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24.03.2025 10:19

Kund*innen verschmähen Honorarberatung in der Rentenversicherung

Benedikt Reichel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fachhochschule Dortmund

    Die Europäische Union plant, mit der „Retail Investment Strategy“ Kleinanleger*innen zu renditeträchtigeren Anlagen zu motivieren. Die unabhängige Beratung soll durch Provisionsverbote gefördert werden. Ein aktuelles Experiment der Fachhochschule Dortmund zeigt, dass deutsche Verbraucher*innen Angebote bevorzugen, in denen alle Kosten enthalten sind.

    Die „Kleinanlegerstrategie“ ist ein geplanter europäischer Rechtsakt, mit dem bestehende Richtlinien angepasst werden. Eine davon ist die für den Vertrieb von Lebens- und Rentenversicherungen wichtige Versicherungsvertriebsrichtlinie („IDD“). In dieser Woche begann der Trilog zwischen den europäischen Institutionen Kommission, Parlament und Rat, sodass eine Verabschiedung noch im ersten Halbjahr 2025 zu erwarten ist.

    Europa will nachteilige Interessenkonflikte in der Beratung zu und Vermittlung von kapitalbildenden Lebens- und Rentenversicherungen vermeiden. Versicherungsvermittler*innen, die sich als unabhängig bezeichnen, sollen weder Provisionen noch andere Vergütungen von Versicherungsunternehmen annehmen dürfen. Sie müssen sich von den Kund*innen bezahlen lassen, was in Deutschland unter dem Begriff Honorarberatung bekannt ist.

    Versicherungsmakler*innen gelten vom rechtlichen Status her als unabhängig, bekommen aber meist Provisionen für ihre Tätigkeit. Künftig sollen sie ihre Kund*innen darüber aufklären, dass sie „ungebunden“ sind und Provisionen erhalten. Die EU-Mitgliedsländer dürfen zudem national strengere Vorgaben erlassen.

    „Die geplanten Änderungen treffen das Selbstverständnis der Versicherungsmakler*innen, die sich trotz Provisionszahlungen als unabhängig vom einzelnen Versicherer und dessen Angeboten sehen“, so Prof. Dr. Matthias Beenken, der an der Fachhochschule Dortmund Versicherungswirtschaft lehrt. „Außerdem findet die Honorarberatung in Deutschland bisher keine nennenswerte Akzeptanz“, ergänzt Prof. Dr. Lukas Linnenbrink, Stiftungsprofessor für Versicherungs- und Risikomanagement an der Fachhochschule Dortmund.

    Im Versicherungsvermittlerregister finden sich aktuell nur knapp über 300 Versicherungsberater*innen, die ausschließlich gegen Honorar beraten und vermitteln dürfen. Im Vergleich dazu gibt es gut 181.000 Versicherungsvermittler*innen, darunter circa 134.000 Versicherungsvertreter*innen, die nur gegen Provision tätig werden können. Die rund 47.000 Versicherungsmakler*innen können wählen, ob sie statt gegen Provision für Honorar tätig werden.

    Erleichtert Honorar die Entscheidung für eine Rente?

    Ziel einer aktuellen Studie der Fachhochschule Dortmund ist zu untersuchen, ob eine Auslagerung von Beratungs- und Vermittlungskosten in eine Honorarvereinbarung die Entscheidung zum Abschluss einer Rentenversicherung erleichtert. Dazu wurde ein Online-Experiment mit gut 2.000 bevölkerungsrepräsentativ ausgewählten Bundesbürger*innen im Alter zwischen 25 und 55 Jahren durchgeführt, die sich grundsätzlich vorstellen können, eine Rentenversicherung zur Verbesserung ihrer Altersvorsorge abzuschließen.

    Die Teilnehmenden wurden von einem mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierten Avatar beraten und erhielten das Angebot, wahlweise eine Rentenversicherung mit eingerechneten Provisionen („Bruttotarif“) oder eine günstigere Variante ohne solche Kosten („Nettotarif“) zuzüglich eines Honorars abzuschließen. Die Prämienersparnis über 20 Jahre wurde als Summe genannt. Die Teilnehmenden wurden in mehrere Gruppen unterteilt, denen unterschiedlich hohe Honorare angeboten wurden. Ein Honorarangebot war deutlich günstiger als die Ersparnis, die man mit dem Nettotarif gegenüber dem Bruttotarif erzielen würde. Ein weiteres Honorarangebot war gleichwertig, ein drittes höher.

