idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
28.03.2025 10:39

KI im Mini-Labor oder die Präzision auf dem Prüfstand

Franziska Schmid Hochschulkommunikation
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

    Neue Miniatur-Labors stellen sicher, dass künstliche Intelligenz (KI) keine Fehler macht. Sie bieten eine kontrollierte Testumgebung, in der sich Algorithmen und KI-Modelle überprüfen lassen, bevor sie unter realen Bedingungen arbeiten. Das Ziel davon ist, dass KI zuverlässig funktioniert.

    Wer eine KI-Lösung entwickelt, begibt sich zuweilen auf eine Reise ins Ungewisse. Zumindest am Anfang wissen Forschende und Designer:innen nicht immer, ob ihre Algorithmen und KI-Modelle wie erwartet funktionieren oder ob die KI am Ende gar Fehler macht. Mitunter schneiden KI-Anwendungen, die in der Theorie gut arbeiten, unter realen Bedingungen schlecht ab. Um das Vertrauen der Nutzenden zu gewinnen, sollte eine KI jedoch zuverlässig und korrekt arbeiten (vgl. ETH Magazin Globe, 18.03.2025). Das gilt für populäre Chatbots genauso wie für KI-Tools in der Forschung.

    Bevor ein neues KI-Tool in der realen Welt zum Einsatz kommt, muss es gründlich getestet werden. Tests in der realen Welt können jedoch ein teures oder sogar riskantes Unterfangen sein. Daher testen Forschende ihre Algorithmen oft in Computersimulationen der Realität. Da Simulationen jedoch Annäherungen an die Realität darstellen, kann diese Art, KI-Lösungen zu testen, dazu führen, die Leistung einer KI zu überschätzen.

    Der ETH-Mathematiker Juan Gamella hat nun einen neuen Ansatz in der Zeitschrift «Nature Machine Intelligence» vorgestellt, mit dem Forschende prüfen können, wie zuverlässig und einwandfrei ihre Algorithmen und KI-Modelle funktionieren. Ein KI-Modell beruht auf bestimmten Annahmen und wird darauf trainiert, aus Daten zu lernen und gegebene Aufgaben intelligent zu erledigen. Ein Algorithmus umfasst die mathematischen Regeln, die das KI-Modell befolgt, um eine Aufgabe zu bearbeiten.

    KI prüfen statt überschätzen

    Juan Gamella hat spezielle Miniatur-Labors («Mini-Labors») gebaut, die sich als Prüfstand für neue KI-Algorithmen eignen. «Die Mini-Labors stellen eine flexible Testumgebung bereit, die echte Messdaten liefert. Sie sind ein bisschen wie ein Experimentierfeld für Algorithmen, in dem Forschende ihre KI über simulierte Daten hinaus in einer kontrollierten und sicheren Umgebung testen können», sagt Gamella. Die Mini-Labors basieren auf wohlbekannter Physik, sodass die Forschenden dieses Wissen nutzen können, um zu überprüfen, ob ihre Algorithmen für eine Vielzahl von Problemen zur richtigen Lösung gelangen. Versagt eine KI im Test, können die Forschenden die zugrunde liegenden mathematischen Annahmen und Algorithmen gezielt und früh in der Entwicklung verbessern.

    Gamellas erste Mini-Labors beruhen auf zwei physikalischen Systemen, die essenzielle Eigenschaften aufweisen, sodass viele KI-Tools unter realen Bedingungen mit ihnen zurechtkommen müssen: Wie sich die Mini-Labors genau einsetzen lassen, hängt von der jeweils zu prüfenden Fragestellung ab, und davon, was der Algorithmus leisten soll. Das eine Mini-Labor von ihm enthält zum Beispiel ein dynamisches System wie Wind, das sich ständig verändert und auf äußere Einflüsse reagiert. Es lässt sich verwenden, um KI-Tools für Steuerungsprobleme zu testen. Sein zweites Mini-Labor befolgt gut bekannte physikalische Gesetze für Licht. Es lässt sich dazu verwenden, um eine KI zu testen, die solche Gesetze automatisch aus Daten lernen soll, um damit Wissenschaftler:innen bei neuen Entdeckungen zu unterstützen.

