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31.03.2025 11:02

Was steuert unser Verlangen nach Essen und Trinken?

Dr. Stefanie Merker Kommunikation (PR)
Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz

    Neue Forschungsergebnisse zeigen, wie das Gehirn den Nährstoff- und Flüssigkeitsbedarf des Körpers bewertet und darauf reagiert.

    Damit wir genügend Kalorien und Flüssigkeit zu uns nehmen, ist das Gehirn auf ein komplexes Netzwerk von Zellen, Signalen und deren Informationswege angewiesen – es sagt uns, wann wir essen, trinken oder besser damit aufhören sollen. Dennoch ist wenig darüber bekannt, wie das Gehirn die Bedürfnisse des Körpers erkennt und die entsprechende Reaktion einleitet. Forschende am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz haben in Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg und der Standford University nun bestimmte Gruppen von Nervenzellen identifiziert, die dafür wichtig sind. Diese spezialisierten „Durst“- und „Hunger“-Nervenzellen befinden sich in der so genannten Amygdala, einer Hirnregion, die an der Regulation von Emotionen beteiligt ist. Die Nervenzellen beeinflussen über verschiedene Schaltkreise das Verlangen nach Essen oder Trinken. Die Studie an Mäusen wirft ein neues Licht auf die Rolle der Amygdala bei der Regulation des Nährstoffbedarfs – und könnte wichtige Erkenntnisse über Essstörungen und Suchterkrankungen liefern.

    Mitten im Emotionszentrum des Gehirns

    Die Amygdala ist eine Hirnregion, die häufig mit Emotionen und Entscheidungsfindung in Verbindung gebracht wird. Sie ist aber auch von Bedeutung, wenn es um unser Verlangen nach Essen und Trinken geht. Bereits in früheren Studien konnten Wissenschaftler*innen aus Rüdiger Kleins Abteilung am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz zeigen, dass Nervenzellen im zentralen Kern der Amygdala Nahrung mit Gefühlen verknüpfen: Schmackhaftes Essen wird mit positiven Emotionen in Verbindung gebracht, schlechtes Essen mit Abneigung. Außerdem wird der Appetit unterdrückt, wenn Übelkeit einsetzt. Das Team zeigte auch, dass eine Veränderung in der Aktivität dieser Nervenzellen das Verhalten beeinflusst. So konnten sie Mäuse zum Fressen anregen, selbst als diese satt waren oder sich unwohl fühlten.

    Aufbauend auf diesen Erkenntnissen identifizierte das Team nun verschiedene Gruppen von Nervenzellen in derselben Region innerhalb der Amygdala: Solche, die spezifisch auf Durst reagieren, und andere, die auf Hunger reagieren – gesteuert durch ein komplexes Netzwerk molekularer Signale.

    „Eine dieser Nervenzellgruppen reguliert ausschließlich das Bedürfnis zu trinken. Es ist die erste „Durst-Nervenzelle“, die in der Amygdala identifiziert wurde“, erklärt Federica Fermani, Erstautorin der Studie. „Als wir diese Nervenzellen aktivierten, tranken die Mäuse mehr, und als wir ihre Aktivität unterdrückten, tranken sie weniger. Außerdem haben wir in derselben Region eine weitere Gruppe von Nervenzellen gefunden: Sie ist ebenfalls für Durst zuständig, spielt aber auch eine Rolle bei der Regulierung des Hungergefühls. Es gibt also Nervenzellen mit einer bemerkenswerten Spezialisierung für bestimmte Verhaltensweisen und andere, die allgemeinere Aufgaben bei der Ernährung erfüllen.“

    Um zu untersuchen, wie Nervenzellen im zentralen Kern der Amygdala das Ess- und Trinkverhalten regulieren, setzten die Forschenden spezielle genetische Werkzeuge ein. Damit konnten sie die Gehirnaktivität der Mäuse in unterschiedlichen Situationen untersuchen: Wenn die Tiere Hunger oder Durst verspürten, oder wenn sie bereits satt waren und genug getrunken hatten. Eine Methode namens Optogenetik ermöglichte es dem Team mit Hilfe lichtempfindlicher Proteine und eines Lasers, bestimmte Nervenzellen an- und abzuschalten. So konnten die Forschenden beobachten, wie sich sowohl die Aktivierung als auch die Inaktivierung der Nervenzellen auf das Ess- und Trinkverhalten der Mäuse auswirkte. Diesen Ansatz kombinierten sie mit einer neuen Methode, die es erlaubt, einzelne Nervenzellen in verschiedenen Hirnregionen zu beobachten. Dadurch ließ sich feststellen, woher die Nervenzellen ihre Informationen erhalten und mit welchen anderen Hirnregionen sie kommunizieren.

