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09.08.2004 10:44

Stalinismus und Krieg untertage - RUB-Historikerin erhält Lise-Meitner-Stipendium

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Wie die sowjetischen Bergleute ihre Arbeit unter der Sowjetmacht und unter deutscher Besatzung während des zweiten Weltkriegs erlebten, untersucht Dr. Tanja Penter (Institut für Soziale Bewegungen der RUB) in ihrer Habilitation "Stalinismus und Krieg untertage: Arbeiten und Leben im Donbass 1929-1953". Sie verknüpft in ihrer Regionalstudie Fragen der Stalinismus- und Besatzungsforschung - zweier Forschungsfelder, die bisher weitgehend losgelöst voneinander stehen. Bei ihrem Habilitationsprojekt wird Dr. Penter für die nächsten zwei Jahre mit dem Lise-Meitner-Stipendium des NRW-Wissenschaftsministeriums unterstützt.

    Bochum, 09.08.2004
    Nr. 244

    Stalinismus und Krieg untertage
    Zwangsarbeiter im Donezbecken unter deutscher Herrschaft
    RUB-Historikerin erhält Lise-Meitner-Stipendium

    Wie die sowjetischen Bergleute ihre Arbeit unter der Sowjetmacht und unter deutscher Besatzung während des zweiten Weltkriegs erlebten, untersucht Dr. Tanja Penter (Institut für Soziale Bewegungen der RUB) in ihrer Habilitation "Stalinismus und Krieg untertage: Arbeiten und Leben im Donbass 1929-1953". Sie verknüpft in ihrer Regionalstudie Fragen der Stalinismus- und Besatzungsforschung - zweier Forschungsfelder, die bisher weitgehend losgelöst voneinander stehen. Bei ihrem Habilitationsprojekt wird Dr. Penter für die nächsten zwei Jahre mit dem Lise-Meitner-Stipendium des NRW-Wissenschaftsministeriums unterstützt. Fünf der dieses Jahr insgesamt 25 geförderten Wissenschaftlerinnen forschen an der RUB.

    Alltag unter deutscher Besatzung

    Im Zentrum der Studie stehen die Arbeits- und Alltagserfahrungen der Bevölkerung in der zentralen sowjetischen/ukrainischen Bergbauregion des Donezbeckens vom Beginn der forcierten Industrialisierung 1929 bis zum Ende der Stalin-Ära 1953. Ein größeres Kapitel ist darin auch der Zeit der deutschen Besatzung 1941-1943 gewidmet. Damals war die Situation der Arbeitskräfte - wie die bisherige Untersuchung zeigt - mindestens ebenso schlecht wie die ihrer Landsleute, die als "Ostarbeiter" ins Reich verschleppt worden waren und dort in der Kriegsindustrie arbeiten mussten. Die Arbeiter wurden wirtschaftlich ausgebeutet, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen waren schlecht, obwohl sie zumeist in ihren eigenen Wohnungen wohnten und nicht in Lager gebracht wurden.

    Zwangsarbeit war nichts Neues

    "Fragt man die Betroffenen nach ihrer Wahrnehmung und Erfahrung des Arbeitseinsatzes, so zeigt sich, dass die Besatzungszeit vor dem Hintergrund ihrer spezifischen Arbeits- und Alltagserfahrungen in der Sowjetunion der 1930er Jahre nur zum Teil etwas völlig Neues darstellte", berichtet Tanja Penter, in Interviews mit Zeitzeugen sei das manchmal spürbar. Der Grund: Eine wesentliche Voraussetzung, um Zwangsarbeit als massiven Eingriff in die persönlichen Freiheitsrechte wahrnehmen zu können, ist die vorangegangene Erfahrung "freier Arbeit", die den meisten Sowjetbürgern fehlte. "Die Alltagserfahrung der meisten sowjetischen Arbeitskräfte war geprägt von der Aufhebung der Freizügigkeit, extrem schlechten Wohnbedingungen, geringer Kaufkraft, rationierter Lebensmittelversorgung und - spätestens seit Ende der 1930er Jahre - auch dem Fehlen eines Arbeitsmarktes und der freien Wahl des Arbeitsplatzes", so die Forscherin. Insbesondere im Bergbau waren Zwangsrekrutierungen keine Seltenheit. Die Verbindung von Arbeit und Zwang zog sich wie ein roter Faden durch die sowjetische Vor- und Nachkriegsgeschichte.

