Im Regenwald des Amazonas ist es nicht immer mollig warm: Kältewellen können die Temperaturen dort drastisch sinken lassen. Würzburger Forschende haben untersucht, wie Tiere darauf reagieren.
Wer im tropischen Regenwald forscht, hat nicht unbedingt eine Winterjacke und warme Socken dabei. Schließlich gilt diese Weltregion als durchgehend angenehm temperiert. Dem ist aber nicht so, wie Kim Lea Holzmann und Pedro Alonso-Alonso am eigenen Leib erfahren haben. Beide machen ihre Doktorarbeit am Biozentrum der Universität Würzburg, beide hielten sich fast das ganze Jahr 2023 für Biodiversitätsstudien im Amazonasgebiet im Süden Perus auf.
Es passierte am 13. Juni: Eine Kältewelle ließ die Temperaturen von im Mittel 23,9 auf 10,5 Grad Celsius abstürzen. Die kühle Periode dauerte fast eine Woche. „Wir hatten ein Jahr zuvor schon einmal erlebt, dass es an einem Tag nur 18 Grad hatte“, erzählt Kim Lea Holzmann. Aber eine so starke und langanhaltende Kälte kam ihnen komisch vor. Die einheimischen Feldassistenten dagegen wunderten sich nicht wirklich. Sie erklärten dem Würzburger Team, dass mehrtägige Kälteeinbrüche am Amazonas gar nicht so selten sind.
Erste Studie über Kältewellen und Wildtiere
Das Forschungsteam beschloss spontan, die Gunst der Stunde zu nutzen: Wie würde die Tierwelt auf die Kältewelle reagieren? Das war nun die Forschungsfrage. „Es gab bislang nur Untersuchungen darüber, wie Kältewellen die Landwirtschaft im Amazonasgebiet treffen. Wie sie sich auf wildlebende Tiergemeinschaften im Tiefland des Amazonas auswirken, dazu haben nun wir die erste Studie überhaupt vorgelegt“, sagt die Doktorandin. Die Ergebnisse sind im Journal Biology Letters veröffentlicht.
Fazit: Alles in allem scheinen die untersuchten Insekten und Säugetiere den Kälteeinbruch gut verkraftet zu haben – mit einer Ausnahme bei den Insekten. Zudem war bei einem Viertel der betrachteten Insekten die Kältetoleranz mit den gemessenen Niedrigtemperaturen fast ausgereizt. Gewisse Arten könnten Probleme bekommen, sollten die Kältewellen künftig noch heftiger ausfallen. Im Zuge des Klimawandels ist das durchaus denkbar.
Insekten und Säugetiere im Fokus
Für die Untersuchung konnte das Forschungsteam auf Daten zurückgreifen, die es schon 2022 für seine Biodiversitätsstudien erhoben hatte. Mit verschiedenen Insektenfallen hatte es die Biomasse von fliegenden und am Boden lebenden Insekten erfasst. Mit zwölf Kamerafallen war zudem die Aktivität von Jaguaren, Tapiren, Nabelschweinen und anderen wildlebenden Säugetieren dokumentiert worden. All diese Daten sammelten die Forschenden dann erneut im Lauf der Kältewelle und noch einmal einige Monate nach deren Ende.
In der Kältewelle gingen die Biomasse und die Aktivität aller Insekten stark zurück. In den Monaten danach trat aber eine komplette Erholung ein. Nur bei der Gruppe der Dungkäfer blieb die Biomasse gering. Sie sind offenbar kältesensibler als andere Insektengruppen.
Die Forschenden ermittelten außerdem die Kältetoleranz verschiedener Insekten, indem sie diese in einem Thermostaten bis zur Kältestarre abkühlten. Dabei zeigte sich, dass die meisten Insekten noch tiefere Temperaturen überstehen, als sie im Juni 2023 auftraten. Für 25 Prozent der betrachteten Insektenarten trifft das aber nicht zu: „Sie fallen schon in eine Kältestarre, wenn die Temperatur nur 0,62 Grad Celsius unter den gemessenen 10,5 Grad liegt“, sagt Pedro Alonso-Alonso. In der Kältestarre sind Insekten komplett unbeweglich – hält dieser Zustand länger an, dürfte er sich nach Einschätzung der Forschenden negativ auf die Überlebensfähigkeit auswirken.
Kälte sorgte für ungewöhnliche Ruhe im Regenwald
Auch Säugetiere tauchten in der Kälte nicht so oft vor den Kamerafallen auf. Anders als Insekten können sie ihre Körpertemperatur konstant halten. „Um das zu schaffen, brauchen sie in der Kältephase mehr Energie, die sie vermutlich durch verringerte körperliche Aktivität wieder einsparen“, sagt Kim Lea Holzmann.
Nach der Kältewelle kehrten die beobachteten Säugetiere zu ihren gewohnten Abläufen zurück. „Daten über Vögel, Reptilien und Amphibien haben wir zwar nicht erhoben, aber unseren subjektiven Beobachtungen nach waren auch diese Tiergruppen weniger aktiv als sonst. Während der Kältewelle herrschte im Regenwald eine ungewohnte Ruhe.“
Insekten-Biodiversität in den peruanischen Anden
Kim Lea Holzmann und Pedro Alonso-Alonso vom Biozentrum der Universität Würzburg promovieren im Projekt ANDIV (Patterns and drivers of insect diversity and their microbiome along a complete forest elevational gradient in the Peruvian Andes) unter der Leitung von Dr. Marcell Peters und Professor Ingolf Steffan-Dewenter. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt; beteiligt sind außerdem Forschende der Universität Jena und der LMU München. https://www.andiv.biozentrum.uni-wuerzburg.de/
Kältewellen im Amazonas-Regenwald
Kältewellen, bei denen die Temperaturen an mindestens drei aufeinander folgenden Tagen stark abfallen, kommen im Amazonasbecken relativ oft vor. Zwischen 1980 und 2017 wurden dort 67 Kältewellen identifiziert, die teils bis zu acht Tage dauerten. Ein klarer Zyklus für ihr Auftreten ist bislang nicht bekannt. Meistens entstehen die Kältewellen durch Kaltluftfronten, die von der Antarktis nach Norden ziehen, parallel zu den Anden und zum brasilianischen Hochland.
Kim Lea Holzmann, Lehrstuhl für Zoologie III (Tierökologie und Tropenbiologie), Biozentrum, Universität Würzburg, T +49 176 410 708 09, kim-lea.holzmann@uni-wuerzburg.de
Website Kim Lea Holzmann https://kimleaholzmann.wordpress.com/
Cold waves in the Amazon rainforest and their ecological impact. Biology Letters, 22. Januar 2025, DOI: 10.1098/rsbl.2024.0591
Typische Tiere im Tiefland-Regenwald des Amazonas: Links der handtellergroße Dungkäfer Coprophanaeus ...
Kim Lea Holzmann
Universität Würzburg
Diese Säugetiere hat das Würzburger Forschungsteam im südperuanischen Regenwald mit Kamerafallen fot ...
Kim Lea Holzmann
Universität Würzburg
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Biologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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