    Zudem wurden zwei Experimente durchgeführt. Im ersten Experiment wurden die beiden Varianten „Bruttotarif“ und „Nettotarif“ plus Honorar ohne weitere Begründungen vorgestellt. Im zweiten Experiment erläuterte der Avatar zusätzlich den Zeitaufwand der Beratung und Vermittlung.

    Eine Kontrollgruppe erhielt nur das Angebot eines „Bruttotarifs“, um die generelle Abschlussbereitschaft für eine Rentenversicherung festzustellen. Die damit insgesamt sieben verschiedenen Gruppen umfassten jeweils knapp 300 Teilnehmende, wobei auch auf eine zur Gesamtstichprobe passende Verteilung geachtet wurde.

    Positive Wirkung von Alternativen auf die Kaufentscheidung

    Ein erstes Ergebnis war, dass allein die Möglichkeit der Wahl zwischen zwei Varianten – Brutto- und Nettotarif – die Abschlussbereitschaft deutlich steigert. Während in der Kontrollgruppe 69 Prozent das Angebot eines Bruttotarifs ablehnten, waren es in den Experimentalgruppen mit Alternativangebot nur noch 28 Prozent.

    Das bestätigt Ergebnisse anderer Forschungen, wonach Verbraucher*innen Alternativen bei einer Abschlussentscheidung bevorzugen. „Für den Versicherungsvertrieb kann es eine Chance sein, Alternativangebote zu machen“, resümiert Prof. Linnenbrink.

    Allerdings zeigte sich weiter, dass viele Verbraucher*innen keine rationale Entscheidung treffen. 54 Prozent der Teilnehmenden, die das niedrigste Honorar angeboten bekamen, entschieden sich trotzdem für den teureren Bruttotarif. Umgekehrt entschieden sich immer noch 21 Prozent derjenigen, die das zu teure, höchste Honorar angeboten bekamen, gegen den günstigeren Bruttotarif.

    Bei Rentenversicherungen realisiert sich der Vorteil eines Nettotarifs oft erst über Jahrzehnte, in denen für die gleiche Leistung weniger Prämie bezahlt werden muss. Das Honorar ist aber sofort bei Abschluss fällig. Anders als bei der Provision gibt es keine gesetzliche Stornohaftung der Vermittler*innen für Honorare. Im Fall einer frühzeitigen Stornierung der Rentenversicherung muss das Honorar nicht zurückbezahlt werden, wohingegen Provisionen erst nach fünf Jahren vollständig verdient sind. Dazu Prof. Beenken: „Mir sind aus Gerichtsgutachten Fälle bekannt, in denen Verbraucher*innen im Fall der Frühstornierung Schulden aus separaten Vergütungsvereinbarungen zurückbehielten. Eine solche Situation kann es beim Bruttotarif mit einkalkulierter Provision nicht geben.“

    Nominalvergleiche helfen nicht und werden wenig sachgerecht eingesetzt

    Die meisten Kund*innen haben in der Nachbefragung angegeben, sie hätten für ihre Entscheidung die Prämienersparnis über in diesem Fall 20 Jahre mit dem sofort fälligen Honorar verglichen. Die Zeitdifferenz zwischen Honorarzahlung und Eintreten der Vorteile erschwert den Vergleich zwischen einem Bruttotarif und einem Nettotarif mit Honorar allerdings. „Problematisch ist, dass viele Kund*innen einfach nominal die in der Beratung genannten Beträge vergleichen“, konstatiert Prof. Linnenbrink. Doch selbst in eindeutigen Situationen entschieden sich viele Kund*innen falsch. Beispielsweise sagten 74 Prozent derjenigen Teilnehmenden, die sich für das schon nominal höhere Honorar als die Prämienersparnis entschieden, für sie sei ein Vergleich maßgeblich gewesen.

