Neue WSI-Studie
Die Fleischindustrie nach dem Arbeitsschutzkontrollgesetz: Verbot von Werkverträgen hat sich bewährt, doch Löhne weiter meist niedrig
Das mit der Verabschiedung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes Anfang 2021 in Kraft getretene Verbot von Werkverträgen in den Kernbereichen der Fleischindustrie hat sich grundsätzlich bewährt. In der Regel wurden fast alle ehemals bei Subunternehmen angestellten Werkvertragsbeschäftigten von den Fleischunternehmen übernommen.
Zugleich wurden die Arbeits- und Lebensbedingungen der vorwiegend osteuropäischen Arbeitsmigrant*innen deutlich verbessert. Dies konnte nicht zuletzt dadurch erreicht werden, dass undurchsichtige Subunternehmerketten aufgelöst und klare Verantwortlichkeiten für die Beschäftigten bei den Fleischunternehmen hergestellt wurden. Dies sind die Kernergebnisse einer neuen Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.* Für die Studie wurden insgesamt 14 Betriebe aus verschiedenen Bereichen der Fleischindustrie untersucht und insgesamt 85 Expert*innen-Interviews mit Betriebsräten, Management, Gewerkschaften, Beratungsstellen und Kontrollbehörden geführt.
„Das Arbeitsschutzkontrollgesetz hat die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie deutlich verbessert und die schlimmsten Ausbeutungsformen beseitigt“, so die Autor*innen der Studie Dr. Şerife Erol und Prof. Dr. Thorsten Schulten vom WSI. „Trotz äußerst harter Arbeitsanforderungen gehen Löhne und Arbeitsbedingungen vieler Beschäftigter in der Fleischindustrie jedoch kaum über die gesetzlichen Mindeststandards hinaus. Für eine nachhaltige Verbesserung wäre vor allem die Wiederherstellung branchenweiter Tarifvertragsstrukturen notwendig“, lautet das Fazit der Studienautor*innen.
„Ein Verbot von Werkverträgen ist offensichtlich ein wirksamer Schritt, um in vielen Branchen mit hartnäckig prekären Arbeitsbedingungen Verbesserungen anzustoßen. Dieses Ergebnis weist über die Fleischindustrie hinaus“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Doch es ist eben nur ein erster Schritt, nicht die Lösung aller Probleme.“
-Das Verbot von Werkverträgen-
Die deutsche Fleischindustrie verfolgte lange Zeit ein Geschäftsmodell, das auf billige Massenproduktion setzt, die vor allem auf der Ausnutzung osteuropäischer Arbeitsmigrant*innen mit extrem schlechten Arbeitsbedingungen beruhte. Abgesichert wurde dies durch ein undurchsichtiges System von Subunternehmen. Im Ergebnis waren bis zu 50 und mehr Prozent der Beschäftigten in den Schlachthöfen und Fleischfabriken so genannte Werkvertragsarbeitnehmer*innen, die nicht bei den eigentlichen Fleischunternehmen beschäftigt waren.
Mit den massenhaften Corona-Ausbrüchen rückte im Frühjahr 2020 die Fleischindustrie einmal mehr ins öffentliche Interesse. Offensichtliche Missstände machten deutlich, wie nötig eine Neuregulierung der Branche war. „Nachdem zuvor mehrere Versuche einer freiwilligen Einschränkung von Werkverträgen gescheitert waren, war ein weitreichender gesetzlicher Eingriff notwendig, um die Fleischbranche tatsächlich zu einem Abrücken von diesem Beschäftigungsmodell zu bringen“, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin des WSI und Koautorin der Studie Erol.
Im Ergebnis wurden nahezu alle ehemaligen Werkvertragsbeschäftigten von den Fleischunternehmen übernommen. Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Fleischindustrie stieg nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in nur einem Jahr um 18 Prozent, von 128.400 im Jahr 2020 auf 151.500 Beschäftigte im Jahr 2021 (Siehe auch Abbildung 1 in der pdf-Version dieser PM; Link unten).
Allerdings haben viele der neueingestellten Beschäftigten in der Fleischindustrie nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Mit Inkrafttreten des Arbeitsschutzkontrollgesetzes ist der Anteil befristeter Neueinstellungen von 42,7 Prozent im Jahr 2020 auf 56,8 Prozent ein Jahr später angestiegen und verharrt seither auf einem vergleichbar hohen Niveau (s.a. Abbildung 2 in der pdf-Version).
-Verbesserung der Arbeitsbedingungen-
Mit der Übernahme der ehemaligen Werkvertragsbeschäftigten ging auch die Verantwortung für deren Arbeitsbedingungen auf die Fleischunternehmen über. Zuvor wurde immer wieder von Verstößen gegen Arbeitsrechtsbestimmungen wie Mindestlohngesetz oder Arbeitszeitgesetz berichtet, die jedoch aufgrund undurchsichtiger Personalverantwortlichkeiten in der Regel nicht geahndet wurden. Nun ist das Management der Fleischbetriebe für die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsstandards verantwortlich.
Durch größere Belegschaften in den Fleischbetrieben sind auch die Betriebsratsgremien deutlich angewachsen und haben oft mehr freigestellte Betriebsratsmitglieder. Damit verfügen sie über deutlich mehr Ressourcen, um die Arbeitsbedingungen zu überwachen. Mit dem Werkvertragsverbot wurde insgesamt mehr Transparenz in der Branche geschaffen, was die Kontrolle der Rechtsdurchsetzung erheblich erleichtert hat.
Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz wurden zusätzliche eine Reihe bedeutsamer Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Beschäftigten in der Fleischindustrie eingeführt. Hierzu gehören eine verpflichtende elektronische Arbeitszeiterfassung, eine deutliche Erhöhung der Kontrolldichte durch die Behörden sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnverhältnisse von Arbeitsmigrant*innen.
