Medienbriefing des Hämatopathologen und Experten Prof. Dr. Falko Fend zu den Überlebenschancen und den neuen Möglichkeiten der Behandlung bei chronischer lymphatischer Leukämie (CLL).
Noch heute ist unter Nichtmedizinerinnen und -medizinern die Annahme weit verbreitet, dass die Diagnose „Leukämie“ sehr schwerwiegend ist und oft den Tod bedeutet. Es gibt aber viele verschiedene Leukämieformen. Die häufigste ist die chronische lymphatische Leukämie (CLL), bei der sich für viele Patientinnen und Patienten nach der Diagnose lebenslang keine Therapie anschließt, sondern eine regelmäßige Beobachtung häufig ausreicht und ein langes Leben mit der chronischen Erkrankung möglich ist. Darüber hinaus haben sich in den letzten Jahren grundlegende Aspekte im Verständnis sowie in der Diagnostik und Behandlung einer CLL verändert – so viel, dass bei den Betroffenen, die zwar eine Therapie benötigen, zumindest die Chemotherapie ausgedient hat. Auch das ist ein großer Fortschritt bei der Behandlung der CLL.
Diese Paradigmenwechsel finden nun Einzug in die aktualisierte S3-Leitlinie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge für Patient*innen mit einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL)“ des Leitlinienprogramms Onkologie, die in Kürze erscheint. Über die CLL und die Rolle der Pathologie bei der Diagnostik und Nachsorge für die Patientinnen und -patienten sprachen wir mit dem Hämatopathologen Prof. Dr. Falko Fend, Direktor des Instituts für Pathologie und Neuropathologie am Universitätsklinikum Tübingen.
Zahlen – Daten – Fakten
13.454 Menschen erkrankten 2022 in Deutschland neu an Leukämien. Die Inzidenzrate ist bei Männern höher als bei Frauen. [1]
38 Prozent aller Leukämiefälle entfielen 2022 in Deutschland auf die chronische lymphatische Leukämie (CLL). Sie ist die häufigste Form der Leukämien. [1]
Die 4 häufigsten Formen von Leukämien sind:
- akute lymphatische Leukämie (ALL)
- chronische lymphatische Leukämie (CLL)
- akute myeloische Leukämie (AML)
- chronische myeloische Leukämie (CML)
Akute Formen haben bei Erwachsenen eine deutlich schlechtere Prognose. [1]
Über 100 verschiedene B-Zell-Lymphome gibt es laut WHO-Klassifikation neben der CLL. Für eine genaue pathologische Diagnostik ist deshalb Spezialwissen (Hämatopathologie) erforderlich. [2]
5 Referenzzentren für Hämatopathologie gibt es in Deutschland. [3]
Die moderne Hämatopathologie entstand in den 1970er Jahren maßgeblich durch bedeutende deutsche Beiträge. Insbesondere die Universität Kiel spielte hierbei eine Schlüsselrolle (Kiel-Klassifikation, Lymphknotenregister). [3]
Quellen:
[1] Robert Koch-Institut
[2] Kompetenznetz Maligne Lymphome
[3] Deutsche Gesellschaft für Pathologie
Nachgefragt bei …
… bei Prof. Dr. Falko Fend, Direktor des Instituts für Pathologie und Neuropathologie am Universitätsklinikum Tübingen:
Die CLL ist eine Erkrankung des Blutes. Welche Rolle hat die Pathologie, die gemeinhin Gewebeproben untersucht, bei der CLL-Diagnostik?
FF: An der CLL-Diagnostik sind primär Labormediziner*innen und Hämatolog*innen beteiligt, die Blutuntersuchungen und Immunphänotypisierungen durchführen. Sie bestimmen die Anzahl veränderter B-Lymphozyten im Blut und untersuchen die charakteristischen Oberflächenmarker der Lymphozyten. Spezialisierte Hämatopatholog*innen kommen bei komplexen Fällen zum Einsatz, wenn die CLL von anderen Lymphomerkrankungen abgegrenzt werden muss oder wenn eine mögliche aggressive Transformation vorliegt, die sogenannte Richter-Transformation. In diesen Fällen ist eine Gewebeuntersuchung, zum Beispiel von Lymphknotengewebe, erforderlich. Insgesamt kann man aber sagen, dass die Diagnose einer CLL in 80 bis 90 Prozent der Fälle allein durch Blutuntersuchungen gestellt werden kann.
Welche Rolle spielt die Hämatopathologie im Verlauf einer CLL-Erkrankung?
