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31.03.2025 17:00

Zu müde zum Wache halten? Ein schwieriger Kompromiss zwischen Schlaf und Wachsamkeit

Dr. Sabine Spehn Kommunikation (PR)
Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz

    • Vögel können – im Gegensatz zu uns Menschen – mit beiden Gehirnhälften tief schlafen
    (symmetrisch) oder mit einer Hälfte leichter schlafen als der anderen (asymmetrisch).
    • Studie eines internationalen Teams zeigt, dass europäische Dohlen unter Schlafmangel
    eher mit beiden Gehirnhälften tief schlafen, als mit einer Hälfte wachsam zu bleiben –
    besonders zu Beginn der Nacht, wenn der Erholungsbedarf am größten ist.
    • Die Einblicke in den Balanceakt zwischen Wachsamkeit und Schlaf können zu einem
    besseren Verständnis beitragen, wie sich Schlafmangel auf die Gehirnfunktion auswirkt
    – auch bei uns Menschen.

    Wer schon einmal eine Nacht durchgemacht hat, wird zustimmen: Wenn wir nicht genug geschlafen haben, sind wir weit von unserer Bestform entfernt. Vögel geht es in gewisser Weise ähnlich. Nach Schlafmangel schlafen sie länger und tiefer. Aber anders als wir Menschen können Vögel mit einem offenen Auge schlafen. Dadurch bleibt eine Gehirnhälfte in einem eher wachen Zustand, während die andere tief schläft. Diese Balance zwischen Wachsamkeit und Tiefschlaf hilft ihnen, Gefahren zu erkennen und gleichzeitig den dringend benötigten Schlaf zu bekommen. Eine neue Studie an Dohlen zeigt jedoch, dass diese Strategie ihre Grenzen hat: Bei Schlafenzug neigen die intelligenten, sozialen Vögel dazu, mit beiden Gehirnhälften tief zu schlafen – auf Kosten der Wachsamkeit. Damit bietet die Studie neue Erkenntnisse über den Schlaf und die Folgen von Schlafmangel.

    Mit einem Auge auf der Hut

    Schlaf ist im gesamten Tierreich überlebenswichtig. Wie er abläuft, ist jedoch sehr unterschiedlich. Wenn wir Menschen schlafen, durchläuft unser Gehirn verschiedene Phasen, die sich etwa alle 90 Minuten abwechseln: der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement) und der nicht-REM-Schlaf. Vögel durchlaufen die gleichen Phasen, aber meist in viel kürzeren Abständen – und ihre Schlafmuster sind viel flexibler als unsere. Eine Waffe in ihrem Schlafarsenal ist die Fähigkeit, während des nicht-REM-Schlafs mit einem Auge offen zu schlafen. Dieser Zustand wird als asymmetrischer Schlaf bezeichnet. Die Gehirnhälfte, die mit dem offenen Auge verbunden ist, schläft leicht und die Gehirnhälfte, die mit dem geschlossenen Auge verbunden ist, schläft tief. Auf diese Weise können Vögel, wie zum Beispiel Enten, eine Gehirnhälfte wacher halten, während die andere in einen tieferen Schlafzustand übergeht.

    Es wird angenommen, dass der nicht-REM-Schlaf eine Schlüsselrolle bei der Gedächtnisbildung und der Beseitigung von Abfallstoffen aus dem Gehirn spielt. Bei Vögeln allerdings dauert die Erholung einer Gehirnhälfte bei geöffneten Augen länger, als wenn beide Gehirnhälften gleichzeitig tief schlafen. Wissenschaftler*innen sind noch dabei, herauszufinden, wann, wie und warum Vögel auf diesen Balanceakt beim Schlafen angewiesen sind.

    Forschende am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz und am Groningen Institute for Evolutionary Life Sciences zeigen nun, dass europäische Dohlen einen schwierigen Kompromiss zwischen Schlaf und Wachsamkeit eingehen. Die Studie, die die Schlafmuster in verschiedenen Hirnregionen von Dohlen untersucht, wird heute in der Fachzeitschrift Current Biology veröffentlicht.

