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30.01.2025 15:11

Was Papyrusfragmente über den Alltag in Ägypten verraten

Lutz Ziegler Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Mehr als 2.000 Jahre alte Papyri stehen im Mittelpunkt eines neuen Forschungsprojekts an der Universität Würzburg. Aus einem ägyptischen Tempel stammend, erzählen sie viel über das Leben zu dieser Zeit.

    „Wie geht es Dir? Und Deiner Frau? Und was macht eigentlich XY?“ Mehr als 2.000 Jahre alte Briefe aus Ägypten unterscheiden sich nicht unbedingt von ihren heutigen Nachfolgern – zumindest, wenn es sich um private Post handelt. Aber auch Urkunden gleichen sich stark – beispielsweise, wenn sie den Verkauf eines Grundstücks regeln oder die Frage, was einer Ehefrau an Vermögen zusteht, falls sich das Paar später einmal trennt.

    Trotzdem sagt Carolin Arlt: „Ich finde es faszinierend zu lesen, was Menschen vor mehr als 2.000 Jahren geschrieben haben und was seitdem keiner mehr gelesen hat“. Sie interessiere sich seit ihrer Schulzeit dafür, wie Menschen früher gelebt haben, wie sie ihren Alltag gestaltet und womit sie sich in ihren Berufen beschäftigt haben. Bei der Lektüre dieser Jahrtausende alten Schriftstücke komme sie den Menschen dieser Zeit sehr nahe.

    Ein Archiv aus einem längst untergegangenen Tempel

    Carolin Arlt ist promovierte Ägyptologin. Nach ihrem Studium der Ägyptologie, Alten Geschichte und Klassischen Archäologie an der Julius-Maximilians-Universität (JMU) wurde sie dort auch promoviert. Es folgten Stationen an Universitäten in Köln, Berkeley und Jerusalem, bevor sie 2009 an die JMU zurückkehrte – als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Ägyptologie in einem Forschungsprojekt, in dessen Mittelpunkt ein Tempel im ägyptischen Fayum stand.

    Jetzt startet an der JMU ein neues Forschungsprojekt, dessen Grundlagen ebenfalls aus einem Tempel im Fayum stammen: „Ein ptolemäisches Tempelarchiv aus Soknopaiu Nesos“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) stellt dafür rund 360.000 Euro zur Verfügung; Leiterin ist Carolin Arlt. Sie wird sich in den kommenden drei Jahren mit etwa 75 Dokumenten beschäftigen, die aus diesem Tempel stammen – festgehalten auf Papyrus, verfasst in Demotisch und vor gut 2.200 Jahren geschrieben von Tesenuphis, Sohn des Marres, der sich selbst als „Schreiber der Priester“ bezeichnete.

    Ein Tempel für einen Krokodilgott

    Soknopaiu Nesos war eine Siedlung im alten Ägypten im sogenannten Fayum-Becken, in dessen Zentrum ein von einem Seitenarm des Nil gespeister See liegt. Heute ist das Gebiet mit dem Auto von Kairo aus in etwa zwei Stunden zu erreichen. In der Tempelanlage des Ortes wurde vor allem Soknopaios verehrt – ein Krokodilgott, der als Herr über das Wasser und als Fruchtbarkeitsgott angebetet wurde.

    Was den Tempel für Carolin Arlt so besonders macht: Aus seinem Archiv stammen die Texte, mit denen sie sich beschäftigen wird. „Es handelt sich um eines der wenigen Tempelarchive aus Ägypten aus dieser Zeit, die wir heute kennen“, sagt sie. „Dieser Zeit“: Damit meint sie den Zeitraum von etwa 180 bis 120 v. Chr. – einem Abschnitt der ptolemäischen Zeit, die sich von 323 bis 30 v. Chr. erstreckte. Damals herrschten die Ptolemäer über Ägypten, ein ursprünglich aus Makedonien stammendes Herrschergeschlecht, das nach Ptolemaios, einem engen Freund Alexander des Großen benannt wurde. Dieser Ptolemaios wurde dann der erste ptolemäische Herrscher über Ägypten

    Fundstücke aus einer Raubgrabung

    Gut möglich, dass es sich bei diesen Textstücken um das private Archiv eines Tempelschreibers handelt, das dieser nach dem Ende seiner Berufstätigkeit in einer Kammer abgelegt und vergessen hat. Mit Exaktheit lässt sich das heute nicht bestimmen. „Wir wissen nicht, wo die Papyri gefunden wurden. Sie stammen aus einer Raubgrabung und wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von zwei britischen Papyrologen gekauft“, sagt Carolin Arlt. Deshalb sei nicht bekannt, ob der Fund aus dem Tempel selbst oder vielleicht doch aus dem Privathaus des Schreibers stammt.

