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13.02.2025 12:45

24/7-Ökostrom-Ansatz treibt Innovationen an

Stefanie Terp Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

    Neue Studie: Der Rund-um-die-Uhr-Bezug von kohlenstofffreiem Strom kann Fortschritte bei neuen Energietechnologien erheblich befördern

    Ein 24/7-Ökostrom-Ansatz kann nicht nur die Treibhausgasemissionen eines Unternehmens eliminieren, sondern auch eine treibende Kraft für neue Technologien sein. Selbst eine kleine Gruppe von Unternehmen, die hier proaktiv handelt, könnte als Katalysator für Innovationen wirken und die Markteinführung fortschrittlicher, sauberer Energietechnologien beschleunigen. Dazu müssten sich die Firmen verpflichten, nicht einfach ein jährliches Kontingent an Strom aus erneuerbaren Energien zu kaufen, sondern in jeder Stunde des tatsächlichen Verbrauchs garantiert nur Ökostrom zu beziehen. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die von Forscher*innen der TU Berlin, der Princeton University sowie Google durchgeführt wurde und jetzt im Fachmagazin Joule erschienen ist.

    Während bisher auch bei 100-prozentigen Ökostromtarifen vor allem nachts und bei Windstille oder bei starken Stromverbrauchsspitzen doch auf Strom aus fossilen Quellen zurückgegriffen werden muss, wird bei einem 24/7-Ökostrom-Ansatz der Energieverbrauch eines Nutzenden stündlich mit dem Bezug von sauberem Strom gedeckt. Damit dies gewährleistet werden kann, müssen die produzierten Mengen an Ökostrom jederzeit genau erfasst und nachverfolgt werden können sowie Stromspeicher und neue Technologien zur kohlenstofffreien Stromerzeugung zum Einsatz kommen. Mit Hilfe der Open-Source-Software PyPSA der TU Berlin wurden nun verschiedene Szenarien durchgespielt, welchen Einfluss ein solcher 24/7-Ökostrom-Ansatz auf die Entwicklung neuer Technologien zur Erzeugung und Speicherung von sauberem Strom hätte.

    Langzeitspeicher und steuerbare Stromquellen

    „Solche neuen Technologien wären beispielsweise Langzeitspeicher, um längere Phasen ohne Windenergie zu überbrücken, und neue steuerbare Stromquellen wie fortschrittliche Geothermie oder moderne Gaskraftwerke mit sogenannten Allam-Cycle-Turbinen“, erklärt Dr. Iegor Riepin vom Fachgebiet „Digitaler Wandel in Energiesystemen“ der TU Berlin und Erstautor der Studie. Die steigende Nachfrage nach den Technologien könne diesen helfen, das sogenannte „Tal des Todes“ zu überwinden – die Finanzierungs- und Entwicklungslücke zwischen der frühen Innovationsphase und der breiten Markteinführung. „Der Einsatz erster Projekte führt durch Skaleneffekte zu Kostensenkungen, wodurch 24/7 kohlenstofffreie Energie für eine größere Anzahl von Unternehmen und Organisationen erschwinglicher wird. Eine breitere Anwendung dieser Technologien führt dann zu einem „positiven Kreislauf“, der den Zeitpunkt beschleunigt, zu dem die Technologien auf dem allgemeinen Strommarkt wettbewerbsfähig werden“, erklärt Riepin. Diese indirekten Effekte führten zu Treibhausgaseinsparungen, die weit über die direkten Emissionsreduzierungen aus den Anfangsinvestitionen hinausgingen. „So können proaktive Beiträge des Privatsektors die staatliche Unterstützung für fortschrittliche Energietechnologien ergänzen, den Druck auf die knappen Steuerhaushalte verringern und die Dekarbonisierung der Stromsysteme beschleunigen.“

    Schon drei Prozent 24/7-Ökostrom-Verpflichtungen der Unternehmen könnten einen enormen Effekt auslösen

    „Unsere Modellierung zeigt, dass 24/7-Ökostrom-Verpflichtungen der Firmen von nur drei Prozent des deutschen Unternehmens- und Industriebedarfs ausreichen, um bereits Lernprozesse und Kostensenkungen bei fortschrittlichen Technologien auszulösen“, sagt Prof. Dr. Tom Brown, Leiter der Abteilung „Digitale Transformation in Energiesystemen“. Als Beispiel für diese katalytische Wirkung schätzen die Forscher*innen, dass dieses Engagement ausreichen würde, um den erwarteten Ausbau von Langzeit-Batterien auf Eisen-Luft-Basis zu vervierfachen und die Kosten bis 2030 um 25 Prozent zu senken. Die europaweit erste Speicheranlage auf Grundlage dieser Technologie ist im irischen Donegal geplant. Ihr Prinzip basiert quasi auf „reversiblem Rosten“: Wenn die Batterie entladen wird, nimmt sie Sauerstoff aus der Luft auf und wandelt Eisen in Rost um; wenn sie danach aufgeladen wird, wandelt der eingespeiste elektrische Strom den Rost wieder in Eisen um, und das System gibt Sauerstoff ab. Die Anlage in Irland soll eine Gigawattstunde Strom für 100 Stunden speichern können und hat eine geschätzte Lebensdauer von 30 Jahren.

