In einer umfangreichen experimentellen Studie hat ein internationales Forschungsteam die Berechnungen eines führenden Simulationscodes in einem bisher unerreichten Ausmaß bestätigt. Damit gelingt ein großer Fortschritt beim Verständnis turbulenter Transportprozesse in Kernfusionsanlagen. Die Arbeit wurde jetzt im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht. Sie schafft eine wichtige Voraussetzung für die Vorhersage der Leistungsfähigkeit von Fusionskraftwerken.
Künftige Fusionskraftwerke sollen durch Verschmelzung leichter Atomkerne auf sehr effiziente Weise nutzbare Energie liefern. Bei dem fortgeschrittensten Ansatz – der Magnetfusion – wird ein viele Millionen Grad Celsius heißes, ionisiertes Gas in einem Magnetfeld eingesperrt. Dieses Plasma schwebt dann berührungsfrei in einem donutförmigen Vakuumbehälter. Die bei der Kernfusionsreaktion frei werdende Energie soll nicht nur der Stromgewinnung dienen. Ein Teil davon muss auch das Plasma selbst heizen, damit der Prozess dauerhaft in Gang bleibt. Damit das gelingt, darf das heiße Gas so wenig wie möglich Energie nach außen abgeben – oder, wie Forschende sagen: Das Plasma soll eine hohe Energieeinschlusszeit erreichen.
Starke Turbulenz wirkt sich negativ auf Plasmaeigenschaften aus
Damit das gelingt, müssen die Physikerinnen und Physiker die extrem komplexen turbulenten Prozesse in Plasmen zunächst verstehen und dann idealerweise regulieren können. In Grenzen ist Turbulenz ein erwünschtes Phänomen, weil es die Abfallprodukte der Fusionsreaktionen – Helium-Kerne – abtransportiert und frischen Brennstoff ins Zentrum befördert. Starke Turbulenz lässt allerdings die Energieeinschlusszeit absacken, weil Wärmeenergie nicht lang genug im Plasmazentrum verbleibt. „Man kann das mit einem Tropfen Milch in einer Tasse Kaffee vergleichen: Rührt man mit dem Löffel um, entstehen turbulente Wirbel und die Flüssigkeiten vermischen sich deutlich schneller als ohne Rühren“, erklärt Physikerin Dr. Klara Höfler, die das Phänomen am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching bei München untersucht hat. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom IPP sowie von fünf weiteren Forschungseinrichtungen in Europa und den USA hat sie das Verständnis von Turbulenz in Fusionsplasmen einen großen Schritt vorangebracht: Erstmals konnte das Team eine umfassende Übereinstimmung von Ergebnissen erreichen, die einerseits im Experiment und andererseits durch Computersimulationen gewonnen wurde. Die Forschenden verglichen dazu gleich sieben wesentliche Messgrößen für Plasmaturbulenz gleichzeitig, deutlich mehr als bei früheren wissenschaftlichen Arbeiten.
Für die neue Arbeit, die jetzt im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht wurde, nutzte Klara Höfler die weltweit einzigartige Diagnostikausrüstung der IPP-Fusionsanlage ASDEX Upgrade. Damit konnte sie Eigenschaften des viele Millionen Grad heißen Plasmas während zweier Entladungen mit unterschiedlichen Einstellungen genau vermessen.
Mikrowellen liefern ein detailliertes Bild des Plasmas
Wer die Temperatur eines Badesees bestimmen will, hält ein Thermometer ins Wasser. Die Plasmatemperatur wird meist aus Mikrowellen gewonnen, die vom Plasma emittiert werden. Aus diesen lassen sich auch die Fluktuationen der Elektronentemperatur ableiten. Strahlt man zusätzlich Mikrowellen von außen ins Plasma ein, lassen sich aus dem zurückgestreuten Anteil der Welle Informationen über die Fluktuationen der Elektronendichte im Plasma, also der Anzahl der Elektronen pro Volumeneinheit, ableiten. So konnte das Team um Klara Höfler Fluktuationen sowohl in der Plasmatemperatur als auch in der Plasmadichte charakterisieren.
Eine zentrale Rolle spielten deshalb zwei Diagnostikmethoden:
• Doppler-Reflektometer, zur Messung von Fluktuationen in der Plasmadichte. Mit drei zur Ausstattung von ASDEX Upgrade gehörenden Reflektometern wurde die Wirbelgröße an verschiedenen Orten bestimmt.
• Ein Correlation-Electron-Cyclotron-Emission-Radiometer (CECE) vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA zur höchst genauen Bestimmung von Fluktuationen der Elektronentemperatur.
Die vergleichenden Plasma-Simulationen im fünfdimensionalen Phasenraum rechnete das Wissenschaftler-Team mit dem am IPP entwickelten Code GENE, der weltweit führend ist bei der numerischen Nachbildung turbulenter Prozesse im Plasmainneren. Die dort ablaufenden Phänomene sind so komplex, dass die für diese Studie verwendeten Supercomputer insgesamt zwei Monate Rechenzeit benötigten, um die betrachtete Turbulenz über einen Zeitraum von wenigen Millisekunden zu modellieren. Wichtig war hier eine enge Zusammenarbeit zwischen experimentellen und theoretischen Physikern. Denn es genügt nicht, dass GENE-Rechnungen die Turbulenz korrekt nachbilden. Sie müssen auch den aufwendigen Messprozess simulieren, was den Forschenden nach jahrelanger Arbeit gelungen ist. Nur dadurch lässt sich überhaupt eine Vergleichbarkeit zwischen Experiment und numerischer Rechnung herstellen.
GENE reproduziert auch unerwartete Messergebnisse
„Als ich die Ergebnisse der Simulation bekam, war ich tatsächlich überrascht, wie gut sie mit allen experimentellen Daten übereinstimmen“, erinnert sich Klara Höfler. Selbst Phänomene, die intuitiv nicht erwartet wurden, sagt GENE korrekt voraus. Ein Beispiel: Das Wissenschaftlerteam hatte für die beiden betrachteten Plasmaentladungen an ASDEX Upgrade unterschiedliche Temperaturprofile eingestellt. Bei Entladung 1 wurden steilere Temperaturgradienten) vorgegeben als bei Entladung 2. Wie erwartet, entstanden bei Entladung 1 dann auch größere Temperaturfluktuationen als bei Entladung 2. Völlig überraschend verhielt es sich bei den Dichtefluktuationen aber genau umgekehrt. Dieses zunächst nicht erklärbare Verhalten zeigte sich dann auch in den numerischen Ergebnissen von GENE.
„Wir haben bewiesen, dass GENE das reale Verhalten der beiden Fusionsplasmen sehr zuverlässig voraussagt“, resümiert Klara Höfler. Für die Fusionsforschung bedeutet das: Mit Simulationen wird es möglich sein, Plasmaszenarien so zu optimieren, dass eine möglichst hohe Energieeinschlusszeit erzielt wird. Der Entwurf eines digitalen Zwillings einer Fusionsanlage ist dadurch greifbarer geworden, und die Leistungsfähigkeit von Reaktorplasmen lässt sich besser vorhersagen.
Nature Communications 16, 2558 (2025)
https://doi.org/10.1038/s41467-025-56997-2
Dieses Kernteam vom IPP verglich Plasma-Messwerte aus zwei Entladungen an ASDEX Upgrade mit den Erge ...
Frank Fleschner
MPI für Plasmaphysik
Dr. Pedro Molina (EPFL in Lausanne, l.) kümmerte sich um die Integration des Correlation Electron Cy ...
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Energie, Physik / Astronomie
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