Pressekonferenz der Uni Hohenheim: Viele FSME-Fälle auch in Landkreisen, die nicht als Risikogebiet gelten / Im Jahr 2024 zweithöchste Zahl an FSME-Fällen
Wieder ist ein zeckenreiches Jahr zu erwarten: Durch die warmen Winter sind Zecken ganzjährig aktiv, viele überleben die milden Wintermonate. Diese Winteraktivität wurde bereits in den letzten Jahren beobachtet, berichtet Prof. Dr. Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim in Stuttgart auf der heutigen Pressekonferenz. Das führte dazu, dass bereits im Januar 2025 die ersten FSME-Fälle gemeldet wurden. Im Vorjahr meldete das Robert-Koch-Institut die zweithöchste Zahl an FSME-Fällen seit Beginn der Meldepflicht. Besonders bemerkenswert: Auch in Landkreisen, die noch nicht offiziell als Risikogebiete gelten, werden viele FSME-Fälle registriert. Prof. Dr. Gerhard Dobler, Leiter des Nationalen Konsiliarlabors für Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr betont, dass damit ein Infektionsrisiko in ganz Deutschland vorhanden ist. Er rät dringend zur Impfung.
Insgesamt 686 FSME-Fälle verzeichnet das Robert-Koch-Institut in 2024 in Deutschland. Nach einem Rekord im Jahr 2020 mit 718 Fällen ist 2024 damit das Jahr mit den zweithöchsten Fallzahlen.
Seit einigen Jahren schon sehen die Forschenden einen zweijährigen Rhythmus mit hohen Erkrankungszahlen in jedem zweiten Jahr statt wie früher in jedem dritten Jahr. Mittlerweile sei ein deutlich ansteigender Trend erkennbar, betont Prof. Dr. Mackenstedt, Leiterin des Fachgebiets Parasitologie der Universität Hohenheim: „Seit 2017 steigen die Fallzahlen kontinuierlich an. Aktuell ist jedoch noch unklar, wie hoch die Erkrankungszahlen im Jahr 2025 ausfallen werden.“
Ganz Deutschland FSME-Endemiegebiet
Auch 2024 fanden sich rund 80 Prozent der Fälle in Süddeutschland: „Baden-Württemberg meldete 226 Fälle, in Bayern waren es 311“, führt Prof. Dr. Mackenstedt aus. „Bis auf Hamburg und Schleswig-Holstein haben allerdings alle Bundesländer Fälle in 2024 gemeldet“, so Prof. Dr. Dobler. „Das Risiko sich mit FSME zu infizieren, besteht inzwischen also in ganz Deutschland.“
Nördlich der Mittelgebirge seien die Fallzahlen zwar deutlich niedriger, doch auch hier zeige sich ein ansteigender Trend: „Neben Bayern im Süden melden Sachsen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin Höchststände für das Jahr 2024 bei den Erkrankungen“, erläutert Prof. Dr. Dobler.
Ebenso auffällig: Auch in Landkreisen, die nach Definition des Robert-Koch-Instituts nicht als Risikogebiete gelten, wurden Fälle gemeldet.
Zecken durch Klimawandel ganzjährig aktiv
Schon jetzt seien die ersten FSME-Fälle dieses Jahres zu verzeichnen – unter anderem in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen, fügt Prof. Dr. Dobler hinzu: „Bis zum Ausbruch der Erkrankung vergehen etwa drei Wochen. Die Infektionen müssen also mitten im Winter stattgefunden haben.“
Der Grund dafür: Zecken als Überträger der Viren können aufgrund des Klimawandels ganzjährig aktiv sein. „Die Tiere sind bereits ab fünf Grad Celsius aktiv“, erklärt Prof. Dr. Mackenstedt. Außerdem würden die milden Temperaturen dazu beitragen, dass immer mehr Zecken den Winter überleben, so die Parasitologin: „Temperaturen bis zu -7 Grad können sie problemlos für einige Tage aushalten.“
FSME-Risiko auch in Norddeutschland und beliebten Urlaubsländern erhöht
Eine daraus resultierende Beobachtung: Mit dem FSME-Virus infizierte Zecken treten immer öfters in bisher nicht betroffenen Gebieten auf. „Es gibt immer wieder neue FSME-Stämme, die aus Osteuropa Richtung Westen ziehen“, so Prof. Dr. Mackenstedt. Ein Stamm aus Polen etwa sei zunächst in Sachsen-Anhalt und später in Niedersachsen und nun auch in den Niederlanden nachgewiesen worden.
Zudem sei das Risiko für eine FSME-Infektion auch in den Nachbarländern Deutschlands gestiegen: „Auch in Frankreich, den Niederlanden, England und Dänemark wurden bereits FSME-positive Zecken und menschliche Erkrankungsfälle nachgewiesen“, so Prof. Dr. Mackenstedt.
