Naturkatastrophen, Krieg oder Stau: Ereignisse, die Lieferketten beeinträchtigen, lassen sich nicht vermeiden. Ein Forschungsteam am Fraunhofer IPA hat an Lösungen geforscht, wie Unternehmen frühzeitig auf Störungen reagieren und die Folgen abmildern können. Künstliche Intelligenz spielt dabei die entscheidende Rolle.
Es braucht keine Katastrophen, um Lieferketten zu stören oder ganz zu unterbrechen. Am Morgen des 23. März 2021 genügte schon eine Kombination aus starkem Wind und menschlichem Versagen, damit das Containerschiff »Ever Given« den Suezkanal blockierte. Die international bedeutende Schifffahrtsstraße war nach diesem Vorfall sechs Tage lang blockiert. In beiden Fahrtrichtungen bildeten sich Rückstaus aus Hunderten Schiffen. Zahlreiche weitere Schiffe steuerten den Suezkanal in dieser Zeit gar nicht erst an, sondern wählten gleich den viel weiteren Weg um Afrika herum. Dringend erwartete Lieferungen verzögerten sich um Wochen.
Blockierte Verkehrswege, Naturkatastrophen, (Handels-)Kriege, Sabotageakte, Terroranschläge und andere Ereignisse mit weitreichenden Auswirkungen auf Lieferketten wird es wohl leider immer geben. Doch es gibt Wege, die Resilienz von Unternehmen zu erhöhen. Hierzu gehört es, nicht erst auf eine Krise zu reagieren, wenn deren Folgen bereits spürbar sind. Besser wäre es, geeignete Gegenmaßnahmen schon zu ergreifen, bevor ein dringend benötigter Rohstoff verspätet oder gar nicht geliefert wird. Künstliche Intelligenz (KI) kann dabei eine zentrale Rolle spielen, wie ein Forschungsteam vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA zusammen mit zahlreichen Partnern aus Wissenschaft und Industrie gezeigt hat.
Künstliche Intelligenz prüft Handelsrouten auf Störungen
Im Forschungsprojekt »PAIRS« haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom Fraunhofer IPA Kenntnisse aus den Bereichen Produktionsmanagement und Supply Chain Management mit KI-Ansätzen vereinigt, um eine wissensbasierte Analyse möglicher Probleme auf relevanten Lieferwegen zu ermöglichen. So ist eine Funktionalität entstanden, die anhand von frei verfügbaren Satellitenbildern Unregelmäßigkeiten auf Schifffahrtswegen ermitteln kann. Eine zusätzliche Funktionalität ist in der Lage, öffentlich zugängliche Nachrichten zu Transporthindernissen zu interpretieren.
Auf diese Weise bringen die KI-Modelle nicht nur in Erfahrung, welche Seewege gerade blockiert sind, auf welchen Straßen der Verkehr stockt oder wo sich Unwetter, Erdbeben, Vulkanausbrüche und andere Naturkatastrophen ereignet haben. Sie sind auch in der Lage, die Auswirkungen dieser Vorkommnisse abzuschätzen und sie als »weniger schwer«, »mittelschwer« oder »schwer« einzustufen. Wer eine Lieferung erwartet, kann mithilfe der KI also die Route auf Störungen prüfen und gegebenenfalls einen alternativen Fahrtweg festlegen.
Materialverfügbarkeit steht im Vordergrund
Doch nicht nur anpassungsfähige Transportrouten verhindern Produktionsausfälle. Das Forschungsteam hat sich auch mit der zentralen Frage der Materialverfügbarkeit beschäftigt. So ist auch eine Funktionalität entstanden, die ähnlich wie bei den Transportrouten öffentlich zugängliche Nachrichten interpretiert, die sich auf die Verfügbarkeit von für ein Unternehmen wichtigen Rohstoffen auswirken könnten. Die Bewertung der Kritikalität der Ressource und die Schwere der Auswirkung bei einer Ressourcenknappheit, erfolgt über mehrere hinterlegte Berechnungsmethoden.
Dieses Problem wurde nicht nur aus industrieller Sicht betrachtet. Gemeinsam mit dem Technischen Hilfswerk haben die Forscherinnen und Forscher vom Fraunhofer IPA auch Konzepte zur Verbesserung der Materialversorgung bei Hilfsorganisationen erforscht. Im Projekt entwickelte Ansätze beschäftigen sich mit einer smarten Materialbedarfsplanung sowie mit einer standardisierten Erfassung von Warenein- und -ausgängen im Bereich Katastrophenschutz.
Ein weiterer im Projekt konzipierter Ansatz umfasst die szenariobasierte Analyse der Auswirkungen verschiedener Störungen auf Produktionssysteme. Dabei werden zusätzlich zu fehlenden Materialien weitere Probleme betrachtet, etwa Störungen in der Produktion.
KI könnte künftig auch Gegenmaßnahmen vorschlagen
»Die Suche nach geeigneten Gegenmaßnahmen bei Störungen aller Art übernimmt momentan noch ein Mensch«, sagt Theresa-Franziska Hinrichsen vom Fraunhofer IPA. Doch dabei muss es nicht bleiben. »In Zukunft könnte die KI auf Basis der vorliegenden Informationen auch von sich aus Vorschläge unterbreiten, wie sich die Auswirkungen von Krisen abmildern oder sogar abwenden lassen. Welche Maßnahme dann ergriffen wird, entscheidet aber weiterhin ein Mensch.«
Projekt-Steckbrief
Name: Privacy-Aware, intelligent and Resilient Crisis Management« (PAIRS)
Laufzeit: 01.06.2021 – 30.11.2024
Fördersumme: 10 Millionen Euro
Fördermittelgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Partner: Advaneo GmbH, Bisping Medizintechnik GmbH, Deutsches Forschungszentrum
für Künstliche Intelligenz (DFKI), FIR e.V., Fraunhofer IPA, IBM, OFFIS e.V.,
Sick AG, Technisches Hilfswerk (THW), Tiplu GmbH, Universität des Saarlandes
Assoziierte Partner: ARENA2036, BFM e.V., Funk Gruppe GmbH, Gevag GmbH,
International Data Spaces e.V., Katholisches Klinikum Koblenz, MSG Systems AG,
openKonsequenz e.G., PWC, Stonegarden Technologies GmbH, Supply Chain
Innovations GmbH, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Zenit GmbH
Theresa-Franziska Hinrichsen | Telefon +49 711 970-1472 | theresa-franziska.hinrichsen@ipa.fraunhofer.de | Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA | www.ipa.fraunhofer.de
Dr.-Ing. Eduardo Colangelo | Telefon +49 711 970-1912 | eduardo.colangelo@ipa.fraunhofer.de | Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA | www.ipa.fraunhofer.de
Satellitenbild: Im März 2021 blockierte das Containerschiff »Ever Given« den Suezkanal.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter
Informationstechnik, Verkehr / Transport, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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