Prähistoriker der Universitäten Jena und Neuchâtel (Schweiz) haben altsteinzeitliche Tierknochenfunde, die in den 1970er Jahren in der Nähe des thüringischen Saalfeld ausgegraben wurden, erneut ausgewertet. Die neu gewonnenen Erkenntnisse unterstützen die These, dass in dieser Zeit die Menschen nicht in größeren Camps lebten, von denen aus Jagdexpeditionen starteten und wieder dorthin zurückkehrten, sondern dass sie in kleinen mobilen Gruppen umherzogen und dabei den Spuren der nächsten Beute folgten.
Im Thüringer Schiefergebirge, südlich von Saalfeld, liegt auf etwa 400 Meter Höhe die sogenannte Teufelsbrücke. Was heute wie ein Felsentor erscheint, sind eigentlich die Ruinen einer Höhle. In ihrem Umfeld gruben Archäologen zwischen 1970 und 1972 altsteinzeitliche Funde aus. Sie stammen aus dem sogenannten Magdalénien – einer Kultur, die vor etwa 20.000 Jahren begann und rund 6.000 Jahre dauerte. Nun haben Prähistoriker der Universitäten in Jena und Neuchâtel diese Knochen, die im Thüringischen Landesamt für Denkmalpflege in Weimar aufbewahrt werden, erneut bearbeitet. „In der Archäologie ist es üblich, ältere Funde immer wieder neu auszuwerten“, erklärt der Prähistoriker Prof. Dr. Clemens Pasda von der Universität Jena. „Da sich Forschungsmethoden über die Zeit ändern und beispielsweise neue technische Verfahren zusätzliche Untersuchungsmöglichkeiten bieten, gewinnen wir aus ihnen heute neue Informationen.“
Erstmals Murmeltiere in Thüringen nachgewiesen
In diesem Fall hatten die früheren Archäologen in der Grabungspublikation 2.000 bestimmbare Knochen registriert – Clemens Pasda und sein Kollege Werner Müller fanden nun heraus, dass sich die rund 140 Kilogramm Knochenmaterial auf insgesamt rund 11.500 einzelne Knochen verteilen. Allein das erweitert den Blick auf die Fundstelle in der Teufelsbrücke enorm. Durch die Radiokarbondatierung von 20 Stücken fanden sie heraus, dass sich die Jägergruppen nur in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum vor etwa 15.000 bis 16.000 Jahren in der Teufelsbrücke aufhielten. Damit gehört der Ort europaweit zu den am besten zeitlich fixierbaren Fundstellen des Magdalénien.
Die Bandbreite der identifizierten Tierarten ist groß: Klassische Beutetiere für diese Zeit, wie Hasen, Schneehühner, Steinböcke und Rentiere, sind ebenso vertreten wie Überreste von Mammut und Wollnashorn, deren Vorkommen in Thüringen zu dieser Zeit die Forschenden überrascht haben. Auch Knochen von Fleischfressern wie Höhlenlöwe, Luchs und Vielfraß repräsentieren unter den Funden die Fauna der damaligen Zeit. „Zudem ist erstmalig für Mittel- und Ostdeutschland das Murmeltier nachgewiesen“, ergänzt Clemens Pasda. „Jedoch handelt es sich hierbei um Schneidezähne, die – ebenso wie aufgefundene abgeschnittene Rentierzähne – als Schmuckelemente dienten und von den damaligen Besitzern auch aus anderen Regionen mitgebracht worden sein könnten.“
Pferdefleisch am häufigsten auf dem Speiseplan