Proben von Blutspender:innen weisen auf hohe Dunkelziffer bei FSME-Infektionen hin
Doch nicht alle FSME-Infektionen werden auch erkannt, wie Forschungsergebnisse von Prof. Dr. Dobler zeigen. Bereits 2023 hatte der Mediziner Proben von Blutspender:innen aus dem Ortenaukreis auf FSME-Antikörper untersucht. Mithilfe eines speziellen Testverfahrens kann er zwischen Antikörpern aus einer Impfung und aus einer Infektion unterscheiden.
Die Ergebnisse aus dem Ortenaukreis weisen auf eine hohe Dunkelziffer hin: „Im Ortenaukreis ist das Infektionsgeschehen um ein Siebenfaches höher als noch vor 40 Jahren, also vor Einführung der FSME-Impfung“, so Prof. Dr. Dobler.
In Österreich seien rund 80 Prozent der Bevölkerung geimpft. Doch auch hier würden die Fallzahlen ansteigen. Die Blutspender-Untersuchungen werden daher auch auf den österreichischen Raum und andere Regionen in Deutschland ausgeweitet, erklärt Prof. Dr. Dobler: „So lässt sich feststellen, wie hoch das tatsächliche Infektionsrisiko in unterschiedlichen Regionen ist.“ Erste Daten aus Tirol und Vorarlberg zeigen ebenfalls ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko bei Ungeimpften auf. In einigen Distrikten hat jeder achte Ungeimpfte eine FSME-Infektion durchgemacht.
Mediziner rät dringend zur Impfung
Angesicht der aktuellen Entwicklungen sei eine Impfung derzeit wichtiger denn je. „Bei schweren Infektionen kann FSME zu Langzeitfolgen wie Muskellähmungen, Gleichgewichtsstörungen oder starken Stimmungsschwankungen führen“, sagt Prof. Dr. Dobler.
„Da das Infektionsrisiko in ganz Deutschland vorhanden ist, kann eine Impfung auch für Menschen außerhalb der offiziell ausgewiesenen Risikogebiete sinnvoll sein“, so der Mediziner. „Und auch bei einer Urlaubsreise in die benachbarten Länder bietet die Impfung einen zuverlässigen Schutz.“
Für eine Grundimmunisierung seien drei Impfungen notwendig. Die Auffrischung müsse alle fünf Jahre, ab dem 50. bzw. 60. Lebensjahr – je nach verwendetem Impfstoff – alle drei Jahre erfolgen. Statistisch sei erst bei einer Durchimpfung von 50 Prozent der Bevölkerung ein Sinken der Fallzahlen zu erkennen: „Bisher erreicht kein Bundesland diese Impfquote“, so Prof. Dr. Dobler.
Doch das spielt für das individuelle Risiko ohnehin keine Rolle: „FSME wird nicht von Mensch zu Mensch übertragen, weshalb auch eine hohe Durchimpfungsrate nicht das individuelle Risiko senkt.“ Die Impfung biete jedoch einen individuellen Schutz und sei gut verträglich.
Weitere Informationen
Abruf der aktuellen FSME-Fallzahlen beim Robert-Koch-Institut: https://survstat.rki.de
HINTERGRUND: Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
Die FSME-Erreger werden durch europäische Zecken wie den europäischen Holzbock, aber auch die Auwaldzecke, übertragen. In den Risikogebieten liegt die Wahrscheinlichkeit einer FSME-Infektion nach einem Zeckenstich bei 1:50 bis 1:100. Nach circa 10 Tagen treten grippeähnliche Symptome auf. Bei rund einem Drittel der Patienten kommt es nach einer vorübergehenden Besserung zu einem erneuten Fieberanstieg und einer zweiten Krankheitsphase.
Bei leichten Verläufen klagen die Patienten vorwiegend über starke Kopfschmerzen. Bei schwereren Verläufen sind auch Gehirn und Rückenmark beteiligt. Zu den Symptomen gehören Koordinationsstörungen, Lähmungen, Sprach- und Sprechstörungen sowie Bewusstseinsstörungen und epileptische Anfälle. Für rund ein Prozent der Patienten endet die Krankheit tödlich. Ist die Krankheit erst einmal ausgebrochen, können nur die Symptome therapiert werden. Schützen kann eine Impfung.
Zu den Pressemitteilungen der Universität Hohenheim
https://www.uni-hohenheim.de/presse
Text: Moormann
Prof. Dr. Ute Mackenstedt, Universität Hohenheim, Fachgebiet Parasitologie
T +49 711 459 22275, E mackenstedt@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Gerhard Dobler, Nationales Konsiliarlabor FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München
T +49 89 992692 3974, E gerharddobler@bundeswehr.org
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Biologie, Medizin, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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