    Motivation und Propaganda

    Zugleich gab es im sowjetischen Bergbau der 1930er Jahre aber auch spezifische Freiräume und Methoden der Leistungsmotivation - auch darin bestanden Parallelen zur Besatzungszeit. Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin, insbesondere unerlaubtes Fernbleiben, waren z. B. charakteristisch und wurden auch unter der Besatzungsherrschaft mehr oder weniger geduldet. In der Endphase der Besatzung griffen die deutschen Besatzungsbehörden sogar alte sowjetische Motivationsmethoden des "sozialistischen Wettbewerbs" wieder auf. Auch die propagandistische Mobilisierung für den Arbeitseinsatz, bei der die Besetzer ähnliche Zukunftsvisionen, Modernisierungs- und Fortschrittsmotive verwendeten wie die sowjetische Propaganda in den 1930er Jahren, wies starke Parallelen auf.

    Simulierter Kriegszustand unter Stalin

    Grund für diese Ähnlichkeiten ist wohl vor allem, dass die stalinistische Kommandowirtschaft bereits den Charakter einer permanenten Notstandswirtschaft besaß. "Neuere Forschungsarbeiten zur Sowjetunion der 1930er Jahre sprechen sogar von einem 'simulierten Kriegszustand', der seinen Ausdruck in einer starken Militarisierung des alltäglichen Lebens fand", so Tanja Penter. Der NS-Arbeitseinsatz scheint nur eine extreme Überspitzung dessen zu sein, was die Sowjetbürger in Ansätzen bereits in den 1930er Jahren erlebt hatten. Das Besondere der "neuen Ordnung" findet sich am ehesten in einer Umkehr gesellschaftlicher und innerbetrieblicher Hierarchien: Gesellschaftliche Gruppen, die unter der Sowjetmacht zu den "Verlierern" des Systems zählten, wurden unter der deutschen Besatzung bessergestellt und umgekehrt.

    Erstmaliger Blick in Archive

    Als Quellengrundlage dienen Dr. Penter Archivdokumente aus deutschen, ukrainischen und russischen Archiven, die nach der Öffnung der ehemaligen sowjetischen Archive zum Teil erstmals ausgewertet werden können, sowie die einschlägige Regionalpresse und Interviews mit deutschen und ukrainischen Zeitzeugen.

    Die Preisträgerin

    Dr. Tanja Penter, geboren 1967, studierte Osteuropäische Geschichte in Köln und wurde 1999 promoviert. Drei längere Studien- und Forschungsaufenthalte führten sie nach Russland und in die Ukraine. Die Mutter einer Tochter war zwischen 2001 und 2003 Mitarbeiterin am Institut für soziale Bewegungen im Forschungsprojekt "Zwangsarbeit im Kohlenbergbau", gefördert aus Mitteln der Stiftung Bibliothek des Ruhrgebiets (Bochum) und der RAG (Essen). In diesem Zusammenhang stellte sie umfangreiche Archivrecherchen in der Ukraine (Donec'k und Kiev) und in Russland (Moskau) an und führte Interviews mit ukrainischen Zeitzeugen. Mit dem Lise-Meitner-Stipendium fördert das NRW-Wissenschaftsministerium junge Wissenschaftlerinnen auf ihrem Weg in die Spitzenforschung. Die Frauen werden für jeweils zwei Jahre bei ihrer Habilitation unterstützt, mit der Wissenschaftler den Nachweis ihrer Lehrbefähigung erbringen und sich um eine Professur an Hochschulen bewerben können.

    Weitere Informationen

    Dr. Tanja Penter, E-Mail: tanja.penter@t-online.de


    Bilder

    Russische Bergleute arbeiteten für die deutschen Besatzer
    Russische Bergleute arbeiteten für die deutschen Besatzer

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Russische Bergleute arbeiteten für die deutschen Besatzer


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