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17.02.2025 17:07

Bauchspeicheldrüsenkrebs: Nerven-Blockade als mögliche neue Behandlungsstrategie

Dr. Sibylle Kohlstädt Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum

    Krebs der Bauchspeicheldrüse wird durch Verbindungen zum Nervensystem in seinem Wachstum gefördert. Dies berichten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und vom Heidelberger Institut für Stammzelltechnologie und Experimentelle Medizin (HI-STEM)* in ihrer aktuellen Publikation in der Zeitschrift Nature. Dabei entdeckten sie, dass der Tumor die Neuronen gezielt für seine Zwecke umprogrammiert. Bei Mäusen hemmte die Blockade der Nervenfunktion das Krebswachstum und steigerte die Empfindlichkeit der Tumorzellen gegenüber bestimmten Chemotherapien und Immuntherapien.

    Seit einigen Jahren entdecken Wissenschaftler bei fast allen untersuchten Krebsarten Wechselwirkungen mit dem Nervensystem, die in vielen Fällen Wachstum und Überleben des Tumors fördern. Auch Bauchspeicheldrüsenkrebs ist von einem dichten Netz von Nerven durchzogen. Allerdings ragen nur die Nervenfasern in den Tumor, die Kerne der Nervenzellen dagegen liegen weit außerhalb, in den als Ganglien bezeichneten Schaltzentralen des peripheren Nervensystems. Daher war bislang unklar, welche molekularen Wechselwirkungen sie mit Krebszellen eingehen.

    Mit einem an Mäusen neu entwickelten Verfahren gelang es nun erstmals einem Team um Andreas Trumpp, DKFZ und HI-STEM, die Nervenzellen sowohl im gesunden Gewebe als auch im Bauchspeicheldrüsenkrebs der Maus molekular zu untersuchen.

    Pankreaskrebs programmiert Nervenzellen um
    In Pankreastumoren sind die Nerven extrem stark verzweigt und stehen in Kontakt mit den meisten Zellen des Tumors. Durch die detaillierte molekulare Analyse der einzelnen Neuronen im Tumor entdeckten die Forschenden, dass Pankreaskrebs die Genaktivität der Nerven für seine Zwecke umprogrammiert. Die Aktivität vieler Gene wird gesteigert oder abgeschwächt, so dass zusammengefasst eine „Signatur“ entsteht, die tumorspezifisch ist.

    Mehr noch: Selbst nach chirurgischer Entfernung des Primärtumors behielt das Tumor-Nervensystem seine krebsfördernden Eigenschaften bei: Implantierten die Wissenschaftler den operierten Tieren erneut Pankreaskrebszellen, so wurden die daraus entstehenden Sekundärtumoren doppelt so groß wie die von Mäusen, denen erstmalig Pankreaskrebszellen übertragen worden waren.

    Neben ihrer direkten Wechselwirkung mit Krebszellen beeinflussen Nervenzellen insbesondere die Bindegewebszellen des Tumors (CAF – cancer-associated fibroblasts), die einen großen Teil der Tumormasse ausmachen. Sie werden ebenfalls zum Wachstum angeregt und tragen maßgeblich zur Unterdrückung der Immunabwehr im Tumormilieu bei.

    Gekappte Nerven – schrumpfende Tumoren
    Wurden die sympathischen Nervenverbindungen zum Pankreas chirurgisch gekappt oder mit speziellen Nervengiften zerstört, so wurde das Tumorwachstum signifikant gehemmt. Zugleich ging die Aktivität wachstumsfördernder Gene in den Krebszellen sowie auch in den CAFs zurück. In den CAFs beobachteten die Forschenden nach der Zerstörung der Nerven eine deutliche Steigerung der entzündungsfördernden Genaktivitäten. „Offenbar unterdrücken die neuronalen Verbindungen im Pankreaskrebs die entzündungsfördernde Aktivität der Fibroblasten und hemmen dadurch die Krebsabwehr durch Immunzellen“, erklärt Vera Thiel, die Erstautorin der Arbeit.

    Durchtrennte Nerven steigern Wirksamkeit von Immuntherapien
    Wenn die Unterbrechung der Nervenverbindungen offenbar entzündungsfördernd wirkt, also das Immunsystem aktiviert, so könnte dies die Wirksamkeit einer Immuntherapie mit so genannten Checkpoint-Inhibitoren (ICI) steigern. Wirkstoffe dieser Gruppe lösen bildlich gesprochen die „Bremsen“ des Immunsystems. Allerdings können sie allein gegen Pankreaskarzinome nichts ausrichten: Die Tumoren gelten als immunologisch „kalt“, das heißt, die therapeutisch wichtigen T-Zellen kommen schlichtweg nicht an den Tumor heran.

    Blockierten die Forschenden in einem Maus-Modell die Nervenverbindung zum Pankreastumor mit einem gezielt wirkenden Neurotoxin, so wurde der Tumor wieder empfindlich für den Checkpoint-Inhibitor Nivolumab, und die Tumormasse schrumpfte auf ein Sechstel der Masse in Kontrolltieren. „Wir konnten durch die neuronale Blockade einen immunologisch kalten in einen für Immuntherapie empfindlichen Tumor umwandeln“, fasst Simon Renders, ebenfalls Erstautor der Publikation, das Ergebnis zusammen.