FF: Auch hier kommen wir ins Spiel, wenn sich der Erkrankungsstatus ändert oder wenn neue Symptome auftreten. Man muss wissen, dass 50 Prozent oder mehr der CLL-Patientinnen und Patienten bei Diagnose keine Symptome zeigen und die Erkrankung aufgrund einer Blutuntersuchung aus anderen Gründen entdeckt wird, viele benötigen lebenslang keine Therapie. Bei anderen CLL-Betroffenen treten aber Symptome auf, welche die CLL behandlungsbedürftig machen. Dann müssen vor der Therapie prognostisch relevante Marker untersucht werden, zum Beispiel Mutationen des TP53-Gens und der IGHV-Mutationsstatus der B-Lymphozyten. Diese Tests sind von großer Bedeutung für die Therapieplanung und die Einschätzung von Resistenzen und des Therapieansprechens. Sie werden in vielen Kliniken in der Pathologie durchgeführt.
Seit kurzem ist die Behandlung einer CLL de facto chemotherapiefrei möglich.
FF: Ja, die Chemotherapie hat im Prinzip ausgedient, egal ob bei jungen oder älteren Betroffenen, egal ob Hochrisikopatient oder nicht. Das wird sich in Kürze auch in der aktualisierten CLL-Behandlungsleitlinie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge für Patient*innen mit einer chronischen lymphatischen Leukämie (CLL)“ wiederfinden. Zielgerichtete Therapien, oft in Kombination mit Antikörpertherapien, haben sich in jüngster Zeit als neue Standardbehandlung etabliert. Das ist ein Paradigmenwechsel und deutlich besser für Betroffene, auch wenn die neuen Therapien nicht nebenwirkungsfrei sind. Aber sie ermöglichen es, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und das Fortschreiten der Erkrankung effektiver zu kontrollieren. Eine Heilung der CLL ist weiterhin nicht möglich, aber diese neuen Therapieansätze sichern eine bessere Kontrolle der Erkrankung über längere Zeiträume.
Sie erwähnten gerade die Behandlungsleitlinie, die derzeit aktualisiert wird. Welche Änderungen betreffen darin speziell die Pathologie?
FF: Ein wichtiger Punkt, der momentan noch im Erstellungsprozess diskutiert wird, ist eine mögliche Verpflichtung, den IGHV-Mutationsstatus zu bestimmen. Derzeit ist er nicht obligatorisch, wird aber empfohlen, so wie auch weitere zytogenetische Analysen. Der IGHV-Status gibt Aufschluss über die Risiko des Fortschreitens und die Biologie der Erkrankung und ist daher für die Therapieauswahl von großer Bedeutung. Ein weiterer Fokus liegt auf Resistenzmutationen. Da die CLL eine dauerhafte Erkrankung ist, können im Verlauf Mutationen auftreten, welche die Zellen therapieresistent machen. Es wird erwogen, wiederholte Mutationsuntersuchungen vorzuschreiben, wenn sich Symptome erneut verstärken. Ich halte das für sinnvoll. Und schließlich wird die Leitlinie voraussichtlich auf die Verwendung hochsensitiver Nachweisverfahren – Stichwort: Next Generation Sequencing – hinweisen, damit auch geringe Mengen von Mutationen zuverlässig nachgewiesen werden können, denn sie entscheiden über den Therapieerfolg und die Prognose.
Zitat
Prof. Dr. Falko Fend, Direktor des Instituts für Pathologie und Neuropathologie am Universitätsklinikum Tübingen:
„Eine chemotherapiefreie Behandlung der CLL ist nur mit begleitender molekularer Diagnostik erfolgreich. Für die Zukunft wünsche ich mir deshalb, dass bei allen CLL-Patienten, die eine Therapie benötigen oder einen Rückfall bzw. ein Fortschreiten der Krankheit erleben, rechtzeitig eine gezielte Mutationsanalyse durchgeführt wird. Das scheitert derzeit teilweise an Erstattungsfragen. Es ist aber weitaus sinnvoller und kostengünstiger, vor Therapiebeginn eine Analyse zu machen, und nicht sofort mit sehr teuren Therapien zu beginnen, die vielleicht gar nicht wirken. Für mich ist es zweitrangig, ob diese Analyse von der Pathologie, Hämatologie oder Labormedizin durchgeführt wird – entscheidend ist, dass ein Patient sie erhält.“
Ansprechpartnerin für Medienanfragen:
Beatrix Zeller, Tel: +49 30 25760 727
geschaeftsstelle@pathologie-dgp.de
https://www.pathologie-dgp.de/die-dgp/monatsthemen/?tx_news_pi1%5Baction%5D=deta...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.
Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).
Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.
Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).
Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).