Wissenschaftler:innen der TU Darmstadt haben erstmals das komplexe Verhalten der sogenannten Dipol-Riesenresonanz in ungewöhnlich geformten Atomkernen detailliert untersucht. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Professor Norbert Pietralla am Institut für Kernphysik wurden kürzlich im renommierten Fachjournal „Physical Review Letters“ veröffentlicht.
Die Dipol-Riesenresonanz stellt eine elementare Schwingung dar, die in jedem Atomkern stattfinden kann und deshalb von großer kernphysikalischer Bedeutung ist. Dabei schwingen Protonen und Neutronen - die beiden Teilchenarten, aus denen Atomkerne bestehen - gegeneinander. Dieser Vorgang lässt sich durch hochenergetische Gamma-Strahlung (wie Röntgenstrahlung, aber noch energetischer) anregen: Der Kern nimmt die Strahlung wie eine Antenne auf und versetzte sich dadurch in Schwingung. Diese regt sich zumeist durch Aussendung eines Kernteilchens, also eines Protons oder Neutrons, wieder ab.
Jedoch ist auch eine Abregung durch Wiederaussendung von Gamma-Strahlung möglich, was als Gamma-Zerfall bezeichnet wird. Während die Dipol-Riesenresonanz schon 1937 und damit in den Anfängen der Kernphysik entdeckt wurde und seitdem stets Gegenstand der Forschung war, war über ihren Gamma-Zerfall bisher nur wenig bekannt.
„Durchbruch für die Kernphysik“
Den TU-Wissenschaftler:innen gelang es nun erstmals, dieses Zerfallsverhalten systematisch zu untersuchen. „Das stellt einen Meilenstein in der Erforschung dieser Kernschwingung dar“, erklärt Erstautor Jörn Kleemann. Im Fokus des Forschungsteams stand dabei ein sogenannter deformierter Atomkern, Samarium-154. Solche Atomkerne, die von einer perfekten Kugelform abweichen, bieten besondere Einblicke in die Struktur der Kernmaterie, da sie komplexere Schwingungsmuster entlang ihrer unterschiedlichen Achsen aufweisen können. Das Team nutzte den Prozess der sogenannten Kernresonanzfluoreszenz, bei dem Laser-ähnliche Gamma-Strahlen mit präzise kontrollierter Energie und Polarisation verwendet wurden, um die Resonanz gezielt anzuregen.
Die Ergebnisse der Experimente bestätigten klar das einfache geometrische Modell der Dipol-Riesenresonanz als Schwingung der Protonen und Neutronen gegeneinander. Denn die aus diesem Modell abgeleiteten Vorhersagen für das Gamma-Zerfallsverhalten stimmen in hohem Maße mit den Messungen überein. „Dieses Ergebnis ist durchaus bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie simpel dieses geometrische Bild der Dipol-Riesenresonanz doch eigentlich ist und dass es natürlich auch andere, deutlich komplexere Modelle der Dipol-Riesenresonanz gibt, die unsere Ergebnisse jedoch zurzeit noch nicht beschreiben können“, erläutert Kleemann.
Neue Forschungsperspektiven
Darüber hinaus zeigten die Forscher:innen, dass das Gamma-Zerfallsverhalten der Resonanz auch präzise Rückschlüsse auf die Form des Atomkerns erlaubt – ein „Durchbruch für die Kernphysik“, wie Kleemann sagt. Insbesondere konnten sie die sogenannte Triaxialität, also die Abweichung von axialer Symmetrie, mit bisher unerreichter Genauigkeit bestimmen. So ermittelten sie eine zwar geringe, aber klar nachweisbare Triaxialität in Samarium-154 – in guter Übereinstimmung mit aktuellen theoretischen Vorhersagen.
Die Erkenntnisse leisten einen wichtigen Beitrag zum grundlegenden Verständnis der Dipol-Riesenresonanz und eröffnen neue Perspektiven für die Untersuchung von Atomkernen. Die Methode der Gamma-Zerfallsspektroskopie an der Dipol-Riesenresonanz bietet großes Potenzial, um die Form und Struktur anderer Atomkerne zu erforschen und Modelle der Kernphysik weiterzuentwickeln.
Die Forschung wurde maßgeblich durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des internationalen Graduiertenkollegs 2891 „Nukleare Photonik“ sowie durch dessen vorangegangene Anschubförderung durch das LOEWE-Programms des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Kultur gefördert. Die Daten wurden in enger Zusammenarbeit mit Kolleg:innen an der High Intensity Gamma-ray Source gewonnen, einer hochmodernen Photonenstrahlquelle des Triangle Universities Nuclear Laboratory im US-Staat North Carolina.
Jörn Kleemann M.Sc.
jkleemann@ikp.tu-darmstadt.de
+49 6151 16-23546
J. Kleemann et al.: „Gamma Decay of the 154Sm Isovector Giant Dipole Resonance: Smekal-Raman Scattering as a Novel Probe of Nuclear Ground-State Deformation“. In: „Physical Review Letters“ 134, 022503 (2025), https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.134.022503
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Physik / Astronomie
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