Ob Valdimir Putin oder Donald Trump, ob alleinerziehender Vater aus Kinshasa oder Oma auf einem oberfränkischen Dorf: Politik und Menschen haben immer und überall eine Vorstellung davon, was schöne Architektur und gute Stadtplanung ist. Architektinnen und Architekten wiederum setzen ihre eigenen Qualitätskriterien an. Prof. Dr. Michael Heinrich von der Fakultät Design der Hochschule Coburg bemüht sich um Vermittlung zwischen Fachwelt und Bevölkerung.
Zwei große Strömungen lassen sich in der Architektur ausmachen – zumindest unter den Gebäuden, die einen großen Teil der Fläche dominieren: Auf der einen Seite stehen traditionalistisch inspirierte Architektursprachen, auf der anderen Form- und Strukturauffassungen, die sich am Modernismus, am International Style, am Bauhaus oder am Neues Bauen orientieren. „In der öffentlichen Debatte artikuliert sich häufig Unbehagen bezüglich ,moderner‘ Architektur, die als kalt, unwirtlich, monoton, indifferent, lieblos und als Störung von Ortsidentität wahrgenommen wird“, erklärt Prof. Dr. Michael Heinrich von der Hochschule Coburg. Umgekehrt orientiere sich die architektonische Fachwelt vielfach an der Klassischen Moderne und leite aus ihrem anfangs sozialreformerischem Ansatz gerne eine dauerhafte Legitimierung ab. „Diese Haltung grenzt sich gegen alles ab, was als konservativ eingeordnet und oft als Kitsch, Kommerz, bürgerliche Idylle oder als Rechte Räume kategorisiert wird.“ Beide Strömungen machen den öffentlichen Raum und die Baukultur zu einer Projektionsfläche politisch-ideologischer Ideen. Das ist nicht neu, aber extreme Gegensätze sind momentan im Trend, und so ignoriert die traditionalistische Seite gesellschaftliche Entwicklungen und Transformationsnotwendigkeiten, während eine eher klassisch-modernistisch orientierte Fraktion einer heute längst überholten, rationalistischen Vorstellung des Menschen und der Gesellschaft frönt. Bei den aktuellen Herausforderungen hilft beides nichts. Architektur entwickelt sich weiter. Und für den Coburger Architekturprofessor Heinrich ist klar, wohin: Er tritt für eine stärkere Orientierung an menschlichen Bedürfnissen, Emotionen und sozialen Erfordernissen ein.
Innovative Architektur im 21. Jahrhundert
Als kürzlich bei den „Berliner Gesprächen“ des Bundes deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) über das Thema „Was Ihr wollt – Annäherungen zwischen Architektur und Öffentlichkeit“ diskutiert wurde, gab Heinrich wichtige Impulse in die Fachwelt. Er ist Teil des Leitungsteams des Instituts Mensch & Ästhetik, einer transdisziplinären, gemeinsamen Forschungsgruppe der Hochschule Coburg mit der Universität Bamberg und beschäftigt sich hier intensiv mit der Frage, nach welchen ästhetisch-emotionalen Kriterien und Bedürfnissen Menschen ihre Umgebungen bewerten. „Humanorientierte Architektur“ geht über funktionalen Nutzen und strukturelle Qualität hinaus. Die gebaute Umgebung soll sich auch gut anfühlen, Wohlbefinden und Resilienz stärken. Um dabei unterschiedlichen Herkünften, Prägungen, Erziehungen, Kulturen, Geschlechtern, Altersstufen und Charaktermerkmalen gerecht zu werden, muss Architekturlehre heute ein zeitgemäßes, differenziertes Menschenbild vermitteln. Heinrich plädiert dafür, aus verschiedenen Disziplinen Wissen über das ästhetische Erleben von Menschen einzubeziehen: „Die Humanbiologie und die Psychologie benennen eine Reihe zentraler physischer, aber auch psychischer Bedürfnisse von Menschen, denen jeweils viele ästhetisch erfahrbare Umwelteigenschaften entsprechen.“ Auch Soziologie, Gestalt-, Systemtheorie, Anthropologie, Philosophie könnten Erkenntnisse liefern.
Wirtschaftliche Zwänge, Bürokratie und explodierende technische Möglichkeiten
Es braucht darüber hinaus aber auch einen anderen gesellschaftlichen Blick auf die Architektur, wie Heinrich beim BDA in Berlin ausführte: „Ökonomische Ansprüche von Investorinnen und Investoren, gesetzliche Rahmenbedingungen, steigende Komfort-Erwartungen, explodierende Entwicklung von Bau-, Material- und Planungstechnik und von Kosten und nicht zuletzt divergierende ästhetische Ansprüche verschiedener Milieus setzen Architektinnen und Architekten einem ungeheuren Druck aus.“ Die häufig beklagte Monotonie moderner Baugebiete – aber auch der Verlust von Zusammenhang, Wärme, Ortsidentität oder Ausdruck – seien komplexe weltweite Phänomene, die längst nicht mehr im Entscheidungsraum der Architektur verortet sind. „Sie müssten zunächst auf politischer Ebene adressiert werden“, sagt Heinrich. Gefragt ist eine zeitgemäße Architektur fernab von politisch-ideologischer Verherrlichung von Traditionalismus oder Moderne. „Viele Architektinnen und Architekten suchen nach neuen Wegen und einer Umwelt, die ernst macht mit dem Wert der Nachhaltigkeit, der Diversität, aber auch mit der Erkenntnis, dass Wärme und Ortsidentität wichtige menschliche Bedürfnisse sind“, erklärt Heinrich. „Regionalismus, Materialbewusstheit, Sensibilität für soziale und kulturelle Praktiken und für die Potentiale des Baubestands ziehen immer stärker als Werte in die Architektur ein.“
Studium in Coburg
Die Studiengänge der Fakultät Design an der Hochschule Coburg starten jeweils zum Wintersemester. Im Master Design besteht die Möglichkeit, sich intensiv mit Humanorientierter Architektur & Gestaltung sowie Psychologischer Ästhetik zu beschäftigen. Wer noch nicht genau weiß, was der richtige Studiengang ist oder ob er oder sie überhaupt studieren möchte, kann das im Orientierungssemester der Hochschule Coburg auch im Sommersemester ausprobieren. Hier geht's in sechs Schritten zum Wunsch-Studienplatz.
Text: Natalie Schalk
Prof. Dr. Michael Heinrich forscht und lehrt an der Hochschule Coburg zu Architektur und Ästhetik.
Natalie Schalk
Hochschule Coburg
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Bauwesen / Architektur, Energie, Kunst / Design, Psychologie, Umwelt / Ökologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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