Der deutlich überwiegende Anteil der Knochen – etwa 80 Prozent – stammt allerdings, wie bei vielen anderen Fundstätten aus dieser Zeit auch, von Pferden. Mindestens 66, vermutlich aber rund 200 Tiere sind insgesamt in dieser Zeit rund um diesen Ort getötet worden. Die meisten waren im Alter zwischen zwei und zehn Jahren, es sind aber auch Spuren älterer Pferde und wenige Monate alter Fohlen darunter. Vermutlich ist dies das Ergebnis einzelner Jagdereignisse, bei denen die Jäger in der Umgebung jeweils ganze Herden angriffen, dabei ein bis drei Tiere erlegten und ihre Jagdbeute dann vollständig in einem kleinen Lager in der Teufelsbrücke einbrachten. „Hier nutzten und konsumierten sie das gesamte Pferd, vom Fell und Fleisch bis zum Knochenmark“, informiert Clemens Pasda. „Wie Schnittspuren auf den Knochen belegen, nutzten sie sogar das Horn der Hufe. Dies geschah vermutlich an Feuerstellen, an denen sie die durch die archäologischen Funde belegten Jagdwaffen wieder instand setzten, zum Schneiden geeignete Klingen aus Feuerstein herstellten, Nähnadeln mit Öhr aus Knochen herausschnitten, Mammutelfenbein bearbeiteten und Tierfiguren auf Steine gravierten.“
Mobile Kleinstgruppen statt große Camps
Die neu ausgewerteten Funde legen nahe, dass die Menschen, die in dieser Zeit durch Thüringen zogen, anders lebten, als bisher angenommen. „Hierzulande gehen die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler davon aus, dass im Magdalénien die Menschen bereits scheinbar sesshaft in großen zentralen Camps lebten. Von dort aus sollen sie einzelne Jagdexpeditionen gestartet haben und danach auch wieder dorthin zurückgekehrt sein, damit die größere Gemeinschaft die Beute verwerten konnte“, erklärt der Prähistoriker von der Universität Jena. Schweizer Kolleginnen und Kollegen hingegen zeichnen seit einigen Jahren ein ganz anderes Bild: Anhand einiger gut erhaltener Fundplätze in der Schweiz gehen sie davon aus, dass eher hochmobile Kleinstgruppen umherzogen, einige ihrer Mitglieder auf die Jagd gingen und die Beute dann von der gesamten Gruppe direkt in der Nähe des Tötungsplatzes verarbeitet wurde.
„Das würde unseren Blick auf das Magdelénien verändern“, sagt Clemens Pasda. „Bisher vermutete man, dass sich das Zusammenleben in dieser Zeit von einfach zu komplex entwickelte, also von einzelnen kleinen Gruppen hin zu größeren Verbänden. Möglicherweise hat sich das aber gar nicht so stark verändert.“ Die Funde in der Teufelsbrücke schreibt der Jenaer Experte ebenfalls einer solchen Kleinstgruppe zu, die hier regelmäßig auf der Jagd Station machte, ihre Beute verarbeitete und dann weiterzog.
Die Untersuchungen fanden im Rahmen eines Projekts statt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.
Prof. Dr. Clemens Pasda
Institut für Orientalistik, Indogermanistik, Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie der Universität Jena
Löbdergraben 24a, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944895
E-Mail: clemens.pasda@uni-jena.de
W. Müller und C. Pasda: More on the Magdalenian in Thuringia – A re-investigation of the faunal remains from Teufelsbrücke, in: Quartär – Internationales Jahrbuch zur Erforschung des Eiszeitalters und der Steinzeit, 2023 (veröffentlicht November 2024)
Geschnittene und gebrochene untere Schneidezähne vom Alpenmurmeltier (Marmota marmota) von der Teufe ...
(Foto: W. Müller)
Universität Jena
Zehenknochen vom Pferd von der Teufelsbrücke mit durch Feuersteinmesser entstandenen Schnittmarken.
(Foto: W. Müller)
Universität Jena
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
Geschnittene und gebrochene untere Schneidezähne vom Alpenmurmeltier (Marmota marmota) von der Teufe ...
(Foto: W. Müller)
Universität Jena
Zehenknochen vom Pferd von der Teufelsbrücke mit durch Feuersteinmesser entstandenen Schnittmarken.
(Foto: W. Müller)
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