    Frühere Studien haben bereits gezeigt, wie Vögel und auch andere Tiere durch anpassungsfähige Schlafstrategien in gefährlichen Situationen wachsam bleiben – von großen Fregattvögeln, die während des Flugs asymmetrisch schlafen, über Stockenten, die ein Auge offenhalten, wenn sie am äußeren Rand der Gruppe schwimmen, bis hin zu nördlichen Seebären, die asymmetrisch im Wasser schlafen. Selbst Menschen, die nicht mit einem offenen Auge schlafen können neigen dazu, in der ersten Nacht in einer neuen Umgebung mit der linken Gehirnhälfte leichter zu schlafen. Die neue Studie zeigt, wo solche Strategien versagen: Dohlen mit Schlafmangel verbringen mehr Zeit im tiefen, symmetrischen Schlaf und weniger im asymmetrischen Schlaf – besonders zu Beginn der Nacht, wenn der Erholungsbedarf am größten ist.

    „Der Schlaf ist für viele Tiere ein gefährlicher Lebenszustand, in dem sie allen möglichen Gefahren ausgesetzt sind“, sagt Niels Rattenborg, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz. „Manche Vögel kommen mit wenig Schlaf viel besser zurecht als wir, aber offenbar nur bis zu einem gewissen Grad. Wir haben festgestellt, dass müde Dohlen eher tief schlafen, auch wenn sie dadurch angreifbarer werden. Wenn wir verstehen, wie Vögel den Balanceakt zwischen Wachsamkeit und Schlaf meistern, können wir die Funktion von Schlaf im Allgemeinen besser verstehen.“

    Der Müdigkeit auf der Spur

    Mit Elektrozephalogrammen (EEG) haben die Forschenden in neun Dohlen die Aktivität von Millionen von Nervenzellen im Gehirn gemessen. So konnten sie untersuchen, wie sich europäische Dohlen mit Schlafmangel umgehen und wie sie zwischen symmetrischem und asymmetrischem Schlaf wechseln.

    Die Forschenden stellten fest, dass einige Hirnregionen tiefer schlafen als andere. Womöglich benötigen Regionen, die im Wachzustand stärker beansprucht werden, einen tieferen Schlaf. Beispielsweise reagierten nicht alle Teile des Gehirns auf den Schlafentzug gleichermaßen. Regionen, die am Sehen und an der Entscheidungsfindung beteiligt sind, zeigten nach Schlafmangel stärkere Signale, während zum Beispiel der Hippocampus weniger betroffen war.

    „Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass auch die flexiblen Schlafstrategien der Dohlen ihre Grenzen haben“, erklärt Peter Meerlo, Gruppenleiter am Groningen Institute for Evolutionary Life Sciences. „Das lehrt uns etwas Grundlegendes über den Schlaf: Er ist nicht nur ein passiver Zustand, sondern ein Verhalten, das sowohl von der Evolution als auch von der Umwelt beeinflusst wird. Die Studie wirft ein neues Licht darauf, wie Tiere ihr Schlafbedürfnis mit den Gefahren, denen sie ausgesetzt sind, in Einklang bringen. So können wir womöglich besser verstehen, wie sich Schlafmangel auf die Gehirnfunktion im Allgemeinen auswirkt – auch beim Menschen.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Niels Rattenborg
    Forschungsgruppenleiter
    Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz
    niels.rattenborg@bi.mpg.de


    Originalpublikation:

    Sleep pressure causes birds to trade asymmetric sleep for symmetric sleep

    Sjoerd J. van Hasselt*, Dolores Martinez-Gonzalez*, Gert-Jan Mekenkamp, Alexei L.
    Vyssotski, Simon Verhulst, Gabriël J. L. Beckers, Niels C. Rattenborg$, Peter Meerlo$
    *, $ These authors contributed equally

    Current Biology, online 31 March, 2025


    Weitere Informationen:

    https://www.bi.mpg.de/rattenborg/de - Webseite der Forschungsgruppe


    Bilder

    Müde Dohlen verbringen mehr Zeit im symmetrischen Tiefschlaf und weniger Zeit im asymmetrischen Schlaf – besonders zu Beginn der Nacht, wenn der Erholungsbedarf am größten ist.
    Müde Dohlen verbringen mehr Zeit im symmetrischen Tiefschlaf und weniger Zeit im asymmetrischen Schl ...

    © MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Müde Dohlen verbringen mehr Zeit im symmetrischen Tiefschlaf und weniger Zeit im asymmetrischen Schlaf – besonders zu Beginn der Nacht, wenn der Erholungsbedarf am größten ist.


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