    Durchtrennte Nerven plus Chemotherapie: synergistische Wirkung
    Das Medikament nab-Paclitaxel ist ein Bestandteil der Standard-Chemotherapie bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. Neben der Hemmung der Zellteilung wirkt es auch auf die sensorischen Nerven, weshalb eine periphere Neuropathie zu den bekannten schweren Nebenwirkungen dieses Wirkstoffs zählt.

    Das Team um Trumpp zeigte, dass unter wiederholten Zyklen von nab-Paclitaxel die sensorischen Nervenfasern im Tumor drastisch zurückgingen. Auch die Tumormasse reduzierte sich erwartungsgemäß. Die Wirkung auf sensorische Nerven scheint offenbar Teil der Wirksamkeit des Medikaments gegen Pankreaskrebs zu sein. Allerdings behielten die verbleibenden Nervenfasern auch unter der Behandlung ihre krebsfördernde Genaktivität bei.
    Was aber passiert, wenn der Tumor vollständig von seinen Nervenverbindungen abgeschnitten wird? Dies erreichten die Forscher, indem sie die Mäuse mit nab-Paclitaxel (zur Blockade sensorischer Nerven) und einem Neurotoxin zum Ausschalten der sympathischen Neuronen behandelten. Diese Kombination wirkte synergistisch und reduzierte die Tumormasse um mehr als 90 Prozent.

    „Das Ergebnis unterstreicht, dass beide Typen von Nervenzellen funktionelle Relevanz für das Tumorwachstum haben,“ erklärt Vera Thiel. „Die vollständige Blockade der Kommunikation zwischen Nerven und Tumor in Kombination mit Chemotherapie und/oder Immun-Checkpoint-Inhibitoren ist ein vielversprechender Ansatz, um Pankreaskrebs in Zukunft wirksamer zu bekämpfen. Denkbar ist beispielsweise, die Größe der Tumoren soweit zu reduzieren, dass sie anschließend operabel werden“, fasst Trumpp zusammen. Sein Team plant gemeinsam mit Ärzten des Universitätsklinikums Heidelberg bereits frühe klinische Studien, um diese Strategie an Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs zu prüfen.

    *Das Heidelberger Institut für Stammzellforschung und experimentelle Medizin (HI-STEM) gGmbH wurde 2008 als Public-Private-Partnership von DKFZ und Dietmar Hopp Stiftung gegründet und seit inzwischen 15 Jahren durch die Stiftung gefördert.

    Warum für diese Forschung Untersuchungen an Mäusen notwendig sind
    Um zu untersuchen, welche verschiedenen Arten der peripheren Nerven die Entwicklung von Bauchspeicheldrüsenkrebs beeinflussen, ist das voll ausgebildete Nervensystem eines intakten Organismus unerlässlich. Darüber hinaus war das Ziel der Arbeit, die Wechselwirkung zwischen Nervensystem und Tumor ein potenzielles Angriffsziel für neue Therapieansätze zu prüfen. Um dabei mögliche Synergieeffekte mit der körpereigenen Abwehr zu entdecken benötigt es außerdem das Immunsystem mit all seinen Komponenten. Beides lässt sich in Zell- oder Organkultursystemen nicht abbilden.

    Vera Thiel*, Simon Renders*, Jasper Panten*, Nicolas Dross, Katharina Bauer, Daniel Azorin, Vanessa Henriques, Vanessa Vogel, Corinna Klein, Aino Maija Leppä, Isabel Barriuso Ortega, Jonas Schwickert, Iordanis Ourailidis, Julian Mochayedi, Jan-Phillip Malm, Carsten Müller-Tidow, Hannah Monyer, John Neoptolemeos, Thilo Hackert, Oliver Stege, Duncan T. Odom, Rienk Offringa, Albrecht Stenzinger, Frank Winkler, Martin Sprick, Andreas Trumpp: Characterization of single neurons reprogrammed by pancreatic cancer.
    Nature 2025, DOI: 10.1038/s41586-025-08735-3
    https://www.nature.com/articles/s41586-025-08735-3
    Ein Bild zur Pressemitteilung steht zum Download zur Verfügung:
    https://www.dkfz.de/fileadmin/user_upload/Skoe/Pressemitteilungen/2025/AT_Nature...

    BU: Der Pankreas einer Maus wird zunächst mithilfe verschiedener Chemikalien transparent gemacht. Anschließend wurde mit der Lichtscheiben-Fluoreszenzmikroskopie das dichte Netzwerk an neuronalen Strukturen sichtbar gemacht, die den Tumor innervieren und zu seinem Wachstum beitragen.
    Nutzungshinweis für Bildmaterial zu Pressemitteilungen
    Die Nutzung ist kostenlos. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) gestattet die einmalige Verwendung in Zusammenhang mit der Berichterstattung über das Thema der Pressemitteilung bzw. über das DKFZ allgemein. Bitte geben Sie als Bildnachweis an: „Quelle: V.Thiel/DKFZ“.
    Eine Weitergabe des Bildmaterials an Dritte ist nur nach vorheriger Rücksprache mit der DKFZ-Pressestelle (Tel. 06221 42 2854, E-Mail: presse@dkfz.de) gestattet. Eine Nutzung zu kommerziellen Zwecken ist untersagt.

    Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

    Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

    Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
    Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
    Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
    Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
    DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
    Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)

    Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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