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14.03.2025 07:56

Wasser im Krieg: Welche langfristigen Umweltfolgen die Zerstörung des Kachovka-Staudamms in der Ukraine hat

Nadja Neumann Kommunikation und Wissenstransfer
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB)

    Wasser wird als Waffe missbraucht, wenn in Kriegen Infrastruktur und Wasserressourcen gezielt zerstört werden. Auch im anhaltenden bewaffneten Konflikt in der Ukraine sind Wasserressourcen und -infrastrukturen betroffen: Im Juni 2023 brach der Kakhovka-Staudamm, der einen der größten Stauseen Europas umfasste, infolge militärischer Angriffe zusammen. Forschende unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben in der Zeitschrift Science eine Studie zu den ökologischen Folgen des Dammbruchs veröffentlicht. Sie zeigen, dass die toxische Kontamination der freigelegten Sedimente des ehemaligen Stausees eine bisher übersehene Langzeitgefahr darstellt.

    „In der modernen Kriegsführung werden Flüsse nicht nur weiterhin als Kampflinien, sondern zunehmend auch als Waffen eingesetzt“, sagt IGB-Forscherin Dr. Oleksandra Shumilova, Hauptautorin der Studie. In der Ukraine wurden seit dem Jahr 2022 Dämme an den Flüssen Irpen, Oskil und Inhulets durch russische Kriegshandlungen mutwillig zerstört, und die Kraftwerke mehrerer anderer großer Stauseen beschädigt. Die Zerstörung des Kakhovka-Damms zog als dramatischstes Ereignis die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf sich. Der stromabwärts am Ende der Dnipro-Staukaskade gelegene Stausee speicherte 18 Kubikkilometer Wasser für verschiedene Zwecke wie Wasserversorgung, Landwirtschaft und Industrie.

    Die Zerstörung des Kakhovka-Staudamms führte zur nahezu vollständigen Entleerung des Stausees, verursachte Überschwemmungen flussabwärts und verschmutzte die Süßwasser- und Meeresumwelt. Ein internationales Forschungsteam untersuchte die ökologischen Auswirkungen. „Diese Aufgabe war nicht trivial, da das Ausmaß der Auswirkungen alle bekannten Dammbrüche und gezielten Dammbeseitigungsprojekte um mehrere Größenordnungen übertraf. Erschwerend kam hinzu, dass die Feldbeobachtungen und Messungen aufgrund der laufenden Kämpfe eingeschränkt waren", so IGB-Forscher Dr. Alexander Sukhodolov, der zweite Erstautor der Studie.

    Die katastrophale Überflutung:

    Der Dammbruch ließ über zwei Wochen 16,4 Kubikkilometer Wasser in die Dnipro-Bug-Mündung und anschließend ins Schwarze Meer fließen. Insgesamt waren 110.000 Menschen und 60.000 Gebäude von den Überschwemmungen betroffen. Die Forschenden führten eine numerische Modellierung der Strömungsdynamik für das Gebiet stromabwärts des Dammes während der größten Flutwelle durch: Zwischen dem Überschwemmungsgebiet und dem Hauptkanal kam es zu starken Turbulenzen, die die Schilfvegetation wegspülten und deren Überreste über einen 250 Kilometer langen Küstenstreifen verteilten. Durch die Überflutung entstand eine Süßwasserfahne mit hohen Schadstoffkonzentrationen, die sich über den Schelf des Schwarzen Meeres ausbreitete, den Salzgehalt verringerte und benthische Organismen schädigte.

    Giftige Zeitbombe: rund 83,3 Tausend Tonnen Schwermetalle in den freigelegten Sedimenten:

    Oberhalb der Staumauer lag plötzlich eine Fläche von 1.944 Quadratkilometern des Stauseebodens frei. Zum Vergleich: Das entspricht etwa 80 Prozent der Fläche Luxemburgs. Die Ergebnisse der Studie weisen auf ein bisher übersehenes Problem hin: Die freigelegten Sedimente stellen langfristig eine Quelle für Schwermetalle dar. Seit den 1950er Jahren haben sich im Kakhovka-Stausee etwa 1,3 bis 1,7 Kubikkilometer feiner Schlamm angesammelt, der von den Ufern abgetragen wurde. Wie in einem riesigen Schwamm haben sich Schadstoffe aus den Industrie- und Landwirtschaftsgebieten im Einzugsgebiet des Dnipro angesammelt.