    Die Mini-Labors sind konkrete Geräte, die etwa so gross sind wie ein Desktop-Computer, und die sich per PC-Fernbedienung steuern lassen. Sie erinnern an die historischen Demonstrationsexperimente, mit denen Forschende ab dem 16. Jahrhundert ihre Theorien und Erkenntnisse in wissenschaftlichen Gesellschaften präsentierten, diskutierten und verbesserten. Juan Gamella vergleicht die Rolle der Miniatur-Labors in der Entwicklung von KI-Algorithmen mit der eines Windkanals im Flugzeugbau: Wird ein neues Flugzeug entwickelt, wird der grösste Teil des Entwurfs zunächst mit Computersimulationen durchgeführt, weil das kostengünstiger und effizienter ist. Haben sich die Ingenieur:innen auf ihre Designs geeinigt, bauen sie Miniaturmodelle und checken sie im Windkanal. Erst dann bauen sie ein Flugzeug in Originalgrösse und testen es in echten Flügen.

    Wichtiger Schritt zwischen Simulation und Realität

    «Wie der Windkanal bei Flugzeugen dienen die Mini-Labors der Sicherheitsprüfung, um zu gewährleisten, dass alles in einem frühen Stadium funktioniert, wenn wir von der Simulation zur Realität übergehen», sagt Gamella. Er betrachtet das Testen von KI-Algorithmen in einer kontrollierten Umgebung als einen entscheidenden Zwischenschritt, um sicherzustellen, dass eine KI in komplexen, realen Szenarien funktioniert. Die Mini-Labors bieten dies für bestimmte Arten von KI, besonders für diejenigen, die direkt mit der physischen Welt interagieren sollen.

    Die Mini-Labors helfen den Forschenden, das Problem des Übergangs von der Simulation zur Realität zu untersuchen: sie bieten ihnen ein Testumfeld, in dem die Forschenden so viele Experimente durchführen können, wie sie benötigen. Dieses Übergangsproblem ist auch für den Überlappungsbereich von Robotik und KI relevant, wo KI-Algorithmen oft so trainiert werden, zuerst Aufgaben in einer simulierten Umgebung zu lösen und erst danach in der realen Welt. Dies erhöht ihre Zuverlässigkeit.

    Juan Gamella selbst begann als Mathematik-Bachelor, bevor er sich dem Masters-Studium in Robotik an der ETH zuwandte. Also Doktorand kehrte er zur Mathematik und KI-Forschung zurück. Sein Flair für Physik und Technologie ist geblieben: «Ich möchte Tools entwickeln, die Wissenschaftler:innen bei der Lösung von Forschungsfragen helfen.» Die Anwendung seiner Mini-Labors beschränkt sich nicht auf Ingenieurwissenschaften. Mit einem Kollegen der Charité Universitätsklinik Berlin versuchte er ein Mini-Labor zu entwerfen, um KI-Algorithmen in der Zellbiologie und in der synthetischen Biologie zu testen. Die Kosten waren jedoch zu hoch.

    Hingegen wird das zweite Mini-Labor, ein Licht-Tunnel, bereits als Testumgebung in der industriellen Fertigung eingesetzt – für ein optisches Problem. Ebenso trugen die Mini-Labors dazu bei, verschiedene neue Methoden zu testen, wie grosse Sprachmodelle (LLM) in der realen Welt genauere Vorhersagen machen können.

    Kausale KI – der Königsweg zu korrekter KI

    In «Nature Machine Intelligence» hat Juan Gamella den Königsweg beschritten, um die Tauglichkeit der Mini-Labore zu belegen – schliesslich weist er nach, dass sie selbst für Fragen der kausalen KI dienlich sind. Kausalitätsforschung und kausale KI sind ein Schlüsselgebiet der Statistik und theoretischen Informatik, das von grundlegender Bedeutung ist für KI-Modelle: Damit KI-Modelle zuverlässig und korrekt funktionieren, sollten sie kausale Zusammenhänge verstehen.