    Allam-Cycle Turbine als Beispiel für neue Technologien zur Stromerzeugung

    Ähnliche Auswirkungen könnten solche Unternehmensverpflichtungen zur 24/7-Abnahme von kohlenstofffreiem Strom auch auf andere neue Technologien haben, etwa die sogenannte Allam-Cycle Turbine, die bereits in einem Kraftwerk in Texas genutzt wird. In ihr erfolgt die Verbrennung nur mit reinem Sauerstoff, sodass die Abgase nur aus Wasser und CO2 bestehen. Dieses kann daher leicht abgeschieden und gespeichert werden. Das kann in unterirdischen Kavernen geschehen, oder das CO2 wird mit Hilfe von erneuerbaren Energien wieder in Brennstoffe umgewandelt. Besonders interessant ist diese Technologie, weil sie den bei der Erzeugung von Wasserstoff mittels Elektrolyse von Wasser mit grünem Strom entstehenden Sauerstoff direkt nutzen könnte. Die Untersuchungen der Forscher*innen der TU Berlin, aus Princeton sowie von Google haben ergeben, dass bereits ein Prozent des deutschen Industrie- und Gewerbestrombedarfs, das durch 24/7-kohlenstofffreien Strom gedeckt würde, die Kosten für die Allam-Technologie um 12 Prozent reduzieren könnte; bei einem Anteil von 10 Prozent reduzieren sich die Kosten bereits um geschätzte 38 Prozent.

    Die „24/7 Carbon-free Coalition“ macht den Anfang

    „Mit zunehmender Reife und sinkenden Kosten dieser Technologien wird ihre Anwendung über freiwillige Unternehmensinitiativen hinausgehen und zu einer breiteren, systemweiten Dekarbonisierung führen“, sagt Tom Brown. „Der durch privatwirtschaftliches Engagement angestoßene Innovationszyklus kann eine Welle des Wandels auslösen, die den Energiemarkt revolutioniert, Emissionen reduziert und den Weg für eine saubere und nachhaltige Zukunft ebnet“, ergänzt Iegor Riepin. Tatsächlich gibt es bereits die „24/7 Carbon-free Coalition“, die Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Regionen vereint, die sich dem Ziel eines 24/7-Ökostrom-Ansatzes verschrieben haben. Ihr gehören unter anderem Google, Vodafone, der Zementhersteller Shree sowie das Pharmaunternehmen AstraZeneca an.

    Simulationssoftware PyPSA und Lernmodell wurden verknüpft

    Die von Tom Brown und seinem Team entwickelte Simulationssoftware PyPSA kombiniert globale Wetterdaten, die für Photovoltaik und Windenergie relevant sind, mit der Architektur der Energienetze in den verschiedenen Ländern und mit den Standorten, an denen elektrische Energie erzeugt und gespeichert werden kann. Kombiniert wurde PyPSA mit einem „Lernmodell“, das die Kostenreduktion und die Lösung von technischen Problemen bei der Entwicklung bestimmter Technologien abschätzt. Dafür wurden schon existierende und geplante Projekte dieser Technologien recherchiert sowie historische Lernkurven bereits ausgereifter und etablierter Technologien (wie etwa Solarzellen) als Vergleichsmaßstab hinzugezogen. Das Lernmodell unterliegt dabei Unsicherheiten in Bezug auf die Anfangskosten, die einzelnen „Erfahrungsstufen“ sowie die Lernrate. Daher wurden Monte-Carlo-Simulationen durchgeführt, die diese Unsicherheiten erfassen, indem sie die Parameter anhand von Wahrscheinlichkeitsverteilungen abschätzen, die aus öffentlich zugänglichen Informationen über die Technologien abgeleitet wurden.

    Weiterführende Informationen:

    Studie im Fachmagazin Joule https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2542435124005440?via%3Dihub

    Kontakte:

    Prof. Dr. Tom Brown
    Technische Universität Berlin
    Institut für Energietechnik
    Fachgebiet Digitale Transformation in Energiesystemen
    Tel.: +49 (0) 30 314 22 890
    E-Mail: t.brown@tu-berlin.de

    Dr. Iegor Riepin
    Technische Universität Berlin
    Institut für Energietechnik
    Fachgebiet Digitale Transformation in Energiesystemen
    E-Mail: iegor.riepin@tu-berlin.de


    Bilder

    Auch bei 100-prozentigen Ökostromtarifen muss vor allem nachts, bei Windstille oder bei starken Stromverbrauchsspitzen doch auf Strom aus fossilen Quellen zurückgegriffen werden. Nicht so bei einem 24/7-Ökostrom-Ansatz.
    Auch bei 100-prozentigen Ökostromtarifen muss vor allem nachts, bei Windstille oder bei starken Stro ...

    Lolame / Pixabay

    Rechenzentrum von Google in Eemshaven, Niederlande. Das Unternehmen ist Mitglied in der „24/7 Carbon-free Coalition“, die Firmen aus verschiedenen Branchen und Regionen vereint, die sich dem Ziel eines 24/7-Ökostrom-Ansatzes verschrieben haben
    Rechenzentrum von Google in Eemshaven, Niederlande. Das Unternehmen ist Mitglied in der „24/7 Carbon ...

    Google


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Energie, Meer / Klima
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Auch bei 100-prozentigen Ökostromtarifen muss vor allem nachts, bei Windstille oder bei starken Stromverbrauchsspitzen doch auf Strom aus fossilen Quellen zurückgegriffen werden. Nicht so bei einem 24/7-Ökostrom-Ansatz.


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    Rechenzentrum von Google in Eemshaven, Niederlande. Das Unternehmen ist Mitglied in der „24/7 Carbon-free Coalition“, die Firmen aus verschiedenen Branchen und Regionen vereint, die sich dem Ziel eines 24/7-Ökostrom-Ansatzes verschrieben haben


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