Sogenannte Disease-Management-Programme (DMP) helfen auch bei Depression. Allerdings ist unklar, warum bzw. was genau wirkt in diesem Bündel aus Maßnahmen zu Diagnostik, Behandlung, Begleitung und Patientenstärkung. Ein Team des DFG-Graduiertenkollegs „POKAL“ um Prof. Dr. Jochen Gensichen am LMU Klinikum München hat nun in einer Analyse der vorliegenden seriösen Studien herausgefunden, dass vor allem zwei Komponenten der komplexen Programme wichtig sind. „Unsere Erkenntnisse könnten bei der Gestaltung eines DMP für Depression in Deutschland helfen“, sagt Erstautorin Hannah Schillok. Ihre Studie ist jetzt im renommierten Fachblatt „JAMA Psychiatry“ erschienen.
Allein in Deutschland leiden neuneinhalb Millionen Menschen an einer Depression, die Hälfte davon über eine lange Zeit. Die Erkrankten erleben oft eine Behandlung mit großen Lücken. Viele Angebote, vom Hausarzt bis zum Psychotherapeuten, werden nicht abgestimmt oder teilweise gar nicht angeboten. Die gerade in der Psychiatrie und in der Allgemeinmedizin gleichermaßen diskutierte Frage ist: Wie können die Patienten in ihrer Krankheit sicher und erfolgreich begleitet werden, so dass möglicherweise besser Linderung erreicht wird?
Eine Möglichkeit sind Disease-Management-Programme, in denen der Hausarzt eine führende Rolle spielt. DMP sind Behandlungsprogramme für chronische Erkrankungen. Diagnose und Behandlung erfolgen in einem Guss, alle Fachkräfte ziehen mit dem Patienten an einem Strang, alle wichtigen Schritte und Aufgaben erfolgen in einem gut abgestimmten Paket. DMPs existieren in Deutschland bereits bei körperlichen Erkrankungen wie für Typ2-Diabetes oder Asthma. Für die Depression hat sich ein derart strukturiertes Behandlungsprogramm in Deutschland noch nicht etabliert, obwohl es sich international „in Studien bewährt hat“, sagt die Wissenschaftlerin Schillok, „die Daten zeigen, dass sich die Symptome deutlich verbessern lassen.“
Allerdings bestehen derlei Programme aus vielen unterschiedlichen Komponenten und sind von vielen Akteuren gestaltet, die um den Hausarzt herum mitwirken: medizinische Fachangestellte, supervidierende Psychotherapeuten respektive Psychiater und auch Laien wie Familie und Freunde eines Patienten. Um ein Disease-Management-Programm Depression attraktiver zu machen, stellt sich also die Frage: Welche der vielen Komponenten, die international solche Maßnahmen ausmachen, sind besonders effektiv?
Diese Frage haben die Münchner Forschenden mit ihren Kollegen in einer sogenannten Meta-Analyse mit individuellen Patientendaten beleuchtet. Das Team nahm 35 Studien und mehr als 20.000 PatientInnen unter die Lupe, in denen die Wirkung von kooperativer Betreuung - mit unterschiedlichsten Komponenten - und gewöhnlicher Betreuung bei erwachsenen Patienten mit Depressionen in der Primärversorgung verglichen wurde. Dabei haben sie genau geschaut, wie das DMP gestaltet war: Wie viele Akteure teilnehmen? Welche Aufgaben die Akteure übernehmen? Ob die Familie mit einbezogen wird? Ob für Patientenkontakt auch Technologie genutzt wird? Welche psychotherapeutischen Interventionen in der Praxis angewendet wurden? Und so weiter.
Der neuen Studie zufolge stechen zwei Komponenten hervor. Erstens und für die Experten überraschend: die Einbindung von Freunden und Familie. Das bedeutet: Aufklärung der Menschen, die dem depressiven Patienten nahestehen. Ziel: Sie sollen besser mit ihm umgehen können, ihn außerhalb der Arztpraxis unterstützen und motivieren, weiter am DMP teilzunehmen. „Und das“, erklärt Schillok, „funktioniert oft sehr gut.“
Zweitens: psychologische Kurzinterventionen durch den Hausarzt selbst. Sie dauern in der Regel 20 bis 40 Minuten pro Sitzung. Zuvor wird der Hausarzt von einem Therapeuten angeleitet und bekommt verschiedene Toolkits und Manuals an die Hand und weiß, so Schillok, „bei jeder Sitzung ganz genau, welche Übungen und welche Schritte es in der jeweiligen Sitzung zu machen gilt.“
Gegenwärtig laufen in Deutschland Bestrebungen, ein neues DMP für Depression auf den Weg zu bringen. „Die Erkenntnisse unserer Studie“, sagt Hannah Schillok, „könnten bei der konkreten Gestaltung des Programms helfen.“
Das Projekt fand im Rahmen des DFG finanzierten Graduiertenkollegs „POKAL“ (DFG-GRK 2621) statt.
Hanna Schillok
Institut für Allgemeinmedizin
LMU Klinikum München
Campus Innenstadt
Tel: +49 89 4400-53526
E-Mail: Hannah.Schillok@med.uni-muenchen.de
Schillok H, Gensichen J, Panagioti M, et al. Effective Components of Collaborative Care for Depression in Primary Care: An Individual Participant Data Meta-Analysis. JAMA Psychiatry. Published online March 26, 2025.
doi: 10.1001/jamapsychiatry.2025.0183; https://jamanetwork.com/journals/jamapsychiatry/article-abstract/2831899
https://www.lmu-klinikum.de/aktuelles/pressemitteilungen/die-effektivsten-kompon...
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