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30.01.2025 14:59

Erderwärmung und Massensterben: Was wir von Pflanzen der letzten Eiszeit lernen können

Roland Koch Kommunikation und Medien
Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

    Die Erderwärmung führt derzeit zu einem rasanten Aussterben von Pflanzenarten. Schätzungen zufolge sind seit 1750 um die 600 Pflanzenarten ausgestorben - doppelt so viele wie Tierarten. Doch welche sind besonders stark betroffen? Und wie wirkt sich eine Veränderung der Biodiversität eigentlich auf die Interaktionen zwischen Pflanzen aus? Forschende des Alfred-Wegener-Instituts haben sich diese Fragen gestellt und in zwei aktuellen Studien Antworten in der Vergangenheit gefunden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden in der Fachzeitschrift Nature Communications.

    „Jeder weiß, dass Mammuts ausgestorben sind, aber kaum jemand spricht über die Pflanzen, die am Ende der letzten Eiszeit verloren gingen“, sagt Prof. Ulrike Herzschuh vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Bisher fehlten geeignete Methoden, um das Aussterben von Pflanzenarten im Detail zu untersuchen.“ Als fossile Überreste von Pflanzen wurden bisher hauptsächlich Pollen untersucht, die aber nicht auf Artniveau identifizierbar sind und somit keinen Hinweis auf den Verlust von Arten geben können. „Wir haben mit neuartigen Methoden alte DNA in Sedimentkernen aus Seen aus Alaska und Sibirien analysiert und konnten so die Veränderungen der Vegetation in diesen Regionen nachvollziehen.“ Die Kerne enthalten alte, fragmentierte DNA aus abgelagerter Pflanzenbiomasse der vergangenen 30.000 Jahre, welche die Forschenden in spezialisierten Laboren für alte DNA angereichert, sequenziert und zur Identifikation mit Datenbanken abgeglichen haben.

    Temperatur verändert, wie Pflanzen miteinander umgehen

    „Wir konnten nun erstmals detailliert nachvollziehen, wann und wo Arten in Alaska und Sibirien vorkamen und verschwanden“, so Ulrike Herzschuh. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass sich die Zusammensetzung der Pflanzenarten am Ende der letzten Eiszeit stark verändert hat und dass diese Entwicklung mit tiefgreifenden Änderungen der ökologischen Bedingungen einhergeht.“ Die Forschenden stellten einen Zusammenhang fest, zwischen der Temperatur und den Interaktionen, die Pflanzen miteinander eingehen. In kalten Klimaperioden unterstützen sich Pflanzenarten, während sie in warmen Perioden hauptsächlich in Konkurrenz zueinanderstehen. „Wir fanden in der DNA aus den Seesedimenten der Kaltzeit zum Beispiel viele Polsterpflanzen, die wahrscheinlich die Ansiedlung weiterer Arten an einem anderen Ort unterstützten, indem sie geschützte Habitate bilden“, sagt Ulrike Herzschuh. Das wirkt sich sowohl auf die Artenvielfalt als auch die Größe der Verbreitungsgebiete aus. In einem wärmeren Klima dominieren verholtzte Pflanzenarten: „Heute sieht man, dass die Pflanzenvielfalt durch die Einwanderung von Bäumen und Sträuchern in Tundragebieten zurückgeht, während in Kaltzeiten eine höhere Pflanzenvielfalt vorherrschte.“

    Was bedeutet dies nun für die Vegetationsänderung in den hohen Breiten, in der heute noch Polsterpflanzen eine große Rolle spielen? In der heutigen Arktis könnte diese unterstützende Eigenschaft jedoch ihr eigenes Überleben gefährden. „Da die Erwärmung in der Arktis heute so viel schneller geht und schon stark vorangeschritten ist, können selbst in hohen Breiten holzige Pflanzen überleben. Die Polsterpflanzen könnten deren Ansiedlung noch unterstützen und somit ihr eigenes Aussterben beschleunigen.“

    Welche Pflanzenarten sind besonders gefährdet?

