Würden Sie jemandem helfen, der um Hilfe ruft, wenn diese Person unversehrt direkt vor Ihnen steht? Wahrscheinlich nicht – und Fledermäuse haben ähnliche Vorbehalte, wie eine neue Studie in Current Biology zeigt. Forschende vom Museum für Naturkunde Berlin und der Universität Neapel Federico II zeigen, dass Fledermäuse visuelle oder geruchliche Eindrücke mit akustischen Signalen abgleichen, um die Realität einer Situation einzuschätzen.
EMBARGO BIS 24. MÄRZ um 11 Uhr EST (= 16 Uhr deutsche Zeit)
Wenn Fledermäuse von Fressfeinden gefangen werden, stoßen sie sogenannte Notrufe (distress calls) aus, die den Angreifer erschrecken oder Artgenossen alarmieren können. Häufig nähern sich Fledermäuse rufenden Artgenossen in Not, vermutlich um die Gefahr abzuschätzen oder um den Fressfeind zu vertreiben. Die Wissenschaftler*innen nutzten dieses Szenario, um zu testen, ob Fledermäuse Gruppenmitglieder anhand stimmlicher Merkmale individuell erkennen können.
Das Forschungsteam, bestehend aus Mirjam Knörnschild, Martina Nagy und Danilo Russo, analysierte zunächst die akustischen Eigenschaften der distress calls wildlebender Fledermäuse der Art Saccopteryx bilineata in Panama. Sie fanden heraus, dass distress calls individuelle stimmliche Merkmale aufweisen, die es ermöglichen, einzelne Fledermäuse anhand ihrer Stimme statistisch zu unterscheiden.
Um zu überprüfen, ob diese stimmlichen Fingerabdrücke für die Fledermäuse von Bedeutung sind, spielten die Forschenden den Tieren distress calls von Gruppenmitgliedern vor. Diese Playbacks, die in unmittelbarer Nähe ihres Tagesquartiers abgespielt worden, simulierten die unmittelbare Not eines Gruppenmitglieds. Dabei setzten die Forschenden eine Methode ein, bei der die vermittelten Informationen über Gruppenmitglieder entweder übereinstimmten oder widersprüchlich waren. So konnten sie testen, wie Fledermäuse auf widersprüchliche sensorische Signale reagieren.
Im plausiblen Szenario hörten die Fledermäuse distress calls eines Gruppenmitglieds, das das Tagesquartier gerade verlassen hatte. Im unmöglichen Szenario ertönten distress calls eines Gruppenmitglieds, das sich nachweislich noch im Quartier befand, während ein anderes Gruppenmitglied das Quartier verlassen hatte. Erstaunlicherweise reagierten die Fledermäuse nur auf das plausible Szenario – im unmöglichen Szenario, bei dem die distress calls räumlich nicht zum Aufenthaltsort des Rufenden passte, ignorierten die Fledermäuse die Playbacks vollständig. Dies zeigt, dass Fledermäuse sensorische Eindrücke abgleichen und Widersprüche erkennen können – ein Hinweis auf fortgeschrittene kognitive Fähigkeiten.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese Fledermäuse über eine hohe kognitive Leistungsfähigkeit verfügen“, erklärt Mirjam Knörnschild. „Indem sie Informationen aus verschiedenen Sinneskanälen integrieren, können sie soziale Signale interpretieren und angemessen reagieren – eine entscheidende Fähigkeit für ihre sozialen Interaktionen.“
Die Studie liefert neue Erkenntnisse darüber, wie stimmliche Individualität komplexe soziale Strukturen bei Fledermäusen unterstützt. „Große Sackflügelfledermäuse leben in stabilen sozialen Gruppen, in denen die individuelle Erkennung vermutlich essenziell für soziale Interaktionen ist. Wir haben beobachtet, dass dominante Männchen als Erste auf distress calls reagieren – was ihre wichtige Rolle in der Kolonieverteidigung unterstreicht“, erläutert Martina Nagy. Zudem stellte das Team fest, dass größere Gruppen stärker auf distress calls reagierten, was darauf hindeutet, dass größere Gruppen eine höhere kollektive Reaktionsbereitschaft zeigen.
Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung multisensorischer Integration bei sozialen Tieren und vertiefen unser Verständnis von Tierkommunikation und Kognition. „Die Fähigkeit, sensorische Informationen zur individuellen Erkennung zu kombinieren, ist ein Kennzeichen fortgeschrittener Kognition, wie man sie bei Primaten oder Elefanten findet“, erklärt Danilo Russo. „Unsere Studie trägt zur wachsenden Forschung über Tierkommunikation bei und hebt die kognitiven Fähigkeiten von Säugetieren mit komplexem Sozialverhalten hervor.“
Die Forschungsarbeiten wurden mit wildlebenden Großen Sackflügelfledermäusen auf Barro Colorado Island, einer Forschungsstation des Smithsonian Tropical Research Institute in Panama, durchgeführt. Das Projekt wurde durch Fördermittel der Baden-Württemberg Stiftung sowie des Europäischen Forschungsrats (ERC) im Rahmen des Horizon 2020-Programms der Europäischen Union (2014–2020) / ERC GA 804352 unterstützt.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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