    Nach Schätzungen, die auf Sedimentproben vor der Katastrophe und Fernerkundungsergebnissen nach der Katastrophe beruhen, sind die freigelegten Sedimente mit etwa 83,3 Tausend Tonnen hochgiftiger Schwermetalle wie Blei, Cadmium und Nickel belastet. „Unsere Analysen deuten darauf hin, dass weniger als ein Prozent des Sediments während des Abflusses freigesetzt wurde. Oberflächenabfluss und saisonale Überschwemmungen können jedoch zur Erosion kontaminierter Böden führen und die Schadstoffkonzentration im Flusswasser und in zeitweise überschwemmten Gebieten erhöhen", sagt Dr. Natalia Osadcha vom Hydrometeorologischen Institut der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, eine Mitautorin der Studie.

    Die Natur kehrt schnell zurück: Wiederherstellung einer Auenvegetation, die 80 Prozent eines nicht gestauten Ökosystems entspricht, innerhalb von fünf Jahren erwartet:

    Die Studie zeigt auch, wie sich ein Flussökosystem verändert, wenn es nicht mehr gestaut wird. Innerhalb des ehemaligen Stausees hat der Fluss seinen historischen Lauf wieder eingenommen. „Zu verstehen, wie sich das Ökosystem nach einem Extremereignis erholt, ist eine Aufgabe für die prädiktive Ökologie und lässt sich mit den Grundprinzipien der Selbstorganisation herleiten", erklärt Oleksandra Shumilova.

    Der Zeitraum, in dem der Stausee im Juni Wasser verlor, fiel mit der Zeit der Samenausbreitung typischer Uferpflanzen wie Weiden und Pappeln zusammen. Während sich das Wasser zurückzog, wurden die Samen auf der Wasseroberfläche über weite Strecken transportiert und in Spalten im Sediment eingeschlossen. Innerhalb von drei Monaten waren etwa 18 Prozent des ehemaligen Stauseebettes mit ersten Pflanzen bedeckt, die zudem hohe Wachstumsraten aufwiesen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass innerhalb von fünf Jahren eine Auenvegetation zu erwarten ist, die 80 Prozent eines ungestauten Fließgewässers entspricht.

    Was lässt sich aus dem Fall des Kakhovka-Stausees lernen und wie sieht seine Zukunft aus?

    „Die Erkenntnisse aus der Zerstörung des Kakhovka-Staudamms sind auch wertvoll für das Verständnis von Ökosystemprozessen in Flüssen, in denen Dämme entfernt werden, um Flüssen mehr Raum zu geben und ihre wertvollen Ökosystemleistungen wiederherzustellen. Dies ist in Europa und den USA erfreulicherweise häufiger geplant. Darüber hinaus gibt das entwickelte Rahmenwerk Hilfestellung zur Risikobewertung unerwarteter Dammbrüche. Dies ist angesichts der Alterung von Staudämmen und der damit verbundenen Wasserinfrastruktur wichtig“, kommentiert Prof. Hans-Peter Grossart, einer der Hauptautoren der Studie.

    Während der Krieg weitergeht, haben unter Entscheidungsträger*innen, Wissenschaftler*innen und Wasserfachleuten Diskussionen über die Zukunft des Kakhovka-Staudamms begonnen. Die Meinungen darüber, ob der Damm wiederaufgebaut werden sollte, gehen auseinander: Ohne den Damm würde das Ökosystem des Flusses schnell wieder in den Zustand vor dem Dammbau zurückkehren, aber die Schwermetalle könnten sich in den Nahrungsnetzen anreichern. Das Autorenteam schlägt daher vor, die Freisetzung von Schadstoffen durch den Bau von zwei 15 Kilometer langen temporären Barrieren, die den Hauptkanal von den beiden größten Feuchtgebieten trennen, wirksam zu kontrollieren.