    Dazu kommt: Die beiden Käufer interessierten sich nur für Papyri, die auf Griechisch verfasst waren. Die demotischen Texte übergaben sie einem befreundeten Demotisten in Oxford, der wohl keine Zeit fand, sich näher mit ihnen zu beschäftigen. Heute befindet sich dieser Rest im Besitz des Ashmolean Museum of Art and Archaeology in Oxford und harrt zum Großteil noch immer der Entdeckung.

    Briefe, Urkunden, Abrechnungen und Quittungen

    Unter diesen Papyri finden sich viele Fragmente, aber auch zahlreiche gut erhaltene vollständige Texte. „Dabei handelt es sich in erster Linie um dokumentarische Texte – etwa Briefe an den Tempel und aus dem Tempel heraus, Fragen an das Orakel, Urkunden, Abrechnungen, Listen und Quittungen“, erklärt die Ägyptologin.

    Der Wissenschaft liefern diese Texte wertvolle Informationen über das Leben im Tempel vor mehr als 2.000 Jahren – zum einen natürlich mit Blick auf die religiöse Praxis, zum anderen aber auch unter dem Aspekt, dass dieser Tempel gleichzeitig eine Art Unternehmen war. „Wir wissen aus diesen Funden, dass der Tempel bestimmte Monopole besaß und diese regelmäßig verpachtet hat“, sagt Carolin Arlt. Zu diesen Monopolen gehörte beispielsweise der Fährdienst über den benachbarten See, ein Wäschereidienst, eine Brauerei sowie diverse Ländereien.

    Viele Papyri müssen restauriert werden

    Unter den bislang bekannten Papyri hat die Wissenschaftlerin 15 Pachtangebote gefunden. In ihnen beschreiben die Bewerber ihre Gegenleistung an den Tempel, falls ihnen das Monopol überlassen wird. Zusätzlich existieren Quittungen, die diese Zahlungen belegen. „So etwas kennt man kaum aus anderen Orten“, sagt Arlt.

    Die von ihr ausgewählten 75 Texte wird Carolin Arlt nun transliterieren – also buchstabengetreu in ein modernes Schriftsystem übertragen –, übersetzen, auswerten, kommentieren und mit einem Foto publizieren. Das allerdings bedeutet, dass viele dieser Papyri zuvor restauriert werden müssen. Nach 2.000 Jahren im Sand und gut 100 Jahren zwischen Papierbögen in Oxford seien viele von ihnen in einem beklagenswerten Zustand.

    Die schwierige Arbeit des Entzifferns

    „Demotisch“: Dieser Begriff steht sowohl für eine Sprach- als auch eine Schriftstufe des Altägyptischen, die etwa in der Zeit vom siebten Jahrhundert v. Chr. bis ins dritte Jahrhundert n. Chr. in Gebrauch war. „Mit macht es Spaß, das Demotische zu entziffern“, sagt Carolin Arlt. Einfach runterlesen und übersetzen: So darf man sich ihre Arbeit nicht vorstellen – auch wenn manche Papyri nur wenige Zentimeter schmal sind und sich der Text über gerade einmal zehn bis 25 Zeilen erstreckt. „Manchmal sitzt man 30 bis 60 Minuten an einem Wort – und wenn man Pech hat, findet man doch nicht raus, wie es gelesen wird“, sagt sie.

    In anderen Fällen stößt die Wissenschaftlerin auf bislang unbekannte Wörter – dann ist Kombinationsgabe gefragt: „Wir haben ja noch das frühere Ägyptisch. In diesen Fällen kann ich also überlegen, wie das Wort in früherer Zeit gelautet haben könnte oder wie – mit der entsprechenden Lautverschiebung – in späterer Zeit im Koptischen. Möglicherweise wurde es aber auch aus dem Griechischen übernommen“. Über diese Umwege komme sie häufig doch noch ans Ziel, aber nicht immer.

    Größeres Verbundprojekt am Lehrstuhl für Ägyptologie

    Carolin Arlts Forschungsprojekt ist Teil eines größeren Vorhabens am Lehrstuhl für Ägyptologie der Universität Würzburg. „Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat rund eine Million Euro bewilligt, um die Schriftkultur im antiken Fayum durch eine umfassende Analyse von Soknopaiu Nesos zu untersuchen“, freut sich Lehrstuhlinhaber Martin Andreas Stadler.

    Drei Teilprojekte werden sich überlappende historische Phasen abdecken. Während sich Carolin Arlt mit demotischen Texten beschäftigt, untersuchen Wissenschaftler im zweiten Teilprojekt die griechische Schreibpraxis in Soknopaiu Nesos zu dieser Zeit. Im Fokus des dritten Projekts stehen Wirtschaft und kultische Praxis im Tempel des Soknopaios in römischer Zeit.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Carolin Arlt, Lehrstuhl für Ägyptologie, carolin.arlt@uni-wuerzburg.de


    Weitere Informationen:

    https://www.phil.uni-wuerzburg.de/aegyptologie/aktuelles/single/news/500-jahre-s... Mehr Informationen zu dem Forschungsprojekt


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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