlung Deutschlands eine jährliche Überlebenswahrscheinlichkeit von 75 Prozent auf, bei erwachsenen Tieren waren es sogar 88 Prozent. Bei jungen Wölfen bis zu einem Alter von 2 Jahren war die Überlebensrate dabei von der Eignung des Lebensraumes abhängig – je schlechter dieser für Wölfe geeignet war, desto geringer ihre Überlebenschance; bei erwachsenen Wölfen konnte dieser Zusammenhang durch das Forschungsteam unter Leitung der Abteilung für Ökologische Dynamik des Leibniz-IZW nicht nachgewiesen werden. „Mittels Überlebensanalysen mit statistischen Modellierungsmethoden konnten wir die mittlere Überlebenszeit eines Wolfes in Deutschland von 146 Wochen, also ungefähr drei Jahren, ermitteln“, sagt Prof. Dr. Stephanie Kramer-Schadt, Leiterin der Abteilung am Leibniz-IZW und Professorin an der Technischen Universität Berlin. Das höchste nachgewiesene Alter eines Wolfes im Untersuchungsdatensatz betrug fast 13 Jahre.
„Die Überlebensraten der deutschen Wolfspopulation waren im Vergleich zu anderen Regionen sehr hoch, sie gehörten sogar zu den höchsten weltweit“, so Kramer-Schadt weiter. „Dies deutet darauf hin, dass sich die Wölfe in den untersuchten 20 Jahren in für sie sehr gut geeigneten Lebensräumen ansiedelten. Auch der strenge gesetzliche Schutz hat dazu beigetragen.“ Als geeignet qualifizieren sich Landstriche, die ausreichend Deckung – beispielsweise durch Wälder – und Rückzugsräume bieten, die möglichst weit von Straßen entfernt liegen. Dadurch ermöglichen diese Räume dem Wolf, dem Menschen aus dem Weg zu gehen. Siedeln sich Wölfe in weniger geeigneten Lebensräumen an, wirkt sich dies negativ auf das eigene Überleben und die Fortpflanzung aus. „Während erwachsene Tiere in weniger gut geeigneten Gebieten noch gut überleben und Reviere gründen können, verlangsamt die geringere Überlebensrate von Jungtieren und subadulten Tieren sowie die geringere Anzahl von Jungtieren pro Wurf das Populationswachstum und damit die Ausbreitung der Art.“ Wenn die optimalen Lebensräume besetzt sind, wird sich das Wachstum der Population abbremsen, so die Wissenschaftlerin.
Grundlage der wissenschaftlichen Untersuchung war ein Langzeitdatensatz, der durch die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) bereitgestellt wurde und die Erhebungen und Erkenntnisse des umfassenden Wolfsmonitorings der Bundesländer sowie zehntausende DNA-Untersuchungen durch das Senckenberg Zentrum für Wildtiergenetik inkludierte, was diese Forschung überhaupt erst ermöglichte. In der Untersuchung ermittelte das Team auch die Reproduktionsleistung von insgesamt 201 weiblichen Wölfen aus 165 Territorien, die Teil des analysierten Langzeitdatensatzes von 2000 bis 2020 waren. „Wir konnten darin Daten von den weiblichen Wölfen analysieren, die nachweislich Nachkommen bekamen – und zwar im Schnitt im Alter von 2,8 Jahren“, sagt IZW-Wissenschaftlerin und Erstautorin des Aufsatzes Dr. Aimara Planillo. „Die Analysen zeigen zudem einen höheren Reproduktionserfolg von Weibchen mit mehr Erfahrung sowie in besser geeigneten Lebensräumen, wo sie bis zu fünf Jahre lang Nachwuchs zeugten.“ Zusammenfassend zeigen die Modelle, dass sich vor allem ein gut geeigneter Lebensraum sowie die reproduktive Erfahrung des Weibchens ebenfalls positiv auf die Zahl der Nachkommen pro Wurf auswirken, welche in Deutschland bei im Schnitt vier Nachkommen liegt.
Untersuchungen in anderen Ländern und Regionen zeigen, wie hoch die Überlebensrate für erwachsene Wölfe in Deutschland im Vergleich ist. Andere nicht bejagte Populationen weisen mit 78 Prozent in den USA oder 82 Prozent im Alpenraum zwar auch hohe Raten für erwachsene Wölfe auf, wobei diese nicht an die 88 Prozent in Deutschland heranreichen; dies liegt daran, dass es sich bei der Population in Deutschland um eine sich noch ausbreitende Population handelt.
