Vor 1,4 Millionen Jahren lebten mindestens zwei verschiedene Homininenarten in West-Europa, zeigt neue Studie. Ein internationales Forschungsteam, darunter Senckenberg-Wissenschaftlerin Dr. Julia Galán García, hat im Jahr 2022 entdeckte fossile menschliche Gesichtsknochen auf ein Alter von bis zu 1,4 Millionen Jahren datiert. Die fossilen Fragmente einer linken Gesichtshälfte aus der spanischen Fundstätte Sima del Elefante stellen damit das älteste bekannte Gesicht in Westeuropa dar.
Die jetzt im renommierten Fachjournal „Nature“ erschienene Studie unter Leitung von Dr. Rosa Huguet vom Catalan Institute of Human Paleoecology and Social Evolution (IPHES) und Dr. Xosé Pedro Rodríguez-Álvarez von der Universität Rovira i Virgili, Tarragona, liefert damit entscheidende Erkenntnisse zu frühen Wanderungen und der Evolution von Homininen in Europa während des frühen Pleistozäns.
Die Sima del Elefante in der spanischen Sierra de Atapuerca, einem Gebirgszug in der Provinz Burgos, ist eine der bedeutendsten archäologischen Fundstellen Europas. Sie gehört zu den ältesten bekannten Stätten menschlicher Besiedlung auf dem europäischen Kontinent und liefert entscheidende Erkenntnisse über die Frühgeschichte des Menschen. In der tiefen, höhlenartigen Erdspalte mit einer bis zu 21 Meter mächtigen Sedimentschicht wurden die ältesten menschlichen Überreste Westeuropas gefunden. Ein 2007 entdeckter Unterkiefer eines Frühmenschen, datiert auf etwa 1,2 Millionen Jahre, galt lange als ältester Beleg für die Anwesenheit früher Menschen in Europa.
Während der Ausgrabungskampagne 2022 entdeckte das Atapuerca-Forschungsteam in der Sima del Elefante mehrere Fragmente der linken Gesichtshälfte eines erwachsenen Individuums. Die Fragmente wurden mit Hilfe traditioneller Konservierungs- und Restaurierungstechniken sowie modernster Bildgebungsverfahren und 3D-Analyse rekonstruiert. Nach zwei Jahren intensiver Forschung hat das Team die Ergebnisse in der jetzt in „Nature“ veröffentlichten Studie vorgestellt. „Das als ATE7-1 katalogisierte Fossil – kurz ‚Pink‘ genannt – wurde auf ein Alter von 1,1 bis 1,4 Millionen Jahren datiert. Damit stellt es das älteste bekannte Gesicht in Westeuropa dar“, berichtet Studienleiterin Dr. Rosa Huguet vom IPHES. „Die detaillierte Analyse hat ergeben, dass ‚Pink‘ nicht zur Frühmenschenart Homo antecessor gehört, die an der benachbarten Fundstätte Gran Dolina identifiziert wurde, sondern zu einem primitiveren Homininen. Homo antecessor weist Merkmale eines moderneren Gesichts auf, ähnlich wie Homo sapiens, mit einer ausgeprägten Nasenstruktur. Im Gegensatz dazu sind die Gesichtszüge von ‚Pink‘ primitiver und erinnern an Homo erectus, insbesondere durch die flache und wenig entwickelte Nasenstruktur. Aktuell reicht die Beweislage noch nicht aus, um eine endgültige taxonomische Klassifikation vorzunehmen, deshalb wurde das Fossil vorläufig Homo affinis erectus zugeordnet. Diese Bezeichnung zeigt die Nähe zu Homo erectus, hält aber offen, ob es sich um eine eigene Art handeln könnte.“
Mit einem Alter von bis zu 1,4 Millionen Jahren ist „Pink“ deutlich älter als die auf etwa 860.000 Jahre datierten Funde von Homo antecessor. Das deutet darauf hin, dass der Hominin zu einer Population gehörte, die Europa während einer früheren Migrationswelle erreichte, lange vor Homo antecessor.
Die Schicht TE7 der Sima del Elefante, in der „Pink“ entdeckt wurde, enthält zahlreiche Hinweise auf die Anwesenheit und Aktivitäten von Homininen im frühen Pleistozän. Unter den Funden befinden sich Steinwerkzeuge und Tierknochen mit Schnittspuren. Dr. Xosé Pedro Rodríguez-Álvarez von der Universität Rovira i Virgili erklärt: „Die gefundenen Quarz- und Feuersteinwerkzeuge sind zwar einfach, deuten aber auf eine effiziente Ernährungsstrategie hin und belegen die Fähigkeit der Homininen, die Ressourcen ihrer Umgebung optimal zu nutzen. Schnittspuren an Tierknochen liefern den eindeutigen Beweis, dass diese Werkzeuge zur Zerlegung von Tierkadavern verwendet wurden.“ Huguet ergänzt: „Diese Praktiken zeigen, dass die ersten Europäer ein tiefgehendes Verständnis der verfügbaren tierischen Ressourcen besaßen und diese systematisch nutzten.“
„Paläoökologische Daten deuten darauf hin, dass die Sierra de Atapuerca während des frühen Pleistozäns eine dynamische Landschaft mit einer Mischung aus bewaldeten Gebieten, feuchten Graslandschaften und saisonalen Wasserquellen war – ein ressourcenreicher Lebensraum für frühe menschliche Populationen“, erläutert Co-Autorin Dr. Julia Galán García, Humboldt-Stipendiatin am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und schließt: „Die neuen Erkenntnisse aus Atapuerca belegen nicht nur, dass Europa bereits vor 1,4 Millionen Jahren besiedelt war, sondern auch, dass verschiedene Frühmenschenarten parallel existierten. Das Fossil ‚Pink‘ erweitert das Wissen über unsere frühesten Vorfahren in Europa und wirft gleichzeitig neue Fragen zur Herkunft und Vielfalt der dort lebenden Homininen auf. Woher kamen sie? Wie verlief ihre Entwicklung? Weitere Forschungen in Atapuerca und an anderen Fundstätten können dazu beitragen, diese Fragen zu beantworten und unser Bild der frühen Besiedlung Europas weiter zu präzisieren.“
Dr. Julia Galán García
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt
Tel. 069 7542 1295
julia.galan@senckenberg.de
Huguet, R., Rodríguez-Álvarez, X.P., Martinón-Torres, M. et al. The earliest human face of Western Europe. Nature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-08681-0
Das rekonstruierte Fossil der linken Gesichtshälfte eines frühen Homininen – hier mit der durch vir ...
Maria D. Guillén / IPHES-CERCA / Elena Sant
Gefunden wurde das kurz „Pink“ genannte und Homo affinis erectus zugeordnete Fossil in der spanische ...
Maria D. Guillén / IPHES-CERCA
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Geowissenschaften, Geschichte / Archäologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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