idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
01.04.2025 09:35

Arbeitszeitrecht stärken, nicht aufweichen – für Gleichstellung, gesellschaftliches Engagement und Gesundheitsschutz

Rainer Jung Abt. Öffentlichkeitsarbeit
Hans-Böckler-Stiftung

    Neue Analyse

    Arbeitszeitrecht stärken, nicht aufweichen – für Gleichstellung, gesellschaftliches Engagement und Gesundheitsschutz

    Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz – damit sind Union und SPD auf dem richtigen Weg. Allerdings braucht es nicht nur Geld, sondern auch Arbeit und rechtliche Rahmenbedingungen dafür. Hier zeigt das Sondierungspapier der Koalitionsverhandler*innen deutliche Schwächen, wie Dr. Yvonne Lott, Forscherin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, Prof. Dr. Ulrich Mückenberger, Ricarda Scholz und Hanna Völkle in einer WSI-Kurzanalyse feststellen*.

    Die Übereinkunft von Union und SPD enthalte keine Ansätze „zur sorgesensiblen und geschlechtergerechten Neugestaltung der Arbeitszeiten“. Im Gegenteil. Die Leidtragenden dürften vor allem Frauen sein – und der Fachkräftemangel wird so eher größer als kleiner, warnen die Forschenden.

    Beispielsweise sieht das Papier – auf Initiative von CDU und CSU – mehr Möglichkeiten für sehr lange Arbeitstage vor, indem die Höchstarbeitszeit nicht mehr pro Tag, sondern pro Woche erfasst werden soll. Zudem ist geplant, finanzielle Anreize für Mehrarbeit einzuführen. Sehr lange Arbeitszeiten schadeten jedoch nicht nur der Gesundheit, wie eine breite Forschungsliteratur zeigt**, sondern auch der Gleichstellung, analysieren die Wissenschaftler*innen. Geschlechterungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt würden sich verschärfen. Denn während Frauen, insbesondere Mütter jüngerer Kinder, häufig ohnehin keinen Spielraum für längere Erwerbsarbeitszeiten haben, weil sie den Löwenanteil der Sorgearbeit schultern müssen, hätten Männer mit steuerlich geförderten Überstunden noch weniger Zeit für die Familie.

    Die Pläne im Sondierungspapier belasten Partnerschaften und Familien. Sie erschweren eine gleichberechtigte Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit, so die Forschenden. Die geplante Steuerbefreiung von Überstunden dürfte hauptsächlich Vollzeitbeschäftigten zugutekommen und Teilzeitkräfte, also gerade Frauen, benachteiligen. Dies könne den Gender Pay Gap vergrößern.

    Außerdem sind die Maßnahmen, die das Sondierungspapier vorsieht, auch geeignet, die Demokratie weiter zu schwächen, analysieren Lott, Mückenberger, Scholz und Völkle. Umfragen des WSI belegen, dass viele Beschäftigte bereits heute zu wenig Zeit für politisches oder gesellschaftliches Engagement haben. Nur ein gutes Drittel der Erwerbstätigen ist im gewünschten Maß aktiv, unter erwerbstätigen Müttern sogar lediglich 20 Prozent (siehe auch die Abbildung in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Eine funktionierende Demokratie brauche aber Demokratinnen und Demokraten, die Zeit für politische und zivilgesellschaftliche Beteiligung aufbringen.

    Das Arbeitszeitgesetz dürfe daher nicht aufgeweicht, sondern müsse gestärkt werden, so Lott, Mückenberger, Scholz und Völkle. Tarifliche Regelungen sorgten zwar für bessere Arbeitsbedingungen, sie erreichten aber nicht alle Beschäftigten. Für ein zeitgemäßes Arbeitszeitrecht empfiehlt die Expert*innengruppe vier wesentliche Maßnahmen:

    - Einführung einer zehntägigen bezahlten Freistellung von Vätern und zweiter Elternteile nach der Geburt, wie es die einschlägige EU-Richtlinie vorsieht,

    - Ausweitung der Partnermonate beim Elterngeld,

    - Reform des Brückenteilzeitgesetzes, damit mehr Beschäftigte es nutzen können,

    - Einführung einer steuerfinanzierten Entgeltersatzleistung für pflegende Angehörige.

    Weiterhin plädieren die Forschenden für ein Wahlarbeitszeitgesetz, wie es der Deutsche Juristinnenbund vorgeschlagen hat, beziehungsweise die Umsetzung eines Optionszeitenmodells, „das zeitliche Ziehungsrechte nicht nur für Kinderbetreuung, Pflege und Weiterbildung vorsieht, sondern auch für ehrenamtliches Engagement“.

    „Wenn es gewünscht ist, dass Frauen – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels – mehr Erwerbsarbeit leisten, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die dazu beitragen, dass Sorgearbeit fairer zwischen den Geschlechtern verteilt wird. Die angekündigten Maßnahmen weisen allerdings in die entgegengesetzte Richtung“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, die wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Sie schaffen Anreize für Männer, ihre Arbeitszeit weiter auszuweiten, was die zeitlichen Spielräume für eine gerechtere Verteilung von Sorgearbeit verringert.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Yvonne Lott
    WSI-Expertin für Geschlechterforschung
    Tel.: 0211-7778-600
    E-Mail: Yvonne-Lott@boeckler.de

    Rainer Jung
    Leiter Pressestelle
    Tel.: 0211-7778-150
    E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de


    Originalpublikation:

    *Yvonne Lott, Ulrich Mückenberger, Ricarda Scholz, Hanna Völkle: Sorgesensible und geschlechtergerechte Arbeitszeiten. Jetzt! WSI-Kommentar Nr. 6, März 2025. Download: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?produkt=HBS-009096

    **Forschungsergebnisse zu gesundheitlichen Risiken sehr langer Arbeitszeiten in einer Bundestags-Stellungnahme unserer Expertin Dr. Amélie Sutterer-Kipping von 2024: https://www.boeckler.de/de/boeckler-impuls-wer-will-den-zehn-stunden-tag-59900.h...

    Die PM mit Abbildung (pdf): www.boeckler.de/data/pm_wsi_2025_04_01.pdf


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).