Vor allem die elektronische Arbeitszeiterfassung hat wesentlich dazu beigetragen, dass überlange Arbeitszeiten und ein Umgehen des Mindestlohns durch unbezahlte Mehrarbeit deutlich eingeschränkt wurden, so die Studie.
Die Kontrolldichte in den Fleischfabriken hat deutlich zugenommen. Wurden 2019 insgesamt 340 Kontrollen durch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) in der Fleischindustrie durchgeführt, so waren es im Corona-Jahr 2020 bereits 519 und im Jahr 2021 nach Verabschiedung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes sogar 683 Kontrollen. Hinzu kommen zahlreiche Kontrollen auf Ebene der Bundesländer durch Arbeitsschutzbehörden und Gewerbeaufsichtsämter. Allerdings gingen die Kontrollen nach dem Höchststand im Jahr 2021wieder um 15 Prozent zurück. Wie die Studie zeigt, bleiben wirksame Kontrollen und abschreckende Sanktionen eine entscheidende Voraussetzung für eine nachhaltige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie.
Die Wohnverhältnisse osteuropäischer Arbeitsmigrant*innen haben sich in vielen Fällen deutlich verbessert. Insbesondere große Fleischkonzerne sind zunehmend dazu übergegangen, eigene Wohnungen zur Verfügung zu stellen, deren Standard oft von Betriebsräten kontrolliert wird. Auch die früher üblichen extrem überteuerten Mieten für Werkswohnungen gehören mittlerweile weitgehend der Vergangenheit an.
-Niedriglohnbranche mit geringer Tarifbindung-
Trotz dieser Verbesserungen gehört die Fleischindustrie nach wie vor zu den ausgeprägten Niedriglohnbranchen, zeigen Erol und Schulten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit erhielten im Jahr 2022 etwas weniger als die Hälfte (46, 5 Prozent) aller Vollzeitbeschäftigten in der Fleischindustrie nur einen Niedriglohn, d.h. einen Lohn, der unterhalb von zwei Dritteln des mittleren Lohns in Deutschland liegt (s.a. Abbildung 3 in der pdf-Version). Bei den ausländischen Vollzeitbeschäftigten waren es sogar 55,1 Prozent. Gegenüber den Vorjahren ist der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten zwar deutlich zurückgegangen. Er bleibt jedoch auf einem im Vergleich zu anderen Branchen extrem hohen Niveau.
Der hohe Niedriglohnanteil in der Fleischindustrie liegt nicht zuletzt auch an der sehr niedrigen Tarifbindung in der Branche. Nachdem die ehemals flächendeckend verbreiteten Branchentarifverträge seit den 1990er Jahren sukzessive von der Arbeitgeberseite aufgekündigt wurde, existiert heute nur noch eine sehr fragmentierte Tariflandschaft mit etwa 50 Haustarifverträgen. Der überwiegende Anteil der Fleischunternehmen befindet sich hingegen in einem tariflosen Zustand. In diesen Unternehmen bekommen die an- und ungelernten Arbeitskräfte aus Osteuropa oft nicht viel mehr als den gesetzlichen Mindestlohn.
Nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hat es zeitweilig auch einen tarifvertraglichen Branchenmindestlohn gegeben, der jedoch zumeist unterhalb des gesetzlichen Niveaus lag. Nach Inkrafttreten des Arbeitsschutzkontrollgesetztes ist der tarifvertragliche Branchenmindestlohn wieder erneuert worden. Er wurde jedoch relativ bald von der Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns wieder eingeholt und war damit de facto unwirksam (s.a. Abbildung 4). Ob die aktuell begonnenen Verhandlungen über einen neuen Branchenmindestlohn zu einem Ergebnis führen werden, ist derzeit ungewiss.
Zeitweilig waren die Arbeitgeber der Fleischindustrie bereit, über Eckpunkte für einen neuen branchenweiten Manteltarifvertrag zu verhandeln. Mittlerweile sind die Verhandlungen jedoch ergebnislos abgebrochen wurden. „Nachdem die Fleischindustrie wieder aus dem öffentlichen Fokus herausgerückt ist, haben die Unternehmen offensichtlich auch ihr Interesse an branchenweiten Tarifvertragsstrukturen verloren. Dabei wären flächendeckende Tarifverträge in der Fleischindustrie das zentrale Instrument, um gute Arbeitsbedingungen oberhalb gesetzlicher Mindeststandrads durchzusetzen“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs und Ko-Autor der Studie Schulten.
Dr. Şerife Erol
Wissenschaftliche Referentin am WSI
Tel.: 0211-7778-163
E-Mail: Serife-Erol@boeckler.de
Prof. Dr. Thorsten Schulten
Leiter WSI-Tarifarchiv
Tel.: 0211-7778-239
E-Mail: Thorsten-Schulten@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
* Şerife Erol, Thorsten Schulten: Neue Arbeitswelt in der Fleischindustrie? Eine Bilanz der Veränderungen nach dem Arbeitsschutzkontrollgesetz, WSI Study Nr. 41, März 2025. https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-009091
Die PM mit Abbildungen (pdf): https://www.boeckler.de/data/pm_wsi_2025_03_26.pdf
Veranstaltungshinweis: Die Erfahrungen aus der Fleischindustrie und ihre Bedeutung für andere Branchen ist auch Thema einer Konferenz, die wir am 27. Und 28. März in Berlin veranstalten. Journalist*innen können sich noch kurzfristig anmelden unter: presse@boeckler.de
Zum Programm: https://www.boeckler.de/data/downloads/OEA/Veranstaltungen/2025/v_2025_03_26_27_...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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