    Oft bilden KI-Modelle jedoch nicht die kausalen Zusammenhänge der Welt ab, sondern sie machen Vorhersagen, die auf statistischen Korrelationen beruhen (vgl. Interview mit ETH-Informatikprofessor Thomas Hofmann). Kausalität ist ein wissenschaftlich grundlegender Begriff, der die Beziehungen zwischen Ursachen und Wirkungen bezeichnet. Kausale KI bezieht sich auf KI-Modelle, die Ursache-Wirkungs-Beziehungen erkennen. Die Ergebnisse kausaler KI sind präziser und nachvollziehbarer. Deshalb ist kausale KI wichtig für Gebiete wie Medizin, Ökonomie oder Klimaforschung.

    Um kausale KI zu entwickeln, sind neue statistische Methoden nötig, da kausale Beziehungen mitunter von besonderen Umständen und Zufällen beeinflusst werden. Zudem sind sie in komplexen Zusammenhängen nicht einfach voneinander zu trennen. Gamella hat mit den ETH-Mathematikprofessoren Peter Bühlmann und Jonas Peter geforscht. Beide haben wichtige Ansätze entwickelt, wie sich kausale Beziehungen unter wechselnden Bedingungen identifizieren und von störenden Einflüssen oder zufälligem Rauschen unterscheiden lassen.

    «Diese Methoden sind jedoch in der Regel schwierig in der realen Welt zu testen,» sagt Gamella. «Dafür benötigen wir Daten von Systemen, bei denen die Ursache-Wirkungs-Beziehungen bereits bekannt sind, um zu überprüfen, ob unsere Algorithmen sie genau lernen können. Diese Daten sind schwer zu finden.» Für die Publikation testeten die drei ETH-Forscher deshalb Algorithmen der kausalen KI auf den von Gamella gebauten Mini-Labors. Gamella bezeichnet seine Mini-Labors denn auch als «Kausalkammern».

    Zunächst prüften sie, ob die Algorithmen das korrekte Kausalmodell für jedes Mini-Labor, das heisst für Wind und Licht, erlernten. Sie sahen auch, wie gut die Algorithmen erfassten, welche Faktoren einander beeinflussen und wie sie unter ungewöhnlichen Bedingungen oder bei plötzlichen Veränderungen funktionieren. Peter Bühlmann, der Gamellas Doktorvater ist, lobt: «Die Kausalkammern sind eine wertvolle Ergänzung der Kausalitätsforschung. Neue Algorithmen lassen sich so in noch nie dagewesener Art und Weise validieren.»

    Eine sichere und spielerische Art zu lernen

    Erfreulich für Gamella ist der unterwartete Nutzen der Kausalkammern für die Lehre. «Da die Mini-Labors ein sicheres Experimentierfeld für Algorithmen bieten, sind sie auch ein tolles «Spielfeld» für Studierende», sagt Gamella. Dozierende für KI, Statistik und andere Ingenieurwissenschaften können sie nutzen, damit ihre Studierenden das Gelernte direkt in einer praktischen Umgebung anwenden können. Bereits bekunden Dozierende aus der ganzen Welt ihr Interesse und Juan Gamella startet nun Pilotstudien an der ETH Zürich und der Universität Lüttich.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Gamella Martin, Juan, ETH Zürich, juan.gamella(at)stat.math.ethz.ch


    Originalpublikation:

    Gamella, J.L., Peters, J. & Bühlmann, P. Causal chambers as a real-world physical testbed for AI methodology. Nature Machine Intelligence 7, 107–118 (2025). DOI: 10.1038/s42256-024-00964-x.


    Weitere Informationen:

    https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2025/03/ki-im-mini-lab...


    Bilder

    Juan Gamella hat zwei Mini-Labors entwickelt, mit denen sich KI-Algorithmen prüfen lassen.
    Juan Gamella hat zwei Mini-Labors entwickelt, mit denen sich KI-Algorithmen prüfen lassen.
    Nicole Davidson
    ETH Zürich


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Wissenschaftler
    Informationstechnik, Maschinenbau, Mathematik
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Juan Gamella hat zwei Mini-Labors entwickelt, mit denen sich KI-Algorithmen prüfen lassen.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).