Eine Studie der Universität Bern und der Woods Hole Oceanographic Institution in den USA kommt zum Schluss, dass sich die Ozeanzirkulation im Nordatlantik, zu der auch der Golfstrom gehört, in den vergangenen 60 Jahren noch nicht abgeschwächt hat. Diese Ergebnisse widersprechen bisherigen Annahmen.
Das milde Klima in Europa verdanken wir der Ozeanzirkulation im Nordatlantik, die nicht nur Wärme vom Äquator nordwärts transportiert, sondern auch Sauerstoff und Nährstoffe im Ozean verteilt. Der Zusammenbruch dieses zentralen Elements des Klimasystems hätte gravierende Folgen und wurde vom Weltklimarat IPCC als eines von 15 sogenannten Kippelementen identifiziert. Sind Kipppunkte überschritten, geht das System in einen neuen stabilen Zustand über und die Folgen sind potenziell irreversibel. Ob sich die atlantische Zirkulation (Englisch: Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) als Folge des Klimawandels bereits abgeschwächt hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, da direkte Beobachtungen erst seit 20 Jahren verfügbar sind. Daher wird in der Klimaforschungsgemeinschaft intensiv darüber diskutiert.
Eine Studie, die soeben im Fachmagazin Nature Communications erschienen ist, liefert einen neuen Beitrag zu dieser Debatte. Unter der Leitung von Dr. Jens Terhaar von der Abteilung für Klima- und Umweltphysik des Physikalischen Instituts der Universität Bern hat das Forschungsteam einen neuen methodischen Ansatz mit Hilfe von 24 Erdsystemmodellen und mit Beobachtungen des Wärmeflusses zwischen Ozean und Atmosphäre im Nordatlantik entwickelt und ist dabei zu überraschenden Ergebnissen gekommen.
Frühere Studien relativiert – aber keine Entwarnung
«Wir haben uns gefragt, wie stabil die AMOC ist und ob sie sich bereits abgeschwächt hat», sagt der Hauptautor Terhaar. Die aktuelle Studie legt dar, dass eine Abschwächung der AMOC zwischen 1963 und 2017 nicht feststellbar ist. «Unsere Rekonstruktionen zeigen zwar eine erhebliche Variabilität, aber ein klarer Trend lässt sich nicht feststellen», erklärt der Berner Spezialist für Ozeanmodellierungen, der auch Mitglied des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung an der Universität Bern ist.
Diese Erkenntnis relativiert Studien, die von den Medien in jüngster Zeit viel zitiert wurden, wonach sich die atlantische Zirkulation in den letzten Jahrzenten abgeschwächt habe. Mit Blick auf den zukünftigen Klimawandel und seine Folgen sei eine Entwarnung aber nicht angebracht, so Terhaar. Dadurch dass die AMOC bis jetzt stabil war, sei es zwar unwahrscheinlicher, dass die Ozeanzirkulation in nächster Zeit kippen werde, doch die AMOC werde durch den Klimawandel mit Sicherheit abgeschwächt. «Es ist jedoch weiter höchst unsicher, wie gross diese Abschwächung sein wird und mit welchen Folgen in Zukunft gerechnet werden muss.»
Frühere Rekonstruktionen der Stärke der atlantischen Zirkulation in der Vergangenheit beruhten vor allem auf Anomalien der Meeresoberflächentemperatur im Nordatlantik. Die neuen Modellierungen zeigen nun aber, dass sich die AMOC mit Hilfe von Temperaturanomalien nicht zuverlässig rekonstruieren lässt. Dadurch sind auch Schlussfolgerungen aus so erstellten Rekonstruktionen nicht robust. Denn: Wie bereits andere Studien gezeigt haben, werden Temperaturanomalien im Nordatlantik nicht nur durch die AMOC beeinflusst, sondern auch durch andere Prozesse in Ozean und Atmosphäre.
Verbesserte Methodik
Die an der Universität Bern und der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) entstandene neue Rekonstruktion nutzt als Indikator für Veränderungen der AMOC an Stelle der Temperaturanomalien im Nordatlantik Anomalien des Wärmeflusses zwischen Luft und Meer. Wie die Studie von Terhaar und seinen Kollegen Linus Vogt und Nicholas Foukal vom WHOI zeigt, sind diese Abweichungen des Wärmeflusses zwischen Luft und Meer eng mit jenen der AMOC verbunden. Wenn die AMOC stärker wird, transportiert sie mehr Wärme nach Norden, die der Ozean dann in die Atmosphäre abgibt. Wird die AMOC jedoch schwächer, wird weniger Wärme nach Norden transportiert und der Ozean nimmt mehr Wärme auf. Die Beziehung zwischen den beiden Anomalien basiert auf dem Konzept der Wärmeerhaltung im Nordatlantik. Um die dekadisch gemittelte AMOC-Anomalie seit 1963 zu rekonstruieren, kombinierten die Autoren diese Beziehung anschliessend mit auf Beobachtungen beruhenden Schätzungen der Wärmeflüsse zwischen Luft und Meer.
Zwar sind Rekonstruktionen der atlantischen Zirkulation, die auf der neuen Methode basieren, robuster als die vorangehenden, doch auch sie sind mit «Einschränkungen und Vorbehalten» belastet, wie die Studienautoren betonen. Am wichtigsten dabei sind die Unsicherheiten in Bezug auf die Schätzung der Wärmeflüsse zwischen Luft und Meer anhand von Beobachtungen sowie der Umstand, dass die Klimamodelle nicht alle Prozesse abbilden, welche die AMOC beeinflussen. So etwa der Einfluss des Süsswassers, das durch das Abschmelzen der grönländischen und antarktischen Eisschilde in den Ozean gelangt. Deshalb sei die Unsicherheit bei den rekonstruierten Zirkulationsveränderungen relativ gross. «Ein Rückgang der AMOC in den letzten 60 Jahren», so das Fazit der Studie, «scheint jedoch sehr unwahrscheinlich.»
Dr. Jens Terhaar
Physikalisches Institut, Abteilung für Klima- und Umweltphysik und Oeschger-Zentrum für Klimaforschung, Universität Bern
Telefon: +41 31 684 85 64
E-Mail-Adresse: jens.terhaar@unibe.ch
Jens Terhaar, Linus Vogt, Nicholas P. Foukal (2025). Atlantic overturning inferred from air-sea heat fluxes indicates no decline since the 1960s. Nature Communications, 15. Januar 2025. DOI: 10.1038/s41467-024-55297-5
https://mediarelations.unibe.ch/medienmitteilungen/2025/medienmitteilungen_2025/...
Dr. Jens Terhaar Senior Scientist, Physikalisches Institut, Abteilung für Klima- und Umweltphysik u ...
Amanda Kowalski
© Universität Bern, Amanda Kowalski
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Geowissenschaften, Meer / Klima, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Dr. Jens Terhaar Senior Scientist, Physikalisches Institut, Abteilung für Klima- und Umweltphysik u ...
Amanda Kowalski
© Universität Bern, Amanda Kowalski
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).