    Das zweite Experiment zeigt, dass eine Begründung des Honorars mit dem Aufwand, der damit bezahlt wird, keine höhere Akzeptanz des Honorars hervorruft. „Den meisten Verbraucher*innen fällt es schwer, den Wert einer unabhängigen Beratung zu erkennen“, fasst Prof. Beenken zusammen. „Die in der Verbraucherpolitik gern verwendete Annahme, Entscheidungen würden rational getroffen, hält der Realität nicht stand.“

    71 Prozent der Kund*innen halten es für grundsätzlich attraktiver, wenn in einem Versicherungsangebot alle Kosten einkalkuliert sind. Zudem finden 65 Prozent aller Teilnehmenden die ihnen angebotenen Honorare nicht angemessen.
    Kein Provisionsverbot und gleiche Wettbewerbsbedingungen

    Nach Meinung der Autoren sprechen die Ergebnisse gegen ein Provisionsverbot und gegen einen Zwang zur Honorarberatung. „Als Ökonomen halten wir es für richtig, wenn die Kund*innen selbst entscheiden, welche Vergütungsform sie wählen“, argumentiert Prof. Linnenbrink.

    „Allerdings sollte es dabei gleiche Wettbewerbsbedingungen geben“, fordert Prof. Beenken. „In der Vergangenheit wurden Maßnahmen gegen nachteilige Provisionsgestaltungen ergriffen, aber keine gegen nachteilige Honorargestaltungen. Hier wäre mehr Ausgewogenheit zum Schutz derjenigen Verbraucher*innen nötig, die leicht zu übervorteilen sind.“


    ***Studieninformationen***
    Die Studie „Wert unabhängiger Versicherungsberatung“ der Autoren und Professoren der Fachhochschule Dortmund Matthias Beenken und Lukas Linnenbrink basiert auf einem Onlineexperiment mit einer bevölkerungsrepräsentativ ausgewählten Stichprobe von 2.034 Personen zwischen 25 und 55 Jahren, die sich grundsätzlich den Abschluss einer (ggf. zusätzlichen) Rentenversicherung zur Sicherstellung ihrer Altersvorsorge vorstellen können. Repräsentativität besteht hinsichtlich Alters- und Geschlechterverteilung sowie Einkommensverteilung. Die Teilnehmenden stammen aus einem etablierten Panel. Das Kölner Marktforschungsinstitut HEUTE UND MORGEN GmbH führte das Experiment im Februar 2025 online durch. Die Teilnehmenden wurden von einem mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierten Avatar zu einer Rentenversicherung beraten sowie anschließend zu einer Kaufentscheidung aufgefordert. Das Projekt wurde aus Mitteln der Forschungsförderung der Fachhochschule Dortmund finanziert. Die Studie ist digital unter https://doi.org/10.26205/opus-3914 kostenfrei verfügbar.

    ***Informationen zur Fachhochschule Dortmund***
    „We focus on students“: Die Fachhochschule Dortmund hat den Anspruch, junge Menschen durch die Qualität der Lehre, persönliche Betreuung und eine weltoffene Ausrichtung akademisch auszubilden, sie bei der Entwicklung ihrer Potenziale zu begleiten und ihnen attraktive Karrierewege zu ermöglichen. Die FH Dortmund gehört mit etwa 13.500 Studierenden zu den zehn größten Fachhochschulen in Deutschland. Das Studium ist daran orientiert, anwendungsnah auszubilden. Rund 70 Studiengänge bieten Bachelor- und Master-Abschlüsse in der Informatik, in Ingenieur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie in den Bereichen Architektur und Design. Etablierte internationale Partnerschaften ermöglichen den Studierenden, globale Kompetenzen zu erwerben. Drittmittelstarke Forschung und zahlreiche Transferprojekte schaffen direkte Zugänge zu Unternehmen vor Ort. Die FH Dortmund setzt damit zugleich nachhaltige Impulse für den Wissenschaftsstandort und die Region.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Matthias Beenken
    Fachbereich Wirtschaft / FH Dortmund
    Tel.: (0231) 9112 6438
    E-Mail: matthias.beenken@fh-dortmund.de

    Prof. Dr. Lukas Linnenbrink
    Fachbereich Wirtschaft / FH Dortmund
    Tel.: (0231) 9112 4868
    E-Mail: lukas.linnenbrink@fh-dortmund.de


    Originalpublikation:

    https://doi.org/10.26205/opus-3914


    Bilder

    Prof. Dr. Matthias Beenken
    Prof. Dr. Matthias Beenken
    Florian Freimuth
    FH Dortmund

    Prof. Dr. Lukas Linnenbrink
    Prof. Dr. Lukas Linnenbrink
    Florian Freimuth
    FH Dortmund


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
    Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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