    Das Ende der letzten Eiszeit hat auch dazu geführt, dass einige Vegetationstypen und Pflanzenarten ganz verschwunden sind. Auch das konnten die Forschenden mit ihren Methoden zeigen, am Beispiel der Mammutsteppe. Dieser Vegetationstyp hat sich während der letzten Eiszeit auf der nördlichen Hemisphäre ausgebreitet und ist im Übergang zu unserem heutigen Zeitalter ausgestorben. Die Identifikation der ausgestorbenen Pflanzenarten war dabei eine besondere Herausforderung. „Um die Arten zu identifizieren, die bereits verschwunden waren, mussten wir einen Trick anwenden,“ erklärt Ulrike Herzschuh. Denn normalerweise werden Arten aus DNA-Fragmenten bestimmt, in dem man sie mit Einträgen in genetischen Datenbanken vergleicht. Diese Datenbanken basieren aber auf den Informationen heutiger Pflanzen und enthalten keine Informationen über ausgestorbene Arten. „Wir haben alle DNA-Fragmente aus unseren Kernen betrachtet und dann mittels statistischer Modelle Schritt für Schritt diejenigen herausgefiltert, die eindeutige Ähnlichkeiten mit heutigen Organismen aufzeigen.“

    So konnten die Forschenden jene Arten feststellen, die unter der Erwärmung besonders vom Aussterben bedroht sein könnten: Gräser und Sträucher sind stärker in Gefahr zu verschwinden als verholzte Pflanzenarten, die sich daraufhin weiter ausbreiten können. Außerdem sind Arten in Regionen mit einer hohen endemischen Artenvielfalt häufiger davon bedroht, zu verschwinden, als weniger „spezielle“ Arten. Überraschend war die Erkenntnis, dass die Aussterberate zu Beginn der aktuellen Warmzeit am höchsten war – oft mit einer Verzögerung von mehreren tausend Jahren nach den eigentlichen Umweltveränderungen. „Das bedeutet, dass die heutigen Eingriffe des Menschen ihre vollen Auswirkungen möglicherweise erst in ferner Zukunft zeigen werden.“

    Bedeutung für die heutige Arktis

    Die Ergebnisse beider Studien liefern grundlegende Einblicke darüber, wie sich der Umweltwandel im Zusammenhang mit Erwärmung auf die Biodiversitätsentwicklung auswirkt und welche Mechanismen zentral sind. Wir konnten somit erstmals Aussterberaten von Pflanzen liefern, die nun als Referenzdaten genutzt werden können, um die aktuellen Veränderungen in den arktischen Ökosystemen besser einzuordnen. „Unsere Studien zeigen, wie wichtig es ist, Biodiversität und ökologische Interaktionen auch langfristig zu verstehen, um die Folgen des Klimawandels abschätzen zu können“, resümiert Ulrike Herzschuh. „Mit den Informationen aus alter DNA in Sedimenten können wir das grundlegende Wissen erlangen, das wir hierfür brauchen.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Ulrike Herzschuh
    +49 (0)331 58174 5601
    ulrike.herzschuh@awi.de


    Originalpublikation:

    Plant interactions associated with a directional shift in the richness range size relationship during the Glacial-Holocene transition in the Arctic. Nature Communications (doi:10.1038/s41467-025-56176-3)

    Potential plant extinctions with the loss of the Pleistocene mammoth steppe. Nature Communications (doi:10.1038/s41467-024-55542-x)


    Weitere Informationen:

    http://www.awi.de/ueber-uns/service/presse.html


    Bilder

    Schwimmende Bohrplattform zur Entnahme von Sedimentkernen aus Seen in Alaska
    Schwimmende Bohrplattform zur Entnahme von Sedimentkernen aus Seen in Alaska
    Weihan Jia
    Alfred-Wegener-Institut / Weihan Jia


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Schwimmende Bohrplattform zur Entnahme von Sedimentkernen aus Seen in Alaska


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