Mit Hilfe eines mathematischen Simulationsmodells ist es Forschenden gelungen, neue Erkenntnisse über den Übergang von Jäger- und Sammler- zu Ackerbaugesellschaften zu gewinnen. Anstatt sich ausschließlich auf externe Faktoren zu konzentrieren, untersuchten sie interne demografische Faktoren und die Bedeutung menschlicher Interaktionen. Das Modell identifizierte potenzielle gesellschaftliche Auswirkungen auf der Grundlage demografischer Veränderungen und betonte Aspekte wie Migrationsraten, kulturelle Assimilation und die Rolle von Sterblichkeitsraten bei diesen Übergängen.
Die Erforschung des Übergangs vom Jagen und Sammeln zur Landwirtschaft ist in der Menschheitsgeschichte von zentraler Bedeutung. Häufig wird dieser Übergang externen Faktoren wie Umweltveränderungen zugeschrieben. Der Wandel kann auf zwei Arten stattgefunden haben: Entweder entwickelten verschiedene Gruppen unabhängig voneinander die Landwirtschaft, oder diese frühen Bauern interagierten mit Jägern und Sammlern, die dann die neuen Techniken übernahmen.
„In unserer neuen Studie argumentieren wir, dass die Menschen nicht nur passive Teilnehmer an diesem Prozess waren, sondern eine aktive und entscheidende Rolle in diesem Übergang spielten“, sagt Erstautor Alfredo Cortell-Nicolau vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der University of Cambridge in Großbritannien. „Wir konzentrieren uns darauf, wie die Populationsdynamik dieser Gruppen die Einführung der Landwirtschaft direkt beeinflusste.“ Um dies zu untersuchen, hat das Forschungsteam ein Simulationsmodell aus der Ökologie angepasst, welches die Interaktionen zwischen verschiedenen Arten, insbesondere zwischen Raub- und Beutetieren, abbildet. In diesem Modell sind die Bauern die ‚Räuber‘, die nach und nach die ‚Beute‘, die Jäger und Sammler, verdrängen. Faktoren wie Gruppenmigration und kulturelle Assimilation wurden ebenfalls in die Analyse einbezogen.
Radiokarbondaten als Proxy für demografische Parameter
Als Grundlage für dieses Modell verwendeten die Forschenden die Radiokarbondatierung. Diese Daten, hauptsächlich aus organischem Material gewonnen, dienen als demografischer Proxy – je mehr Daten, desto größer die Bevölkerung. „Durch die statistische Anpassung unseres Modells an die beobachtete Populationsdynamik, die wir aus den Radiokarbondaten ableiten konnten, können wir besser verstehen, wie unsere Variablen mit den vorhandenen archäologischen Aufzeichnungen zusammenhängen“, erklärt Koautor Enrico Crema von der University of Cambridge. „Mit unserem Modell können wir untersuchen, welche Bedingungen eine rasche Ausbreitung der Landwirtschaft oder ein längeres Fortbestehen des Jäger- und Sammlerlebens begünstigt haben könnten.“
Die Forscherinnen und Forscher wendeten das Modell auch auf spezifische Fallstudien an - Ostspanien (Spanien), die Insel Kyushu (Japan) und Skandinavien (Dänemark). Die Untersuchung dieser Regionen zeigte, wie verschiedene Faktoren, wie unterschiedliche Bevölkerungswachstums- oder Sterblichkeitsraten, die durch die Konkurrenz zwischen Jägern und Sammlern und Bauern verursacht wurden, eine Rolle bei der Entwicklung der Landwirtschaft in diesen Regionen spielten.
Den archäologischen Werkzeugkasten erweitern
„Unsere Studie bietet wertvolle Einblicke in verschiedene Aspekte prähistorischer Gesellschaften. Mit dieser Methode konnten wir die Auswirkungen des Bevölkerungswachstums auf historische Entwicklungen bestimmen und einige interessante Phänomene beobachten, zum Beispiel wie die Art der landwirtschaftlichen Expansion – zu Lande oder zu Wasser – die demografische Dynamik der interagierenden Gruppen beeinflusste“, erklärt Koautor Javier Rivas von der University of Bath in Großbritannien. „Im weiteren Sinne zeigt das Modell, welche Rolle Migrationsraten und soziale Assimilation bei der Ausbreitung der Landwirtschaft spielten.“
In Zukunft wollen die Forschenden komplexere Faktoren einbeziehen und ihr Modell auf größere Regionen anwenden. „Wir hoffen, dass die von uns entwickelten Methoden eines Tages zu einem Standardwerkzeug für die Untersuchung vergangener demografischer Interaktionen werden und Einblicke in viele prähistorische Übergangsphasen jenseits des Übergangs zur Landwirtschaft geben können“, so die Autoren.
Dr. Alfredo Cortell-Nicolau
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
alfredo_cortell_nicolau@eva.mpg.de
Dr. Enrico Crema
University of Cambridge, Großbritannien
erc62@cam.ac.uk
Dr. Javier Rivas
University of Bath, Großbritannien
fjrr20@bath.ac.uk
Cortell-Nicolau, A., Rivas, J., Crema, E.R., Shennan, S., García-Puchol, O., Kolář, J., Staniuk, R., Timpson, A.
Demographic interactions between the last hunter-gatherers and the first farmers
PNAS, 31 March 2025, https://doi.org/10.1073/pnas.2416221122
Blick von der Cova de les Cendres (Alacant, Spanien). Die ersten Bauern kamen auf dem Seeweg in dies ...
© Oreto García-Puchol
Ausgrabungen in der Cova de les Cendres (Alacant, Spanien), einer der Fundstätten, die in die aktuel ...
© Oreto García-Puchol
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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