    Die Tür zu neuen Fragen

    Die Kartierung der Kommunikationswege zeigte, dass die Nervenzellen mit Hirnregionen in Verbindung stehen, die sensorische Informationen über Nahrung und Wasser verarbeiten – wie zum Beispiel der parabrachiale Komplex. In der Studie wurde auch untersucht, welchen Einfluss andere Faktoren, wie der Geschmack, auf das Verhalten der Mäuse haben. Durch die Kombination eines unbeliebten Getränkegeschmacks mit einer gezielten Stimulation von Nervenzellen in der Amygdala, konnte das Team die Entscheidungen der Mäuse verändern: Der zuvor gemiedene Geschmack wurde zum neuen Lieblingsgetränk. Die Struktur der Amygdala ist bei Mäusen und Menschen ähnlich – die Erkenntnisse könnten daher unser Verständnis dafür verbessern, wie Emotionen unsere eigenen Ess- und Trinkgewohnheiten beeinflussen.

    „Grundlegende Triebe wie Durst und Hunger sorgen dafür, dass wir zur richtigen Zeit essen und trinken – die Grundvoraussetzung dafür, dass unser Körper die überlebensnotwendige Flüssigkeit und Nahrung erhält“, erklärt Rüdiger Klein. „Dieselben neuronalen Schaltkreise können aber auch zu Über- oder Unterernährung beitragen, je nachdem, auf welche Signale sie im Gehirn treffen. Durch die Erforschung dieser Prozesse können wir vieles besser verstehen: Wie das Gehirn Essen und Trinken emotional bewertet; wie es lernt, sie mit Freude oder Abneigung zu verknüpfen; und wie die neuronale Entwicklung sowohl angeborenes als auch erlerntes Verhalten prägt.“

    Diese Arbeit öffnet die Tür zu neuen Fragen – zum Beispiel, wie das Gehirn Appetit, Durst und Emotionen gegeneinander abwägt. Oder woher wir wissen, wann wir zu wenig oder zu viel gegessen und getrunken haben. Wie werden konkurrierende Bedürfnisse gleichzeitig bewältigt? Schließlich stellt sich auch die Frage, inwieweit diese Schaltkreise bei Krankheiten wie Übergewicht, Magersucht oder Alkoholabhängigkeit beeinträchtigt sind.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Rüdiger Klein
    Direktor
    MPI für biologische Intelligenz
    ruediger.klein@bi.mpg.de


    Originalpublikation:

    Federica Fermani, Simon Chang, Ylenia Mastrodicasa, Christian Peters, Louise Gaitanos, Pilar L. Alcala Morales, Charu Ramakrishnan, Karl Deisseroth & Rüdiger Klein

    Food and water intake are regulated by distinct central amygdala circuits revealed using intersectional genetics

    Nature Communications, online 29 March 2025

    https://www.nature.com/articles/s41467-025-58144-3


    Weitere Informationen:

    https://www.bi.mpg.de/klein/de - Webseite der Abteilung


    Bilder

    Spezialisierte „Durst“- und „Hunger“-Nervenzellen in der Amygdala beeinflussen über verschiedene Schaltkreise das Verlangen nach Essen oder Trinken.
    Spezialisierte „Durst“- und „Hunger“-Nervenzellen in der Amygdala beeinflussen über verschiedene Sch ...

    © MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Spezialisierte „Durst“- und „Hunger“-Nervenzellen in der Amygdala beeinflussen über verschiedene Schaltkreise das Verlangen nach Essen oder Trinken.


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