Die Abteilung für Ökologische Dynamik des Leibniz-IZW erforscht (unter anderem) die Populationsentwicklungen von Großkarnivoren wie dem Wolf oder dem Eurasischen Luchs anhand individuen-basierter, räumlicher Modelle und spannt dabei den Bogen von der Analyse vergangener Prozesse – wie der Wiederbesiedlung Deutschlands durch den Wolf – bis zur Vorhersage zukünftiger Entwicklungen. Für die aktuell in „Wildlife Biology“ publizierte Forschungsarbeit nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler demografische Daten zur Wolfspopulation (Alter, Geschlecht, Geburtsjahr und -ort, Wiederfundzeitpunkte und -orte und Todesursache) aus den Jahren 2000 bis 2020 und setzten sie in Beziehung zu Umweltvariablen wie Lebensraumeignung (beeinflusst durch Landschaftstyp, Nähe zu Straßen oder die Dichte menschlicher Besiedlung), Wolfspopulationsdichte (jährliche Dichte von Wolfsterritorien um das Territorium im Fokus) sowie die Jahreszeit.
Ein wesentlicher Teil der Daten stammt aus der fortlaufenden molekulargenetischen Untersuchung von im Freiland gesammelten Proben, die im Rahmen des Wolfsmonitorings der Bundesländer an Senckenberg eingeschickt werden. Zahlreiche Wolfsindividuen, von denen über die Jahre mehrfach Proben gesammelt wurden, können anhand der erstellten genetischen Profile wiedererkannt und über Verwandtschaftsanalysen Rudeln zugeordnet werden. Das Leibniz-IZW-Team entwickelte dann räumlich-statistische Modelle, um den Einfluss der Umweltvariablen auf die Überlebenswahrscheinlichkeit der Population, die jährlichen Überlebensraten der unterschiedlichen Altersklassen, die Reproduktionswahrscheinlichkeit und die Reproduktionsleistung zu ermitteln. Damit wurde sichtbar, wie gut eine Variable – etwa eine hohe Qualität des Lebensraumes – bestimmte Populationsparameter vorhersagen kann und wie groß ihr Einfluss auf die Zahl und räumliche Verteilung der Wölfe in Deutschland ist.
Vorherige wissenschaftliche Untersuchungen des Leibniz-IZW zeigten, dass
• die Wiederbesiedlung Deutschlands durch den Wolf kein gleichbleibender, kontinuierlicher Prozess, sondern von sich verändernden Rahmenbedingungen geprägt ist. Das bedeutet zum Beispiel, dass Wölfe in Bezug auf die Eignung der Lebensräume in unterschiedlichen Phasen ein unterschiedliches Verhaltensspektrum zeigen: In frühen Phasen picken sich Wölfe die „Sahnestücke“ für neue Territorien heraus, während ihre Ansprüche in späteren Phasen nahe der Lebensraum-Sättigung nachweislich sinken. Die in der aktuellen Untersuchung identifizierte geringere Überlebensrate von Jungtieren und die geringere Anzahl an Nachkommen in weniger gut geeigneten Gebieten liefert die Erklärung für diese Präferenzen der Wölfe. Weitere Informationen: https://www.izw-berlin.de/de/pressemitteilung/sahnestuecke-zuerst-raeumliche-mod... (Leibniz-IZW-Pressemitteilung vom 16.11.2023)
• die Wolfspopulation in Deutschland im Wesentlichen gesund ist und dass durch Menschen verursachte Tode wie Kollisionen im Verkehr oder illegale Tötungen für die überwältigende Mehrheit der tot aufgefundenen Wölfe verantwortlich sind. Daten der mittlerweile 1.000 im Leibniz-IZW sezierten Wölfe aus Deutschland zeigen, dass rund drei Viertel der toten Wölfe an einer Kollision im Verkehr sterben – zumeist mit Autos auf Landstraßen oder Autobahnen. In 13,5 Prozent aller untersuchten Wölfe wurden Hinweise auf eine Straftat wie zum Beispiel den illegalen Beschuss gefunden, wobei die Tiere nicht immer daran starben. Weitere Informationen: https://www.izw-berlin.de/de/pressemitteilung/leibniz-izw-obduziert-1000-wolf-se... (Leibniz-IZW-Pressemitteilung vom 23.07.2024)
Die Untersuchung wurde vom Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) unter Förderkennzeichen 3521 83 1300 gefördert.
Prof. Dr. Stephanie Kramer-Schadt
Leiterin der Abteilung für Ökologische Dynamik
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Telefon: +49(0)30 5168714
E-Mail: kramer@izw-berlin.de
Dr. Aimara Planillo
Wissenschaftlerin in der Abteilung für Ökologische Dynamik
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Telefon: +49(0)30 5168453
E-Mail: planillo@izw-berlin.de
Ilka Reinhardt & Gesa Kluth
LUPUS Institut für Wolfsmonitoring und -forschung
Telefon: +49(0)35727 57762
E-Mail: kontakt@lupus-institut.de
Planillo A, Reinhardt I, Kluth G, Collet S, Rolshausen G, Nowak C, Steyer K, Ellwanger G, Kramer-Schadt S (2024): Habitat and density effects on the demography of an expanding wolf population in Central Europe. Wildlife Biology 2024: e01246. DOI: 10.1002/wlb3.01246
Wolf (Canis lupus) am Waldrand
Jan Zwilling
Leibniz-IZW/Jan Zwilling
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Gesellschaft, Politik, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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