    Alle Pläne zur Wiederherstellung der durch den Konflikt geschädigten ukrainischen Wasserökosysteme setzen ein Ende des Krieges voraus, aber es besteht nach wie vor ein erhebliches Risiko neuer Raketenangriffe auf Staudämme in den Kaskaden von Dnipro und Dnjestr. „Wenn weitere Dämme angegriffen werden, könnte dies katastrophale Folgen für Mensch und Umwelt haben, wie der Zusammenbruch des Kakhovka-Damms gezeigt hat. Der Schutz von Staudämmen in militärisch genutzten Gebieten sollte eine Priorität des internationalen Rechts sein, da konfliktbedingte Staudammbrüche weitreichende und langfristige Umweltfolgen haben können“, fasst Dr. Oleksandra Shumilova zusammen.

    ******

    Zur Genese der wissenschaftlichen Studie:

    In einem Artikel, der im März 2023 in der Fachzeitschrift Nature Sustainability veröffentlicht wurde (https://doi.org/10.1038/s41893-023-01068-x), warnten IGB-Wissenschaftler*innen frühzeitig vor den potenziellen Gefahren, die mit der Zerstörung großer Dämme und Stauseen in der Ukraine verbunden sind, und bewerteten die militärischen Auswirkungen und Bedrohungen nach den ersten drei Monaten des bewaffneten Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Es überrascht daher nicht, dass das Forschungsteam nach dem Zusammenbruch des Kakhovka-Staudamms gebeten wurde, sich zu den ökologischen Folgen dieser Katastrophe zu äußern. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, organisierte die IGB-Initiativgruppe einen Workshop, an dem führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ukrainischer Forschungseinrichtungen sowie Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, den USA, den Niederlanden, der Türkei und Argentinien teilnahmen. Ein Team mit unterschiedlichen Fachkenntnissen und Perspektiven ermöglichte die Entwicklung eines methodischen Rahmens, der Feldbeobachtungen, Fernerkundung sowie numerische und analytische Modellierung kombiniert, um ein besseres Verständnis des räumlichen und zeitlichen Ausmaßes dieser Katastrophe zu gewinnen und potenzielle Entwicklungen bei der Erholung der geschädigten Ökosysteme zu skizzieren.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Olexsandra Shumilova, IGB: https://www.igb-berlin.de/profile/oleksandra-shumilova

    Dr. Alex Sukhodolov, IGB: https://www.igb-berlin.de/profile/alexander-sukhodolov

    Prof. Hans-Peter Grossart, IGB: https://www.igb-berlin.de/profile/hans-peter-grossart


    Originalpublikation:

    O. Shumilova et al., Environmental effects of the Kakhovka Dam destruction by warfare in Ukraine. Science 387,1181-1186(2025). DOI:10.1126/science.adn8655


    Weitere Informationen:

    https://www.igb-berlin.de/news/wasser-im-krieg-langfristige-umweltfolgen-zerstoe...


    Bilder

    Blick auf den freigelegten Gewässerboden des Kakhovka-Stausees in der Nähe des Dorfes Novovorontsovka nach dem Trockenfallen, aufgenommen am 25. Juni 2023. Auf dem Schild steht: „Schwimmen verboten!“ und „Achtung! Minen!“
    Blick auf den freigelegten Gewässerboden des Kakhovka-Stausees in der Nähe des Dorfes Novovorontsovk ...
    Ivan Antipenko
    Ivan Antipenko


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Bauwesen / Architektur, Geowissenschaften, Gesellschaft, Politik, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Blick auf den freigelegten Gewässerboden des Kakhovka-Stausees in der Nähe des Dorfes Novovorontsovka nach dem Trockenfallen, aufgenommen am 25. Juni 2023. Auf dem Schild steht: „Schwimmen verboten!“ und „Achtung! Minen!“


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